OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.09.2008 - 18 B 943/08 - asyl.net: M13896
https://www.asyl.net/rsdb/M13896
Leitsatz:

Ein Antrag eines Ausländers, der ein Schengenvisum besitzt, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis löst die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG aus.

 

Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Fiktionswirkung, Fortgeltungsfiktion, Schengenvisum, Verlängerungsantrag, Visum, Aufenthaltstitel, verspäteter Antrag
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 4 Abs. 1
Auszüge:

Ein Antrag eines Ausländers, der ein Schengenvisum besitzt, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis löst die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG aus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Allerdings scheitert das Begehren des Antragstellers entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht daran, dass der Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft ist, weil in der Hauptsache ein Verpflichtungsbegehren verfolgt wird. Ein derartiger Antrag ist bei der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zulässig, soweit und sofern die ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde die Wirkungen eines belastenden Verwaltungsaktes hat, indem sie ein Bleiberecht des Ausländers in Form einer aufgrund von § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG eingetretenen Fiktion beendet. So ist es hier. Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte infolge dessen, dass dieser über ein Schengen-Visum verfügte, die Fortbestandsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. Eine solche kann nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm auch durch ein Schengen-Visum bewirkt werden, weil es sich hierbei um einen Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG handelt (so auch Hess. VGH, Beschluss vom 16. März 2005 - 12 TG 298/05 -, InfAuslR 2005, 304; Funke-Kaiser in: GK-AuslR, Stand Februar 2008, § 81 AufenthG Rn. 39; Albrecht in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, § 81 AufenthG Rn. 16; Zeitler, HTK-AuslR/§ 81 AufenthG/zu Abs. 3 und 4 06/2008 Nr. 4; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 81 AufenthG Rn. 16).

Dem steht nicht entgegen, dass dem nationalen Gesetzgeber eine Verlängerung des Schengen-Visums entzogen ist. Insoweit ist zunächst hervor zu heben, dass es keine Regelung gibt, die es ausschließt, den mit einem Schengen-Visum begründeten Aufenthalt zu verlängern. Zudem wird ein solches Visum mit dem Fiktionsrecht nach Absatz 4 gerade nicht verlängert. Die Fortbestandsfiktion ist nämlich ein Aufenthaltsrecht eigener Art, die abweichend von den Einreise- und Aufenthaltsrechten einen vorübergehenden Aufenthalt bis zu Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gewährt. Der nationale Gesetzgeber ist auch zu einer derartigen Regelung befugt. Den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird durch Art. 18 und 20 Abs. 2 SDÜ die Möglichkeit eingeräumt, nach eigenem Recht Visa, begrenzt auf ihren Zuständigkeitsbereich, zu erteilen bzw. zu verlängern (vgl. auch § 40 AufenthV) (vgl. Renner, a.a.O., § 6 AufenthG Rn. 32).

Das schließt die Befugnis ein, die Wirkungen eines Schengenvisums begrenzt auf das Gebiet der Bundesrepublik nach nationalem Recht fortbestehen zu lassen, wie es mit der Fortbestandsfiktion geschieht.

Soweit Hailbronner (vgl. Ausländerrecht, Stand August 2006, § 81 AufenthG Rn. 24) gegen die hier vertretene Auffassung geltend macht, sie laufe auf eine Umgehung der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes hinaus, wonach Aufenthaltstitel für den beabsichtigten Aufenthaltszweck vor der Einreise beantragt werden müssen (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 2 AufenthG), verfängt dies nicht. Gegen diese Meinung sprechen neben dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG insbesondere gesetzessystematische Gründe. So enthält § 81 AufenthG im Unterschied zu der vorangegangenen Regelung in § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG 1990 keine Bestimmung, nach der im Fall einer unerlaubten Einreise die Fortbestandsfiktion nicht eintritt. Ein Verstoß gegen die Einreisevorschriften soll nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes erst auf der materiell-rechtlichen Ebene im Rahmen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG - hier dessen Absatz 2 - Bedeutung erlangen und dies auch nur in der relativierten Weise, dass nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Rahmen einer Ermessensentscheidung eine Ausnahme von der Einhaltung der Einreisebestimmungen möglich ist. Damit ließe es sich nicht vereinbaren, bei einer infolge des Visumsbesitzes zwar formell rechtmäßigen aber wegen des vom Visumszweck von vornherein abweichenden Aufenthaltszweck materiell rechtswidrigen Einreise generell einen Fiktionseintritt auszuschließen. In einer derartigen Situation wäre es einem Ausländer mit Hilfe der für das Aufenthaltstitelverfahren prinzipiell abschließend vorgesehen Aufenthaltsrechte des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG nicht möglich, sich in einem vom Inland aus betriebenen Aufenthaltstitelverfahren auf die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu berufen.

Der Fiktionseintritt ist vorliegend nicht dadurch verhindert worden, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schriftlich erst am 22. April 2008 - ausweislich eines Vermerkes in den Verwaltungsvorgängen des Antragstellers möglicherweise mündlich schon am 21. April 2008 - und damit einen bzw. zwei Tag(e) nach Ablauf des bis zum 20. April 2008 gültig gewesenen Visum gestellt worden ist. Die Fortbestandsfiktion greift nach der Senatsrechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 - , InfAuslR 2006, 448 = AuAS 2006, 143 = EZAR NF 21 Nr. 2 = NWVBl. 2006, 368) auch ein, wenn der Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels erst nach Ablauf der Geltungsdauer des Titels gestellt wird, sofern die Verspätung nur so geringfügig ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Visums und dem Antrag gewahrt ist. Diese Voraussetzung ist bei einer nur ein- bzw. zweitägigen Verspätung erfüllt (vgl. erneut Senatsbeschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 -, a.a.O. (fünf Tage Verspätung)).

Indessen bleibt die Beschwerde erfolglos, weil die zu ihrer Begründung vom Antragsteller dargelegten Gründe, die vom Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur zu prüfen sind, keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigen.