VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 12.11.2008 - 19 ZB 08.1943 u.a. - asyl.net: M14533
https://www.asyl.net/rsdb/M14533
Leitsatz:

Zuwendungen Dritter, insbesondere Unterhaltszahlungen von Familienangehörigen, sind bei der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts auch dann zu berücksichtigen, wenn es um die Erteilung, Verlängerung oder das Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis geht.

 

Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, Niederlassungserlaubnis, Erlöschen, Verlängerung, Lebensunterhalt, Unterhalt, Familienangehörige
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 51 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 2 Abs. 3; AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

Zuwendungen Dritter, insbesondere Unterhaltszahlungen von Familienangehörigen, sind bei der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts auch dann zu berücksichtigen, wenn es um die Erteilung, Verlängerung oder das Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis geht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

1. Die von der Klägerin fristgerecht beantragte (§ 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO) und ebenfalls fristgerecht begründete (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. Juni 2008 ist zulässig und begründet. Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils begegnet ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung tragend davon ausgegangen, dass die Niederlassungserlaubnis der Klägerin entgegen § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nach § 51 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 AufenthG erloschen sei, weil es an einer eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin fehle und Beiträge der Familienangehörigen – hier des Sohnes – zum Haushaltseinkommen nicht berücksichtigt werden dürften. § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG sehe eine solche Berücksichtigung ausdrücklich nur bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor. Hieraus sei abzuleiten, dass es in sonstigen Fällen einer erforderlichen Sicherung des Lebensunterhalts – beispielsweise im Hinblick auf die Erteilung oder Verlängerung einer Niederlassungserlaubnis – auf etwaige Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen nicht ankomme. Eine von einer spezifischen Zwecksetzung unabhängige, zeitlich unbeschränkte Niederlassungserlaubnis setze ein erhöhtes Integrationsmaß voraus, weshalb Beiträge von Familienangehörigen nicht als ausreichend angesehen werden könnten. Für die Aufrechterhaltung einer Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 2 AufenthG dürfe nichts anderes gelten als für deren Erteilung nach § 9 AufenthG.

b) Diese Überlegungen finden im Aufenthaltsgesetz keine Stütze. Das Verwaltungsgericht verkennt, dass das Zuwanderungsgesetz im Hinblick auf das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts zu Erleichterungen geführt hat. Während im Ausländergesetz noch verlangt wurde, dass der Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert war (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2, § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG), genügt es nach dem Aufenthaltsgesetz, dass der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestritten werden kann. Somit können nunmehr auch freiwillige Leistungen Dritter, beispielsweise von Familienangehörigen, berücksichtigt werden (vgl. HK-AuslR/Hoffmann, 2008, RdNr. 17 zu § 2 AufenthG; Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 RdNr. 121; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2008, § 2 RdNrn. 54.5 u. 55; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2008, RdNr. 34 zu § 2 AufenthG). Hiervon ist in Ermangelung abweichender Gesichtspunkte im Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auszugehen (so zutreffend Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2008, § 2 RdNr. 55). Berücksichtigungsfähig sind sowohl Geldleistungen als auch geldwerte Vorteile, die zu einer Erhöhung des Einkommens oder zur Ersparnis von Aufwendungen, beispielsweise bei kostenlosem oder vergünstigtem Wohnen, führen (vgl. HK-AuslR/Hoffmann, 2008, RdNr. 17 zu § 2 AufenthG). § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG bringt dies für den in der Praxis häufigsten Fall der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug positiv zum Ausdruck. Daraus darf jedoch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht gefolgert werden, dass Gleiches bei der Erteilung oder Verlängerung einer Niederlassungserlaubnis nicht der Fall sein könne, nur weil der Gesetzgeber dies nicht eigens hervorgehoben habe. Eine solche Annahme ist ohne Grundlage. Aus dem Umstand allein, dass der Gesetzgeber für einen bestimmten Aufenthaltstitel – die Aufenthaltserlaubnis – positiv festgestellt hat, dass Beiträge von (nachgezogenen) Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen zu berücksichtigen sind, darf ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers nicht geschlossen werden, dass dies für andere Aufenthaltstitel – die Niederlassungserlaubnis – ausgeschlossen sei. Eine solches Verständnis würde vor dem Hintergrund des in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG normierten Grundsatzes, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers stets dann gesichert ist, wenn er ihn entweder aus eigenen Mitteln oder aus Mitteln Dritter, die keine öffentlichen Mittel sind, bestreiten kann (vgl. Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 RdNr. 121; HK-AuslR/Hoffmann, 2008, RdNr. 17 zu § 2 AufenthG), die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sprengen. Der Richter darf in Anwendung der anerkannten Auslegungsregeln lediglich Lücken schließen; er darf sich aber dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes nicht entziehen und sich mit seiner Entscheidung nicht aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben (vgl. BVerfGE 96, 375 [394]). Es verbleibt daher auch für die Niederlassungserlaubnis beim Grundsatz des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (so ausdrückl. auch Nr. 2.3.1 der Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI). Andernfalls würden bei deren Erteilung oder Verlängerung Unterhaltsleistungen eines jeden beliebigen Dritten zu berücksichtigen sein, solche von Familienangehörigen hingegen nicht – ein vom Gesetzgeber in keiner Weise gewolltes und mit dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) nicht in Einklang zu bringendes Ergebnis.

c) Dem steht nicht entgegen, dass ein Ausländer, dessen Aufenthalt auf Dauer angelegt ist, seinen Lebensunterhalt auch dauerhaft ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten können muss (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 29.11.2006 – 11 LB 127/06 –, Juris). Dieses Erfordernis schließt die Berücksichtigung freiwilliger Leistungen Dritter zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2008, § 2 RdNrn. 54.5 und 55; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2008, § 2 AufenthG, RdNr. 34; Nds. OVG, Beschluss vom 29.11.2006 – 11 LB 127/06 –, Juris; Ziff. 2.3.3 der vorläufigen Anwendungshinweise des BMI zum AufenthG). Vielmehr sind aufgrund der mit freiwilligen Leistungen Dritter verbundenen Unsicherheiten und Risiken lediglich höhere Anforderungen an den Nachweis der Leistungsfähigkeit des Dritten zu stellen. Voraussetzung ist deshalb grundsätzlich, dass die entsprechenden Leistungen auch tatsächlich erbracht werden und ihr Fortbestand über den gesamten Aufenthaltszeitraum hinweg gewährleistet ist (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: April 2008, RdNr. 34 zu § 2 AufenthG; Nds. OVG, Beschluss vom 29.11.2006 – 11 LB 127/06 –, Juris). Letzteres kann etwa dadurch geschehen, dass ein selbständiges Schuldversprechen nach § 780 BGB oder eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben wird, die dem Umfang nach den gesamten weiteren ins Auge gefassten Aufenthalt im Bundesgebiet sichert (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2008, § 2 RdNr. 55; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2008, RdNr. 34 zu § 2 AufenthG; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 3. Aufl., 2007, § 7 RdNr. 54; Nds. OVG, Beschluss vom 29.11.2006 – 11 LB 127/06 –, Juris). Werden hingegen Leistungen eines Familienangehörigen in Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erbracht, so ist in aller Regel eine förmliche Erklärung nicht erforderlich (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2008, § 2 RdNr. 55; Nr. 2.3.3.3 der Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI zum AufenthG). Zur Sicherstellung des Lebensunterhalts durch gesetzlich zum Unterhalt verpflichtete Familienangehörige reicht es vielmehr aus, dass diese aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Lage sind, den Unterhalt im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG auf längere Sicht zu gewährleisten (so ausdrücklich Welte, in: Welte/Jakober, Aktuelles Ausländerrecht, Stand: Oktober 2008, RdNr. 33 zu § 9 AufenthG).

d) Ebenso wenig kann § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG einer Berücksichtigung von Leistungen Dritter zur Sicherung des Lebensunterhalts entgegengehalten werden. Zum einen setzt auch § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG eine "eigenhändige" Sicherung des Lebensunterhalts nicht voraus. Die Vorschrift fordert lediglich, dass der Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (vgl. Welte, in: Welte/Jakober, Aktuelles Ausländerrecht, Stand: Oktober 2008, RdNr. 30 zu § 9 AufenthG). Auch die Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI (vgl. Nr. 9.2.2) erschöpfen sich insoweit in der lapidaren Feststellung: "Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts gilt § 2 Abs. 3" (AufenthG). Zum anderen lassen sich die im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geltenden Prognosemaßstäbe nicht in vollem Umfang auf den Fall des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG übertragen. Insoweit darf nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Betroffene sich bereits seit mindestens 15 Jahren im Bundesgebiet aufgehalten hat und er darüber hinaus auch bereits im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, es sich also gerade nicht um den Fall einer erstmaligen Erteilung handelt.

Bei der nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu treffenden Prognoseentscheidung gewinnt deshalb der Umstand, dass der Lebensunterhalt des Betroffenen bereits gesichert war, besonders Gewicht. Lag im Zeitpunkt der Ausreise eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht vor und war der Lebensunterhalt durch eigene Mittel des Ausländers oder durch Beiträge Dritter gewährleistet, so besteht regelmäßig eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Betroffene auch künftig in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt zu sichern, sofern am Fortbestand der bisher zur Verfügung stehenden Leistungen vernünftige Zweifel nicht bestehen.

Bestätigung erfährt dieser Befund nicht zuletzt dadurch, dass § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG – im Gegensatz zur früheren Rechtslage – nicht mehr auf die Art des Einkommens abstellt, sondern ausschließlich darauf, ob der Lebensunterhalt des Ausländers tatsächlich gesichert ist (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2006, RdNr. 28 zu § 51 AufenthG). Auf die Aufzählung von Einkommensarten wurde unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Begriff des gesicherten Lebensunterhalts in § 2 Abs. 3 AufenthG verzichtet (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 89). Damit gelten auch insoweit die allgemeinen Regeln. Auch die Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI (vgl. Nr. 51.2.1) verweisen zur Frage der Sicherung des Lebensunterhalts auf § 2 Abs. 3 AufenthG. Eine Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne einer "eigenhändigen" Deckung des Lebensbedarfs ist damit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erforderlich. Folglich sind auch Beiträge Dritter – namentlich von Familienangehörigen – zu berücksichtigen.

Von nicht unerheblicher Bedeutung ist insoweit auch, dass die Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerade die eheliche Lebensgemeinschaft älterer ausländischer Arbeitnehmer, die ansonsten nach Beginn ihres Rentenbezugs nicht für einen längeren Zeitraum in ihr Heimatland zurückkehren könnten, begünstigt (vgl. näher Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2006, RdNr. 30 zu § 51 AufenthG; Renner, AuslR, 8. Aufl., 2005, RdNr. 15 zu § 51 AufenthG). Mit der darin zum Ausdruck kommenden Privilegierung hat der Gesetzgeber seiner aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht Rechnung getragen. Dies schließt es aus, Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhalts zu stellen, die durch überwiegende Interessen des Gemeinwohls nicht geboten sind und den Betroffenen unzumutbare Belastungen auferlegen. [...]