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Zitieren als:
, Beschluss vom 02.10.2008 - 4 T 167/08 u.a. - asyl.net: M14432
https://www.asyl.net/rsdb/M14432
Leitsatz:

Die Anordnung von Haft zur Vorführung bei einer Auslandsvertretung gem. § 82 Abs. 4 AufenthG setzt eine vorherige Anordnung des persönlichen Erscheinens voraus, der der Ausländer nicht nachgekommen ist; die Haftanordnung setzt darüber hinaus in der Regel die vorherige Anhörung des Betroffenen voraus; die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG liegen in der Regel nicht vor, wenn der Ausländer eine Duldung besitzt.

 

Schlagwörter: D (A), persönliches Erscheinen, Auslandsvertretung, Mitwirkungspflichten, Anordnung, Androhung, unmittelbarer Zwang, Inhaftierung, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Verhältnismäßigkeit, Anhörung, einstweilige Anordnung, Gefahr im Verzug, Untertauchen, Entziehungsabsicht, Hafthöchstdauer, Abschiebungshaft, Wechsel des Aufenthaltsorts, unerlaubte Einreise, Asylantrag, abgelehnte Asylbewerber, Duldung
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 82 Abs. 4 S. 2; FEVG § 11 Abs. 2; FEVG § 5 Abs. 1; BPolG § 42 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

Die Anordnung von Haft zur Vorführung bei einer Auslandsvertretung gem. § 82 Abs. 4 AufenthG setzt eine vorherige Anordnung des persönlichen Erscheinens voraus, der der Ausländer nicht nachgekommen ist; die Haftanordnung setzt darüber hinaus in der Regel die vorherige Anhörung des Betroffenen voraus; die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG liegen in der Regel nicht vor, wenn der Ausländer eine Duldung besitzt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die beiden sofortigen Beschwerden, erweisen sich im Feststellungsbegehren als erfolgreich. Die Zurücknahme des Haftantrages und, die Erledigung der Hauptsache durch Beendigung der Freiheitsentziehung haben nicht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels: zur Folge (vgl. Beschluss des OLG München v. 25.05.2007 - Az. Wx 42/07, OLGR München 2007, 628).

1.) Die Haftanordung des Amtsgerichts vom 15.08.2008 war rechtswidrig. Gemäß § 82 Abs. 4 AufenthG wäre eine Haftanordnung durch das Amtsgericht nur in Frage gekommen, wenn der Beschwerdeführer einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht nachgekommen wäre. Diese Anordnung des persönlichen Erscheinens des Ausländers bei der zuständigen Behörde oder einer Auslandsvertretung ist ein Verwaltungsakt. Die Vorführung als Anwendung des unmittelbaren Zwanges setzt grundsätzlich eine vorherige Androhung der Vorführung voraus (vgl. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2006 - Az. 19 B 1789/06, InfAuslR 207, 126).

Eine solche Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beschwerdeführers bei der togoischen Botschaft ist jedoch zu keinem Zeitpunkt ergangen. Keines der o.g. Schreiben der Antragstellerin an den Betroffenen stellt eine solche Anordnung dar. Insbesondere beinhaltet auch das Schreiben der Antragstellerin vom 04.10.2004 (Bl. 22 d.A.) keine solche Anordnung. Nach der Überschrift dieses Schreibens wird der Betroffene damit nur zur Passersatzbeschaffung aufgefordert. Auch Ziffer 3 dieser Aufforderung, dass, sollte er der Aufforderung, sich einen Pass zu beschaffen, nicht nachkommen, die Vorsprache bei der Botschaft unter Anwendung unmittelbaren Zwanges durchgesetzt wird, stellt keine Anordnung des persönlichen Erscheinens bei der Botschaft dar. Vielmehr stellt dies lediglich die vorherige Androhung von Zwangsmaßnahmen dar, nicht jedoch die Anordnung des persönlichen Erscheinens.

Selbst wenn jedoch eine Anordnung des persönlichen Erscheinens vor der togoischen Botschaft erfolgt wäre, hätte keine zwangsweise Durchsetzung dieser Anordnung erfolgen dürfen. Gem. § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden, sie muss jedoch nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Es wäre also zu prüfen gewesen, ob die zwangsweise Durchsetzung notwendig ist.

Der vorliegende Sachverhalt rechtfertigt jedoch eine zwangsweise Durchsetzung nicht. Es war nicht zwingend zu befürchten, dass der Beschwerdeführer den Termin vom 20.08.2008 versäumen würde. So ist der Betroffene am 17.02.2005 bei der Togoischen Botschaft erschienen. Zu diesem Zeitpunkt lag auch sein Identifikationspapier bereits vor. Da es trotz Vorliegens dieses Papieres und seines Erscheinens bei der Botschaft nicht möglich gewesen ist, über mehr als 3 1/2 Jahre einen Pass oder Passersatz für den Betroffenen zu beschaffen, bestand kein Anlass für den Betroffenen zu befürchten, dass eine erneute Vorführung zur Botschaft an diesem Ergebnis etwas ändern könnte. Er hatte somit auch keinen Grund, diesen Termin nicht wahrzunehmen.

Daran ändert auch nichts, dass der Betroffene den zweiten Vorführungstermin vom 29.11.2005 nicht wahrgenommen hat. Dieses Ereignis ist nunmehr nahezu drei Jahre her. Auch die Nichtteilnahme an den weiteren Terminen bei der Botschaft kann nicht zu dem Ergebnis führen, dass eine zwangsweise Durchsetzung zu erfolgen hätte, da der Betroffene von diesen Terminen gar keine Kenntnis hatte.

Das Amtsgericht hätte darüber hinaus auch nicht im Wege der einstweiligen Anordnung und dann auch noch ohne vorherige Anhörung des Betroffenen über den Antrag auf Freiheitsentziehung und Anordnung der Abschiebehaft entscheiden dürfen. Die Freiheitsentziehung setzt grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (vgl. Beschluss des KG Berlin v. 23.04.2008 - Az. 1 W 48/08, KGR Berlin 2008, 624 m.w.N.). Das Amtsgericht hatte nach dem Antrag vom 08.08.2008 genügend Zeit, den Betroffenen zu einer Anhörung zu laden und danach eine Entscheidung zu treffen. [...]

Die Möglichkeit, gem. §§ 11 Abs. 2 Satz 1, 5 Abs. 1 Satz 1 FEVG von der vorherigen Anordnung bei Gefahr im Verzug abzusehen, kann nicht mit dem feststehenden Vorführungstermin und der Gefahr seiner Vereitelung durch Untertauchen des Betroffenen begründet werden. Eine solche Gefahr besteht allgemein, wenn ein Ausländer zur persönlichen Anhörung gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 FEVG geladen wird. Gleichwohl ist die Vorladung zur Anhörung über den Haftantrag Voraussetzung dafür, dass die Vorführung des Betroffenen angeordnet werden kann. Deshalht bedarf es für die Annahme, der Ausländer werde in Kenntnis des Haftantrages auch die Durchführung der Vorführung bei der Auslandsvertretung vereiteln, konkreter Anhaltspunkte (vgl. KG Berlin a.a.O.). Derartige Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich, da der Betroffene regelmäßig die Ausländerbehörde aufsuchte (zur Verlängerung seiner Duldung) und auch regelmäßig zu den Zahltagen im Asylbewerberheim war.

Unter diesen Umständen ist auch nicht ersichtlich, warum das Amtsgericht nicht bereits nach Eingang des Antrages eine endgültige Entscheidung vorbereiten und auch dann bis zum 20.08.2008 treffen konnte, so dass nicht im Wege der einstweiligen Anordnung hätte entschieden werden dürfen.

Letztlich diente der Beschluss vom 15.08.2008 auch nicht der beabsichtigten Vorführung am 20.08.2008, da die Haft nur bis längstens 19.08.2008 angeordnet wurde. Dies war im Übrigen auch die mögliche Höchstdauer für eine derartige Haft von 4 Tagen gem. § 82 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 3 BPolG.

Gemäß § 16 Freiheitsentziehungsgesetz hat die Antragstellerin dem Beschwerdeführer die Auslagen für dieses Verfahren zu erstatten, da - wie oben ausgeführt - kein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages vorlag.

2.) Auch die mit Beschluss des Amtsgerichts Güstrow vom 19.08.2008 angeordnete Haft war rechtswidrig.

a) Soweit auch diese Haft ausweislich des Beschlusstenors zur Sicherung der Teilnahme an der Vorführung zur Botschaft am 20.08.2008 diente, war sie bereits deswegen unzulässig, weil die höchst zulässige Haftdauer von 4 Tagen - wie oben ausgeführt - bereits am 19.08.2008 erreicht war und damit für den 20.08.2008 keine Haft zur Sicherung der Teilnahme an der Vorführung mehr angeordnet werden durfte. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Ausführungen unter 1.) zur Unzulässigkeit dieser Haft.

b) Das Amtsgericht hat darüber hinaus auch rechtswidrigerweise zur Sicherung der Abschiebung Haft für die Dauer von drei Monaten angeordnet.

Durch die noch bis 10.10.2008 wirkende Duldung verbietet sich die Anordnung von Abschiebungshaft. Zwar steht eine Duldung des Aufenthalts der Anordnung von Abschiebungshaft nicht schlechthin entgegen, weil die Duldung weder die Pflicht des Ausländers zum unverzüglichen Verlassen des Bundesgebiets noch die Befugnis der Ausländerbehörde zur Abschiebung berührt (vgl. Beschluss des OLG Frankfurt v. 17.03.1989 - Az. 20 W 94/89 und Beschluss des OLG Frankfurt v. 10.04.2003 - Az. 20 W 69/03).

Vorliegend kämen die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Ziff. 2 und 5 AufenthG in Betracht. Der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG liegt jedoch nur vor, wenn der Ausländer die Verständigung der Ausländerbehörde von dem Aufenthaltswechsel unterlässt, obwohl er den Umständen nach damit rechnet oder zumindest rechnen muss, dass die Ausländerbehörde gegen ihn ein Abschiebungsverfahren eingeleitet hat oder einleiten wird. Die Duldung beseitigt zwar nicht die Ausreisepflicht (§ 60a Abs. 3 AufenthG). Durch sie wird jedoch deren Vollziehung förmlich ausgesetzt (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Im Regelfall wird der Ausländer daher nicht mit seiner Abschiebung im Duldungszeitraum rechnen müssen (vgl. Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts v. 17.01.2001 - Az. 3Z BR 389/00, BayObLGR 2001, 55).

Die Duldung des Betroffenen wurde seit Jahren verlängert. Er musste somit nicht damit rechnen und es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass gegen ihn im Duldungszeitraum ein Abschiebungsverfahren eingeleitet wird.

Gleiches muss für den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Ziff. 5 AufenthG gelten. Um sich der Abschiebung zu entziehen, muss der Betroffene zumindest damit rechnen, dass die Abschiebung gegen ihn auch betrieben wird, wovon - wie oben ausgeführt - im Duldungszeitraum nicht auszugehen ist.

Ein Haftgrund gem. § 62 Abs. 2 Ziff. 1 AufenthG kommt entgegen der Antragstellung nicht in Betracht, da der Haftgrund der unerlaubten Einreise mit der Stellung des Asylantrages entfallen ist (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. § 62, vorläuf. Anwendungshinweise Nr. 62.2.1.1.3).

Im Übrigen dient vorliegend die Anordnung der Abschiebungshaft nicht der Sicherung der Abschiebung. Da die zuständige Verwaltungsbehörde durch die Duldung entschieden hat, die Abschiebung bis zum 10.10.2008 auszusetzen, mangelt es vorliegend an der für die Anordnung von Abschiebungshaft unabdingbaren Zielsetzung, die Abschiebung zu sichern (vgl. Beschluss des LG Freiburg v. 09.03.2004 - Az. 4 T 55/049).

Die Abschiebungshaft wäre darüber hinaus auch völlig unverhältnismäßig. So teilte das Bundespolizeipräsidium Koblenz mit Schreiben vom 26.08.2008 (Bl. 143 d.A.) mit, dass zwar eine Passersatzzusage erreicht wurde, es in letzter Zeit gelegentlich Verzögerungen bei der Ausstellung durch die Botschaft gegeben habe. Es ist somit noch völlig offen, wann überhaupt ein Passersatzpapier vorliegt und bis wann dann die Abschiebung erfolgen kann. Selbst wenn man unterstellen würde, dass dies in dem von der Antragstellerin angegebenen 3-Monats-Zeitpunkt möglich sein sollte, wäre jedoch die Inhaftnahme des Beschwerdeführers zu Beginn dieses Zeitraums von 3 Monaten unzulässig. Dass insbesondere deswegen, weil sich der Beschwerdeführer regelmäßig sowohl bei der Antragstellerin als auch im Asylbewerberheim meldet. Eine Inhaftnahme würde ggf. erst kurz vor dem Abschiebetermin in Frage kommen.

[...]