OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 14.10.2008 - 3 Bf 370/07 - asyl.net: M14748
https://www.asyl.net/rsdb/M14748
Leitsatz:

Eine Täuschung über aufenthaltsrechtliche Umstände gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG schließt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallreglung auch dann aus, wenn sie nicht ursächlich für den weiteren Aufenthalt war, weil sie letztlich erfolglos blieb; es bleibt offen, ob § 85 AufenthG entsprechend auf die Aufenthaltsdauer gem. § 104 a Abs. 1 AufenthG anzuwenden ist, da Unterbrechungen allenfalls außer Acht bleiben würden, nicht aber auf die notwendige Aufenthaltsdauer angerechnet werden.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Aufenthaltsdauer, Duldung, Anspruch, Unterbrechung, Täuschung, Falschangaben, Ursächlichkeit
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 85
Auszüge:

Eine Täuschung über aufenthaltsrechtliche Umstände gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG schließt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallreglung auch dann aus, wenn sie nicht ursächlich für den weiteren Aufenthalt war, weil sie letztlich erfolglos blieb; es bleibt offen, ob § 85 AufenthG entsprechend auf die Aufenthaltsdauer gem. § 104 a Abs. 1 AufenthG anzuwenden ist, da Unterbrechungen allenfalls außer Acht bleiben würden, nicht aber auf die notwendige Aufenthaltsdauer angerechnet werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Berufung der Klägerin bleibt vollständig ohne Erfolg. Sie ist auch insoweit nicht begründet, als sie - nach Maßgabe der durch das o. g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2007 erfolgten Zurückverweisung an das Berufungsgericht - nunmehr auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung vom 28. August 2007 gerichtet ist. Die Klägerin hat keinen dahin gehenden Anspruch. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus der insoweit allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 104 a Abs. 1 AufenthG, da die dortigen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vollständig erfüllt sind. [...]

a) Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzung der am Stichtag (1.7.2007) ununterbrochen geduldeten, gestatteten oder aus humanitären Gründen erlaubten Mindestaufenthaltszeit von acht Jahren. [...]

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Zeitraum vom 17. Dezember 2004 bis zum 9. Mai 2005 nicht wie ein tatsächlich geduldeter Aufenthalt zu behandeln. Es kommt zwar möglicherweise in Betracht, auch solche Zeiten als "geduldet" im Sinne von § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen, in denen der Ausländer zwar tatsächlich keine Duldung besessen hat, er aber einen gesetzlichen Anspruch darauf hatte und die Ausländerbehörde diesen nicht erfüllt hat (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 104 a, Stand Januar 2008, Rn. 8). Es kann hier jedoch dahin gestellt bleiben, ob vom Ansatz her derartige Zeiten den Zeiten tatsächlich erfolgter Duldung gleichzusetzen sind. Denn die Klägerin hatte in dem genannten Zeitraum keinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Wie die Beklagte zutreffend vorträgt, stand ihrer Abschiebung keine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit entgegen, die einen gesetzlichen Duldungsanspruch (ab dem 1.1.2005 nach § 60 a Abs. 2 AufenthG, vom 17.12.2004 bis 31.12.2004 gemäß § 55 Abs. 2 AuslG) hätte begründen können. [...]

bb) Die Klägerin kann auch nicht auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung von § 85 AufenthG die Voraussetzung des am Stichtag seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldeten, gestatteten oder aus humanitären Gründen erlaubten Aufenthalts erfüllen.

Nach § 85 AufenthG können Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben. Es braucht hier nicht geklärt zu werden, ob diese Vorschrift auf Unterbrechungen geduldeten Aufenthalts überhaupt entsprechend angewendet werden kann. Denn selbst in diesem Fall würde die Bestimmung ihrer Rechtsfolge nach der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen: Das "außer Betracht bleiben" von Unterbrechungen bedeutet nämlich nicht etwa, dass die Phasen des unrechtmäßigen (bei entsprechender Anwendung: nicht geduldeten) Aufenthalts als rechtmäßig (bzw. geduldet) zu fingieren wären; sie können lediglich gleichsam "hinweggedacht" werden, um ggf. einen "ununterbrochen" rechtmäßigen (bzw. geduldeten) Aufenthalt zu konstruieren (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 85 AufenthG, Rn. 2; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand April 2005, § 85 Rn. 13). Soweit das Gesetz für die Erlangung einer Rechtsposition jedoch neben einem ununterbrochen rechtmäßigen (bzw. geduldeten) Aufenthalt auch noch eine bestimmte Mindestdauer voraussetzt, bleibt dieses Erfordernis unberührt. Auf § 104 a Abs. 1 AufenthG bezogen bedeutet dies, dass auch eine entsprechende Anwendung von § 85 AufenthG nichts an dem Erfordernis der Mindestzeit von acht Jahren am Stichtag ändern könnte. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin jedoch selbst dann nicht, wenn der Zeitraum vom 17. Dezember 2004 bis zum 9. Mai 2005 ausgeblendet würde: Der Zeitraum vom 13. April 1999 bis zum 17. Dezember 2004 und der Zeitraum vom 9. Mai 2005 bis zum 1. Juli 2007 ergeben in der Summe keine acht Jahre, sondern rund sieben Jahre und zehn Monate.

b) Einem Anspruch der Klägerin aus § 104 a Abs. 1 AufenthG steht außerdem der Ausschlussgrund des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entgegen, da sie bei ihrem Verlängerungsantrag vom 17. Februar 2004 die Beklagte (vertreten durch die Ausländerbehörde) vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht hat. [...]

Dem Ausschlussgrund der vorsätzlichen Täuschung im Sinne von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG steht nicht entgegen, dass die Täuschung im Ergebnis insofern ohne Erfolg geblieben ist, als die Beklagte später dennoch den wahren Sachverhalt in Erfahrung gebracht und den Verlängerungsantrag der Klägerin abgelehnt hat.

§ 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG setzt nicht voraus, dass der Ausländer durch Täuschung einen Aufenthaltstitel erwirkt hat; die Bestimmung knüpft die Rechtsfolge des Anspruchsausschlusses an das Täuschungsverhalten des Ausländers und nicht daran, dass die Täuschung zum gewünschten Erfolg führt (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 104 a Rn. 38).

dd) Ebenso wenig erfordert es das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in dieser Variante, Feststellungen darüber zu treffen, in welchem Ausmaß die Täuschungshandlung der Klägerin tatsächlich ursächlich für eine Verlängerung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet geworden ist.

Soweit sich die Klägerin auf den Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) vom 16./17. November 2006 bezieht und der Täuschung die aufenthaltsrechtliche Relevanz abspricht, führt dies nicht zum Erfolg. Abgesehen davon, dass dieser Erlass durch die gesetzliche Altfallregelung des § 104 a AufenthG überholt worden ist (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 29.1.2008, 3 Bf 149/02, juris), greift das Argument auch in der Sache nicht durch. Zwar heißt es in der von der Beklagten zur Umsetzung des IMK-Beschlusses erlassenen Weisung 1/2006 vom 29. November 2006 unter Nr. 1.7.1, der Ausschlussgrund der vorsätzlichen Verzögerung oder Behinderung der Aufenthaltsbeendigung setze voraus, dass die betreffenden Handlungen sich kausal auf die Länge des Aufenthalts in Deutschland ausgewirkt hätten. Diese Wertung bezieht sich aber nicht auf den dort im gleichen Zuge behandelten weiteren Ausschlussgrund der vorsätzlichen Täuschung über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände. Auch die Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zu § 104 a AufenthG (Rn. 331 - 334, Stand 18.12.2007) unterscheiden in ähnlicher Weise zwischen den Anforderungen an die beiden Ausschlussgründe der Täuschung einerseits und des Hinauszögerns oder Behinderns aufenthaltsbeendender Maßnahmen andererseits. Diese Unterscheidung erscheint auch nicht sinnwidrig, da eine vorsätzliche Täuschung der Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände - jedenfalls in der im vorliegenden Fall gegebenen, von einigem Gewicht gekennzeichneten Täuschungsvariante - von anderer - negativer - Qualität ist als ein bloßes Verzögern oder Behindern der Beendigung des eigenen Aufenthalts; dies zeigt schon die strafrechtliche Bewertung eines solchen Täuschungsverhaltens (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG und die Vorgängerbestimmung in § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG). [...]