OLG Thüringen

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Zitieren als:
OLG Thüringen, Beschluss vom 18.09.2009 - 1 Ss 257/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 99 f.] - asyl.net: M16385
https://www.asyl.net/rsdb/M16385
Leitsatz:

Die Wertung in dem angefochtenen Urteil zu Lasten des Angeklagten, dass er "sich nach wie vor nicht kooperativ gegenüber der Ausländerbehörde verhält", kann einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot darstellen.

Bei Sozialhilfeempfängern und diesen vergleichbaren Personen sind für die Bemessung der Tagessatzhöhe und für die Entscheidung etwaiger Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) konkrete Feststellungen zu den monatlichen Einkünften zu treffen. Insbesondere bei einer hohen Anzahl von Tagessätzen hat der Tatrichter zu prüfen, ob die progressive Steigerung des Strafübels nicht zu einem Einwirkungsübermaß und zu desozialisierenden Folgen führt. Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB sind zwingend anzuordnen, wenn dem Angeklagten die sofortige Zahlung der Geldstrafe nicht zumutbar ist.

Schlagwörter: Ausländerstrafrecht, Revision, Strafbefehl, Rechtsfolgenausspruch, Doppelverwertungsverbot, Geldstrafe, Tagessatz
Normen: AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2, StGB § 43 Abs. 3
Auszüge:

[...]

2: Das angefochtene Urteil wertet bei der Strafzumessung - ersichtlich zu Lasten des Angeklagten - dass dieser "sich nach wie vor nicht kooperativ gegenüber der Ausländerbehörde verhält". Es bleibt offen, worauf sich diese Formulierung beziehen soll: auf die bloße Wiederholung der Tat als Strafverschärfungsgrund, auf das Verhalten nach der Tat oder aber, was bei der gewählten Formulierung nahe liegt, auf der erschwerenden Berücksichtigung der Tatbegehung als solcher.

Letzteres würde aber, wie von der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in deren Zuschrift an den Senat dargelegt, einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot darstellen. Nach dem rechtskräftigen Schuldspruch wird dem Angeklagten nämlich gerade die fehlende Mitarbeit gegenüber der Ausländerbehörde zur Last gelegt, indem er dieser gegenüber unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe, um seine Duldung zu erreichen. Das Amtsgericht hätte somit gegen das Verbot verstoßen, Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 StGB).

Bei den anderen Möglichkeiten der Auslegung würden jedenfalls die erforderlichen Feststellungen zu den Vorstrafen bzw. zum Nachtatverhalten fehlen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesen in Betracht kämmenden Rechtsfehlern beruht.

3. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten unzureichend aufgeklärt hat, was sich im Ausspruch der Höhe der Geldstrafe und der Festsetzung der Höhe des Tagessatzes zu Ungunsten des Angeklagten ausgewirkt haben kann.

Bei Sozialhilfeempfängern und diesen vergleichbaren Personen sind für die Bemessung der Tagessatzhöhe und für die Entscheidung über etwaige Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) konkrete Feststellungen zu den monatlichen Einkünften zu treffen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 109, 110; OLG Köln, Beschluss vom 24.03.2009, 83 Ss 13/09 bei juris).

Hier wird vom Tatgericht zwar mitgeteilt, wie hoch die monatlichen Sachbezüge des Angeklagten sind: 126,00 € sowie 1/6 von 112,00 €; insgesamt ca. 144,00 €. Diese Sachbezüge sind bei der Ermittlung des für die Höhe des Tagessatzes maßgeblichen Einkommens zu berücksichtigen (vgl. OLG Köln a.a.O., m.w.N.). Auch wird ausgeführt, dass der Angeklagte in einem Ein-Euro-Job tätig ist. Insoweit teilt das Amtsgericht aber nicht mit, über welche monatlichen Einnahmen der Angeklagte aus dieser Tätigkeit verfügt.

Dies ist bei einem Sozialhilfeempfänger, der über geringe Einkünfte verfügt, jedoch unverzichtbar, weil bei Einkünften am Rande des Existenzminimums eine Senkung der Tagessatzhöhe in Betracht kommt, wenn die sich aus der rechnerischen Bestimmung ergebene absolute Belastung unverhältnismäßig wäre (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage, § 40 Rn. 24 m.w.N.). Das Amtsgericht hat auch nicht festgestellt, welchen Betrag der Angeklagte aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse als unerlässlichen Lebensunterhalt benötigt. Dem Gebot der Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wird bei einem Sozialleistungsempfänger nur die Bemessung der Geldstrafe an Hand desjenigen Betrages gerecht, den dieser während eines angemessenen Ratenzahlungszeitraumes nach § 42 StGB ohne Beeinträchtigung seines unerlässlichen Lebensbedarfs aufbringen kann (vgl. OLG Frankfurt, StV 2007, 470).

insbesondere bei einer hohen Anzahl von Tagessätzen, wie vorliegend, hat der Tatrichter zu prüfen, ob die progressive Steigerung des Strafübels nicht zu einem Einwirkungsübermaß und zu desozialisierenden Folgen führt (vgl. LK-Häger StGB, 12. Aufl., § 40 Rn. 60; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 167, 168). Auch dieser Fehler kann sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.

Weiter ist darauf hinzuweisen, dass Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zwingend anzuordnen sind, wenn dem Angeklagten eine sofortige Zahlung der Geldstrafe nicht zumutbar ist. Dies hat das Amtsgericht gleichfalls nicht geprüft.

4. Entgegen dem Revisionsvorbringen war das Amtsgericht jedoch nicht gehindert, auch die wahrheitswidrige Angabe einer sierra-leonischen Herkunft am 26:06.2007 vor einem Vertreter der Botschaft Sierra Leones bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, denn das Tätigen von unrichtigen oder unvollständigen Angaben, um für sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, war auch vor dem 28.08.2007 strafbar. [...]