VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 08.08.2008 - 9 K 627/08 - asyl.net: M13890
https://www.asyl.net/rsdb/M13890
Leitsatz:

1. Es besteht regelmäßig kein Anspruch auf Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel nebeneinander.

2. § 26 Abs. 3 AufenthG ist eine § 26 Abs. 4 AufenthG verdrängende Spezialvorschrift.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltstitel, Rechtsgrundlage, mehrere Rechtsgrundlagen, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Ermessen
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 26 Abs. 3; AufenthV § 59 Abs. 3; AufenthG § 7 Abs. 1; AufenthG § 7 Abs. 2; AufenthG § 52 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

1. Es besteht regelmäßig kein Anspruch auf Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel nebeneinander.

2. § 26 Abs. 3 AufenthG ist eine § 26 Abs. 4 AufenthG verdrängende Spezialvorschrift.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Klage, über die der Berichterstatter entscheiden kann (§§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO), bleibt mit Haupt- und Hilfsantrag jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer weiteren Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch auf Bescheidung ihres Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Es spricht schon Vieles dafür, dass dem System von Aufenthaltsgesetz und Aufenthaltsverordnung die gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel an einen Ausländer fremd ist.

Das gilt ungeachtet dessen, dass es für Ausländer vorteilhaft sein kann, Aufenthaltserlaubnisse oder Niederlassungserlaubnisse unterschiedlicher Rechtsgrundlagen zu besitzen. Denn diese werden etwa hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt oder der weiteren Verfestigung des Aufenthalts teilweise unterschiedlich behandelt und der Ausländer könnte sich dann je nach Erfordernis auf den einen oder den anderen Titel berufen. Auch wäre die praktische Umsetzung auf den ersten Blick einfach, in dem in das Feld "Anmerkungen" zum Aufenthaltstitel gemäß § 59 Abs. 3 AufenthV mehrere Rechtsgrundlagen eingetragen würden. Schließlich scheint § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, der davon spricht, die Aufenthaltserlaubnis werde zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt, die Erteilung jedenfalls mehrerer Aufenthaltserlaubnisse zu mehreren Aufenthaltszwecken nebeneinander nicht auszuschließen.

Doch bereits die nachfolgende Bestimmung, § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, belegt, dass ein Anspruch auf gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltserlaubnisse in vielen Fällen zu unlösbaren Problemen führen dürfte. Denn nach dieser Bestimmung ist eine Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des (jeweiligen) Aufenthaltszwecks zu befristen. Bei unterschiedlichen Aufenthaltszwecken kann aber eine unterschiedliche Befristung geboten sein, was in einer einheitlichen Aufenthaltserlaubnis wohl nicht zu lösen wäre. Auch wenn bei einer Niederlassungserlaubnis solche Befristungsprobleme nicht auftreten können, dürfte auch sie nur für jeweils einen von der Klägerin zu bezeichnenden Zweck und mithin nur auf Grund einer Rechtsgrundlage zu erteilen sein (so für alle Aufenthaltstitel OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.2.2007 - 3 S 10.07 - <juris> am Ende; vgl. auch die Verwendung des Singulars in den vorl. Anwendungshinweisen zum AufenthG, Ziff. 4.1.2: "Der Erteilungsgrund wird in dem Klebeetikett vermerkt").

2. Jedenfalls besteht aber im konkreten Fall kein Anspruch der Klägerin auf zusätzliche Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG.

Das gilt ungeachtet dessen, dass diese Art der Niederlassungserlaubnis - wie der Klägervertreter zutreffend ausführt - vom Asylrecht, der Flüchtlingsanerkennung oder dem Abschiebungsverbot stärker gelöst ist als jene nach § 26 Abs. 3 AufenthG (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.5.2007 - 11 S 2093/06 - <juris>). Denn schon Wortlaut und Stellung im Gesetz belegen, dass § 26 Abs. 3 AufenthG die zuerst zu prüfende Spezialbestimmung ist (so auch Heinhold, ZAR 2008, 161, 162: "lex specialis"; ähnlich Storr in: Storr/Wenger, Komm. z. ZuwR, 2. Aufl., § 26 Rn. 7). Nur "im Übrigen" sind die Voraussetzungen des vierten Absatzes zu prüfen.

Soweit in der Literatur das Problem des Verhältnisses von Absatz 3 zu Absatz 4 des § 26 AufenthG überhaupt erörtert wird, wird - soweit ersichtlich - nur vertreten, in einer Phase, in der sich ein Streit um eine Widerrufs- oder Rücknahmeentscheidung des Bundesamts "hinzieht", sei in die Prüfung der Voraussetzungen des Absatzes 4 einzutreten; (nur) insoweit stünden die Bestimmungen nebeneinander (vgl. nochmals Heinhold, ZAR 2008, 161, 162).

Mit der somit gebotenen Annahme des Vorrangs der Bestimmung des § 26 Abs. 3 AufenthG werden Besitzer von Niederlassungserlaubnissen nach diesem Absatz im Hinblick auf etwaige Widerrufsentscheidungen auch nicht etwa schlechter gestellt. Denn wenn auf Grund von Widerrufs- oder Rücknahmebescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. § 73 AsylVfG) ein Widerruf einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG zu prüfen ist, ist selbstverständlich bei der Ausübung des Widerrufsermessens (vgl. § 52 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) zu prüfen, ob nicht inzwischen - d.h. bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf der Niederlassungserlaubnis - die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorliegen.