VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 27.10.2008 - 4 K 432/06 - asyl.net: M14436
https://www.asyl.net/rsdb/M14436
Leitsatz:

Es ist iranischen Staatsangehörigen zuzumuten, eine sog. Freiwilligkeitserklärung gegenüber der iranischen Auslandsvertretung zur Passersatzbeschaffung abzugeben; ein Asylgesuch genügt nicht, um die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG auszulösen; ein vorsätzliches Behindern oder Verzögern der Aufenthaltsbeendigung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG liegt nicht vor, wenn ein Ausländer eine Mitwirkungshandlung verweigert, deren Zumutbarkeit in der Rechtsprechung umstritten ist (hier: Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung); eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG gilt als ein Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, so dass die Ausländerbehörde vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gem. § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG absehen kann.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, abgelehnte Asylbewerber, Ausreisehindernis, Privatleben, EMRK, Integration, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Iran, Iraner, Verschulden, Zumutbarkeit, Freiwilligkeitserklärung, Auslandsvertretung, Mitwirkungspflichten, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Ermessen, Asylantrag, Asylgesuch, Vorsatz, Behinderung der Aufenthaltsbeendigung, Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung, Rechtsprechung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passlosigkeit
Normen: AufenthG § 10 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 48 Abs. 3; AufenthG § 49 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1; AufenthG § 10 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

Es ist iranischen Staatsangehörigen zuzumuten, eine sog. Freiwilligkeitserklärung gegenüber der iranischen Auslandsvertretung zur Passersatzbeschaffung abzugeben; ein Asylgesuch genügt nicht, um die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG auszulösen; ein vorsätzliches Behindern oder Verzögern der Aufenthaltsbeendigung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG liegt nicht vor, wenn ein Ausländer eine Mitwirkungshandlung verweigert, deren Zumutbarkeit in der Rechtsprechung umstritten ist (hier: Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung); eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG gilt als ein Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, so dass die Ausländerbehörde vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gem. § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG absehen kann.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage hat in der Sache teilweise Erfolg. [...]

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

1. Dem Kläger kann nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden, denn sein Asylantrag ist unanfechtbar abgelehnt worden, und er ist bisher nicht ausgereist. [...]

a) Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall eines Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

[...]

bb) Die Ausreise des Klägers ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 <Rn. 17>). [...]

Ein solcher Fall der Verwurzelung liegt bei dem Kläger nicht vor. Allerdings hat der Kläger in bestimmten Bereichen erhebliche Integrationsleistungen erbracht, die über das normale Maß hinausgehen: Er hat sich zumindest in der Vergangenheit umfangreich ehrenamtlich engagiert, wie mehrere in den Akten befindliche Schreiben der Friedenskirche in Bremen belegen. Seine sprachlichen Fähigkeiten entsprechen nach dem Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung denen eines Muttersprachlers. Dem Kläger ist es dagegen bisher nicht gelungen, nachhaltig wirtschaftlich Fuß zu fassen. [...]

b) Auf den fehlenden Besitz eines Heimreisedokumentes kann sich der Kläger nicht berufen. Denn nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden liegt nach Satz 4 der Vorschrift aber insbesondere dann vor, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen zur Beseitigung eines Ausreisehindernisses nicht erfüllt.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger unmöglich sei, ein iranisches Heimreisedokument in Gestalt eines Reisepasses oder eines Laissez Passer zu erlangen. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, er sei im iranischen Personenstandsregister im Register seiner Eltern eingetragen. Ferner hat er bereits in seinem ersten Asylverfahren eingeräumt, einen Führerschein und einen Personalausweis sowie einen Reisepass zur Teilnahme an Sportveranstaltungen besessen zu haben (Bl. 30 BA). [...]

Dem Kläger ist die Beschaffung iranischer Heimreisedokumente auch zumutbar. Nach dem aktuellen Bericht des auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Iran vom 18. März 2008 stellen die iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland Heimreisedokumente grundsätzlich nur dann aus, wenn die betreffende Person persönlich vorgesprochen und dabei zu erkennen gegeben hat, dass sie freiwillig in den Iran zurückkehrt (S. 35). Kläger und Beklagte gehen übereinstimmend davon aus, dass die Beantragung von Heimreisedokumenten nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Kläger erklärt, dass er freiwillig in den Irak zurückkehre. Weitere Ermittlungen sind insoweit nicht veranlasst, zumal auch andere Tatsachengerichte das Erfordernis einer solchen Freiwilligkeitserklärung festgestellt haben (OVG Münster, Urteil vom 18. Juni 2008 – 17 A 2250/07 – AuAS 2008, 208 – juris, Rn. 45 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 20. Oktober 2006 – 10 K 6115/04 – juris, Rn. 15 ff.; vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2007 – 2 St OLG Ss 242/06 – juris, Rn. 44 ff.).

Dem Kläger ist die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung zumutbar, obwohl er selbst nicht freiwillig in den Iran zurückkehren möchte.

Allerdings hält die überwiegende Zahl der ordentlichen Gerichte (KG Berlin, Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 25 W 8380/99 – juris, Rn. 5 – InfAuslR 2000, 229; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 27. Juli 1999 – 20 W 306/99 – juris, Rn. 7 – InfAuslR 1999, 465; OLG Köln, Beschluss vom 10. Februar 2006 – 16 Wx 238/05 – juris, Rn. 4; OLG Nürnberg, a.a.O., juris, Rn. 55 ff. ), einzelne Verwaltungsgerichte (OVG Bautzen, Beschluss vom 21. Juni 2007 – A 2 B 258/06; VG Frankfurt, Urteil vom 23. Januar 2008 – 1 E 3668/07 – juris, Rn. 20 ff.) und Stimmen im Schrifttums (HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 64; Heinhold, ZAR 2003, 218 <224>; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275 <280>) die Abgabe einer solchen Freiwilligkeitserklärung für unzumutbar, wenn ein Ausländer tatsächlich nicht ausreisen will, sondern vielmehr – wie der Kläger – einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland anstrebt. Es sei unzulässig, von einem Ausländer die Abgabe einer wahrheitswidrigen Erklärung zu fordern. Daher erstreckten sich die Mitwirkungspflichten des Ausländers auch nicht auf die Abgabe einer solchen Erklärung. Die staatliche Forderung, eine inhaltlich unwahre Erklärung abzugeben, greife in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dieses schütze vor dem Ansinnen, sich anders darzustellen, als man dies selbst wolle. Dieser Eingriff wiege besonders schwer, da der Geltungsanspruch des Betroffenen beschädigt werde, wenn er selbst als Lügner da stehe. Für einen Eingriff in dieses Grundrecht fehle eine hinreichende Ermächtigungsnorm, aus der sich die Pflicht zur Abgabe einer unwahren Erklärung ergeben (ausführlich: VG Frankfurt, a.a.O., Rn. 20 ff., 30 f.). Zum Teil nehmen die Gerichte eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG an (OLG Nürnberg, a.a.O., Rn. 57).

Die überwiegende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hält die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung dagegen für zumutbar (OVG Münster, Urteil vom 18. Juni 2008 – 17 A 2250/07 – juris, Rn. 55 ff. und Beschluss vom 5. Juni 2007 – 18 E 413/07 – juris, Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2007 – 3 B 34.05 – juris, Rn. 55; VGH München, Beschluss vom 3. August 2007 – 19 ZB 07.1163 – juris, Rn. 5; OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Dezember 2002 – 4 LB 471/02 – juris, Rn. 26 ff.; VGH Kassel, Beschluss vom 28. Januar 2005 – 9 ZU 1412/04; OVG Koblenz, Beschluss vom 5. April 2007 – 7 A 10108/07 u. a. – juris, Rn. 13; VG Augsburg, Beschluss vom 9. Oktober 2008 – Au 6 K 08.1194 – juris, Rn. 39; VG Hamburg, Urteil vom 20. Oktober 2006 – 10 K 6115/04 – juris, Rn. 18); auch diese Auffassung findet Zustimmung im Schrifttum (Hailbronner, AuslR, Loseblatt, Stand: August 2008, § 25 Rn. 148). Dem schließt sich die Kammer an.

Der Kläger besitzt keinen gültigen Pass, so dass er nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet ist, an der Beschaffung dieses Identitätspapieres mitzuwirken. Er ist nach § 49 Abs. 2 AufenthG verpflichtet, die von der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, geforderten und mit deutschem Recht in Einklang stehenden Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Diese Pflichten treffen ihn, ohne dass es hierzu darauf ankommt, ob diese freiwillig erfüllt werden. Sie umfassen – je nach Lage des Einzelfalles – auch die Abgabe von Willenserklärungen, etwa die Beantragung eines Heimreisedokumentes oder die Bevollmächtigung im Heimatstaat lebender Verwandte oder Rechtsanwälte. Dass ein Ausländer derartige Willenserklärungen möglicherweise nicht abgeben will, ändert an dem Pflichtenprogramm des § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nichts.

In der Rechtsordnung ist anerkannt, dass eine Willenserklärung nicht stets mit dem wirklichen Willen des Erklärenden übereinstimmen muss. So wird nach § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Abgabe einer Willenserklärung mit staatlichem Zwang wirksam fingiert, wenn der Betreffende sich weigert, sie abzugeben. Damit wird eine Willenserklärung fingiert, die dem Willen des Erklärenden zwar nicht entspricht, sein entgegenstehender Wille aber rechtlich unbeachtlich ist. So liegt es auch im Fall der Freiwilligkeitserklärung: Der Kläger ist zur Ausreise verpflichtet, auch wenn er dies nicht will. So lange er nicht abgeschoben wird, reist er nach der Rechtsprechung "freiwillig" aus, auch wenn er nach seinem wirklichen Willen im Bundesgebiet verbleiben möchte (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 <Rn. 17>). Sein Wille, nicht auszureisen, ist rechtlich nicht geschützt; dieser Wille kann vielmehr - gegebenenfalls durch Abschiebung – überwunden werden.

Diese Sichtweise verletzt keine Grundrechte des Klägers. Selbst bei Annahme eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG wäre dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Pflichtenstellung des Ausländers ist in § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hinreichend gesetzlich geregelt. Eine weitergehende Regelung der Mitwirkungspflichten scheidet schon deshalb aus, weil der Umfang der Pflichten sich an den Anforderungen zu orientieren hat, die die jeweiligen Heimatstaaten stellen. Der denkbare Eingriff ist erforderlich, um die Ausreisepflicht des Klägers aus § 50 Abs. 1 AufenthG durchzusetzen. Hierzu ist er auch nicht von vornherein ungeeignet, weil einem Ausländer, der zumutbare Anforderungen an die Beschaffung von Identitätspapieren nicht erfüllt, regelmäßig ein legaler Aufenthalt nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG versagt bleibt. Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich; namentlich muss sich der Staat nicht auf Verhandlung um ein Rückführungsabkommen mit dem Iran verweisen lassen (so aber: OVG Bautzen, Beschluss vom 21. Juni 2007). Schließlich wird auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht verletzt. Der Kläger wird nicht zur Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung gezwungen, ihm wird lediglich eine Begünstigung – die begehrte Legalisierung seines Aufenthaltes – versagt. Nähme man die Unzumutbarkeit einer Freiwilligkeitserklärung an, hätten es Ausländer, deren Heimatstaaten solche Erklärungen verlangen, in der Hand, ihre Ausreise oder Abschiebung auf Dauer zu verhindern. § 25 Abs. 5 AufenthG soll aber nicht den Ausländern dienen, die nicht ausreichen wollen, sondern allein denen, die nicht ausreisen können.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt in der Regel voraus, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Passpflicht erfüllt wird. Hieran fehlt es bei dem Kläger, der keinen Pass besitzt, ohne von diesem Erfordernis befreit zu sein. [...]

II. Die Klage hat aber mit ihrem auf Neubescheidung gerichteten Hilfsantrag Erfolg.

1. Einem Neubescheidungsanspruch steht nicht § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern. Der Kläger verfolgt in dem Verfahren 4 K 2286/07 gegenüber der Beklagten das Ziel, subsidiären Flüchtlingsschutz zu erhalten unter Hinweis auf die Lage von Christen im Iran. Es ließe sich erwägen, in diesem Vortrag einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG zu sehen. Ein solches Asylgesuch reicht als tatbestandliche Voraussetzung des § 10 Abs. 1 AufenthG indes nicht aus. Erforderlich ist vielmehr ein formeller Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (HK-AuslR/Müller, 2008, § 10 AufenthG Rn. 4). Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt.

Auch § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG nicht entgegen, obwohl § 104a Abs. 1 AufenthG systematisch in Kapitel 10 des AufenthG steht. Dies folgt aus § 104a Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 2. Halbsatz AufenthG. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG im Falle des Absatz 1 Satz 2 als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und damit nach einer Norm des 2. Kapitels 5. Abschnitt des AufenthG erteilt. Im Übrigen gilt sie nach der gesetzlichen Fiktion des § 104a Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5. Es widerspräche dem gesetzgeberischen Willen, abgelehnten Asylbewerbern vor ihrer Ausreise einen Anspruch nach § 104a Abs. 1 AufenthG von vornherein zu versagen, denn § 104a Abs. 1 AufenthG sollte gerade abgelehnten Asylbewerbern zugutekommen (BTDrucks. 16/5065, S. 201) (wie hier: OVG Hamburg, Urteil vom 29. Januar 2008 – 3 Bf 149/02 – juris, Rn. 70; VG Koblenz, Urteil vom 17. März 2008 – 3 K 1349/07.KO – juris, Rn. 65; VG München, Urteil vom 8. Juli 2008 – M 4 K 07.4829 – juris, Rn. 34; in diese Richtung auch BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, a.a.O., Rn. 12; a. A. OVG Hamburg, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 3 Bs 246/07 – juris, Rn. 4; offen gelassen in: OVG Münster, Beschluss vom 5. Juni 2008 – 18 E 471/08, Rn. 19 ff.). Ob darüber hinaus aus systematischen Gründen die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bei Ansprüchen auf Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a Abs. 1 AufenthG nicht eingreift (so VG Frankfurt, Urteil vom 23. Januar 2008 – 1 E 3668/07 – juris, Rn. 14), bedarf keiner Entscheidung. Denn der Asylantrag des Klägers ist nicht nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.

2. Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegen vor.

[...]

Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen auch die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vor. Der Kläger hat die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht und auch behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert.

Der Kläger hat die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht. Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 10. Mai 2005 (Bl. 490 f. BA) angegeben, er habe sich um Papiere in der iranischen Botschaft bemüht. Dies entsprach im Kern den Tatsachen, wie der mit dem iranischen Generalkonsulat ausgetauschte Briefwechsel belegt, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Ferner hat der Kläger der Kammer auch die Überzeugung vermittelt, dass er - wie in dem genannten Schreiben angegeben - keine Verwandten mehr im Iran habe. Namentlich hat er richtig gestellt, dass er – entgegen einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 25. November 2002 (Bl. 279 ff. BA) – keine Schwester hat, es sich bei der in dem Schreiben genannten Person um eine inzwischen in Australien lebende Tante handelt.

Der Kläger hat auch behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert. Wann ein solches vorsätzliches Hinauszögern oder Behindern vorliegt, ist in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt (vgl. einerseits OVG Münster, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 18 B 230/08 – InfAuslR 2008, 211; andererseits OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Januar 2008 – 12 ME 23/08 – juris, Rn. 4 f.; OVG Münster, Urteil vom 18. Juni 2008 – 17 A 2250/07 – juris, Rn. 77).

Die Kammer hat hierzu Folgendes erwogen: Der Wortlaut der Vorschrift ist eher weit gefasst. Er schließt es - entsprechende Handlungspflichten vorausgesetzt - nicht aus, auch im Unterlassen einer Handlung ein Behindern oder Hinauszögern zu sehen (a.A. HKAuslR/Fränkel, § 104a AufenthG Rn. 13). Eine weite Auslegung der Vorschrift würde indes das Ziel des Gesetzgebers verfehlen, den seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländern eine dauerhafte Perspektive zu geben (vgl. BTDrucks. 16/5064, S. 201). Denn die von der Vorschrift verlangten Duldungszeiten werden häufig darauf beruhen, dass entweder der betreffende Ausländer seine Pflichten nicht erfüllt oder die Behörde nicht mit ausreichendem Nachdruck auf die Erfüllung der Ausreisepflicht gedrängt hat. Dabei bedarf es jeweils einer Betrachtung im Einzelfall, ob das Behindern oder Hinauszögern ein Gewicht erreicht, dass einen Ausschluss des § 104a Abs. 1 AufenthG rechtfertigt. Dabei weist das Bundesministerium des Innern in seinen Hinweisen zu den wesentlichen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (Stand: 2. Oktober 2007) darauf hin, dass ein großzügiger Maßstab anzulegen sei (Rn. 331). Als Beispiele benennt das BMI (Rn. 333) die Vernichtung oder Unterdrückung von Personaldokumenten zur Verhinderung der Abschiebung, das Untertauchen oder die beharrliche Weigerung von Personen in Abschiebehaft, an der Durchsetzung der Ausreisepflicht mitzuwirken, oder die sonstige Verhinderung einer Abschiebung. Vorliegend allein einschlägig wäre das angeführte Beispiel eines Ausländers, der im Rahmen der Passbeschaffung zu einem konkreten Termin oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Vorsprache bei der Vertretung eines ausländischen Staates aufgefordert worden ist und dieser Aufforderung nicht gefolgt ist.

Die Stadt Arnsberg forderte den Kläger mit Schreiben vom 1. August 2002 auf, einen Pass zu beantragen (Bl. 218 BA). Der Kläger weigerte sich mit Schreiben vom 24. Oktober 2002 ausdrücklich, freiwillig an der Passbeschaffung mitzuwirken (Bl. 261 BA). Mit Schreiben vom 6. Oktober 2004 forderte das Stadtamt der Beklagten den Kläger auf, bei der iranischen Botschaft vorzusprechen und sich dort um einen Nationalpass zu bemühen (Bl. 406 BA). Einer mündlichen Aufforderung am 13. Februar 2006 verweigerte sich der Kläger ganz (BA 538 R: "Ach, diese Geschichte schon wieder"). Der Kläger hat sich – mit Ausnahme des Briefwechsels aus 2005 mit dem iranischen Generalkonsulat – nicht um einen Reisepass bemüht. Dies führt indes wegen der Umstände des Einzelfalles nicht zum Eingreifen des Ausschlussgrundes des § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Eine Verpflichtung des Klägers zur Vorsprache bei iranischen Behörden konnte nur bestehen, wenn er dort in zumutbarer Weise einen Reisepass oder andere Heimreisedokumente erlangen konnte. Dies war nur bei Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung möglich. Deren Zumutbarkeit ist indes zwischen mehreren Obergerichten umstritten (s. o.) und bedarf nach der Revisionszulassung durch das OVG Münster in seinem Urteil vom 18. Juni 2008 (a.a.O., juris, Rn. 83) der Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht. In dieser Situation ist es kein vorsätzliches Hinauszögern oder Behindern, wenn ein Ausländer solche Handlungen unterlässt, deren Zumutbarkeit erhebliche Teile der Rechtsprechung mit beachtlichen Argumenten in Zweifel ziehen. Diese Sichtweise entspricht Rn. 335 der Hinweise des BMI, wonach ein Hinauszögern oder Behindern jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn ein Ausländer Rechtsmittel gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen einlegt. Dem Kläger war in der ungewissen Rechtssituation zuzugestehen, zunächst eine gerichtliche Klärung der ihn treffenden Pflichten zu verlangen.

3. Der Kläger erfüllt die für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG. Es fehlt aber an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG – Erfüllung der Passpflicht. Insoweit liegt auch kein atypischer Fall vor (s.o.).

Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann die Beklagte in den - nicht in Satz 1 der Vorschrift genannten - Fällen eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG absehen. Dieses Absehensermessen ist auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG eröffnet, weil diese Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz AufenthG als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 gilt (VG Bremen, Beschluss vom 17. April 2008 – 4 K 2458/07). Gleiches gilt für die nach § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis, die als solche nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt wird. Dieses Absehensermessen hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 25. September 2007 – aus ihrer Sicht folgerichtig – bisher nicht ausgeübt, so dass sie zur Neubescheidung zu verpflichten war.

[...]