VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Beschluss vom 23.07.2008 - 5 L 181/08 - asyl.net: M13722
https://www.asyl.net/rsdb/M13722
Leitsatz:

Für einstweilige Anordnung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 S. 1 AufenthG besteht ein Anordnungsgrund, wenn mit dem Abschluss des Hautsacheverfahrens erst nach dem Stichtag des § 104 a Abs. 5 S. 2 AufenthG (31.12.2009) zu rechnen ist; § 104 a Abs. 1 S. 1 AufenthG und § 104 a Abs. 2 S. 1 AufenthG sind unabhängig voneinander anwendbar.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Minderjährige, Volljährigkeit, Anwendbarkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 5; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1; AufenthG § 104a Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Für einstweilige Anordnung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 S. 1 AufenthG besteht ein Anordnungsgrund, wenn mit dem Abschluss des Hautsacheverfahrens erst nach dem Stichtag des § 104 a Abs. 5 S. 2 AufenthG (31.12.2009) zu rechnen ist; § 104 a Abs. 1 S. 1 AufenthG und § 104 a Abs. 2 S. 1 AufenthG sind unabhängig voneinander anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Dieser Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Im vorliegenden Fall ist für die Antragstellerin ein Abwarten einer für sie günstigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbar. Es ist davon auszugehen, dass im Widerspruchsverfahren die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners nicht geändert wird. Ein Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, da eine gerichtliche Entscheidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst nach dem in § 104 a Abs. 5 Satz 2 AufenthG genannten Stichtag, dem 31.12.2009, erfolgen wird. Bis zu diesem Stichtag muss die Antragstellerin jedoch nachgewiesen haben, dass ihr Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert ist, wenn sie eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erhalten will.

Im vorliegenden Fall ist ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache bei derzeitiger Aktenlage in einem hohen Maße wahrscheinlich.

Der Antragstellerin steht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist im vorliegenden Fall die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht aufgrund der Vorschrift des § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist keine mit Vorrang gegenüber dem § 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausgestattete Spezialvorschrift. Die Vorschriften des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG und des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG finden nebeneinander und unabhängig voneinander Anwendung.

Sinn und Zweck des § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist es, denjenigen Personen, die als Minderjährige eingereist sind, auch mit Eintritt der Volljährigkeit die Möglichkeit zu geben, unter den in § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Gäbe es die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht, so hätten Personen, die sich seit weniger als acht Jahren im Bundesgebiet aufhalten, als Minderjährige in die Bundesrepublik eingereist und zwischenzeitlich volljährig geworden sind, nur die Möglichkeit, in entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 1 AufenthG, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stellt sich somit als eine begünstigende Vorschrift für diejenigen Personen dar, die als Minderjährige eingereist und zwischenzeitlich volljährig geworden sind. Dabei macht § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von anderen Voraussetzungen abhängig, als dies in § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG der Fall ist. Dies hat für den durch die Vorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG begünstigten Personenkreis den Vorteil, dass auch Personen, die sich zum maßgeblichen Stichtag, dem 1. Juli 2007, weitaus weniger als acht Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, die Möglichkeit haben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es Sinn und Zweck der Regelung des § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist, über die Begünstigung des Personenkreises der Minderjährigen hinaus die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis für diejenigen Personen, die die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllen, dadurch zu erschweren, dass man für Personen, die als Minderjährige in die Bundesrepublik eingereist sind, zusätzlich eine positive Integrationsprognose fordert. Auch die Gesetzesmaterialien und die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/5065 [201 f.]) enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift des § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG über ihre begünstigende Wirkung hinaus den Zweck verfolgt, Personen, die sich seit mehr als acht Jahren geduldet im Bundesgebiet aufhalten, die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis zu erschweren. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 104 a Abs. 2 AufenthG generell festlegen wollte, dass als Minderjährige eingereiste Personen überhaupt nur dann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn gewährleistet erscheint, dass sie sich integrieren.

Müssten Personen, die die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllen und die als Minderjährige in das Bundesgebiet eingereist sind, zusätzlich noch die Voraussetzung einer positiven Integrationsprognose erfüllen, so würde dies im Vergleich zu den sonstigen Personen, die die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllen, zu einer Ungleichbehandlung führen, für die es keinen tragfähigen Differenzierungsgrund gäbe.