VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Beschluss vom 23.10.2009 - 5 L 557/09.DA (2) - asyl.net: M16788
https://www.asyl.net/rsdb/M16788
Leitsatz:

1. Ein drittstaatsangehöriger Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen kann sich nicht auf Freizügigkeit berufen, wenn die Eheschließung in Dänemark erfolgte.

2. Ein Freizügigkeit vermittelnder, grenzüberschreitender Sachverhalt setzt voraus, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben muss.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: drittstaatsangehöriger Ehegatte, Drittstaatsangehörige, deutsche Staatsangehörigkeit, deutscher Ehegatte, Familienzusammenführung, Freizügigkeit, freizügigkeitsberechtigt, Freizügigkeitsrecht, Unionsbürger, Schengen-Visum, Eheschließung im Ausland, Heirat in Dänemark, Eheschließung in Dänemark, Heirat im Ausland, Arbeitnehmerfreizügigkeit, EuGH, Familiennachzug, Ehegattennachzug,
Normen: AufenthG § 28, AufenthV § 39, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, EG Art. 18,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller zu 1) ist auch nicht aufgrund der Eheschließung in Dänemark mit der Antragstellerin zu 2) freizügigkeitsberechtigt. Der hier gegebene Sachverhalt weist zwar einen gemeinschaftsrechtlichen Bezug auf: Die Antragstellerin zu 2) ist gemeinsam mit dem Antragsteller zu 1) von Deutschland aus nach Dänemark gereist, hat diesen dort geheiratet und ist sodann mit ihm nach Deutschland zurückgekehrt. Sie dürfte damit von dem Recht auf Freizügigkeit aus Art. 18 EG und durch die entgeltliche Entgegennahme von Transportleistungen, Verpflegung usw. von der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG Gebrauch gemacht haben.

Dieser gemeinschaftsrechtliche Bezug reicht zur Begründung eines gemeinschaftsrechtlichen Status der Antragstellerin zu 2), der dem Antragsteller zu 1) als drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers Freizügigkeit vermitteln könnte, nicht aus.

Zwar hat der Europäische Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen anerkannt, dass ein Unionsbürger, der von seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat, bei der Rückkehr in sein Heimatland, den gemeinschaftsrechtlichen Status mitnehmen kann (EuGH, U. v. 07.07.1992 – C-370/90 – Singh, Slg. 1992, I-4265; U. v. 23.09.2003 – C-109/01 – Akrich, Slg. 2003, I-9607; U. v. 11.12.2007 – C-291/05 – Eind, Rn. 32 ff.). Gleiches gilt nach der Rechtssache Carpenter (EuGH, U. v. 11.07. 2002 – C-60/00 – Carpenter, Rn. 29), wenn der Unionsbürger durch die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen von seinem Heimatland aus von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht. Auch in einem solchen Fall soll ein drittstaatsangehöriger Ehegatte Freizügigkeit beanspruchen können. Jedoch ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch geklärt, dass ein Freizügigkeit vermittelnder, grenzüberschreitender Sachverhalt voraussetzt, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben muss. Würde jegliche Form des Gebrauchmachens von dem Recht auf Freizügigkeit oder der Dienstleistungsfreiheit, sei es aus touristischen oder sonstigen Zwecken zur Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf drittstaatsangehörige Familienangehörigen bei Rückkehr nach Deutschland führen, liefe das Recht der Nationalstaaten auf Regelung von Einreise und Aufenthalts im Falle des Ehegattennachzugs weitgehend leer (ebenso VG Aachen, B. v. 10.09.2009 – 27 L 2043/08 –). Erforderlich ist daher eine bestimmte Qualität des Gebrauchmachens von den Unionsbürgerrechten. Auch der Europäische Gerichtshof erkennt in seiner Rechtsprechung das Erfordernis einer wertenden Betrachtung an, wenn er ausführt, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit "keinem relevanten Element" über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (EuGH, U. v. 25.07.2008 – C-127/08 – Metock, Rn. 77, NVwZ 2008, 1097; U. v. 01.04.2008 – C-212/06 – Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Rn. 33).

Diesen wertenden Ansatz verfolgt der Europäische Gerichtshof auch bei der Konkretisierung der Grundfreiheiten. So hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG die einschränkende Voraussetzung aufgestellt, dass als Arbeitnehmer nur angesehen werden kann, "wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die nicht einen so geringen Umfang hat, dass es sich um völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten handelt" (EuGH, U. v. 30.06.2006 – C-10/05 – Mattern, Rn. 18; U. v. 03.07.1986 – Rs. 66/85 – Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Rn. 17; U. v. 26.02.1992 – Rs. C-3/90 – Bernini, Slg. 1992, I–1071, Rn. 14; U. v. 26.02.1992 – Rs. C-357/89 – Raulin, Slg. 1992, I–1027, Rn. 10). Für den Bereich der Dienstleistungserbringung vom Inland aus hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Carpenter einschränkend ausgeführt, dass der Unionsbürger "zu einem erheblichen Teil" Dienstleistungen gegen Entgelt in anderen Mitgliedstaaten erbracht haben muss (EuGH, U. v. 11.07. 2002 – C-60/00 – Carpenter, Rn. 29).

Unter Berücksichtigung dieser wertenden Gesichtspunkte führen kurzfristige Aufenthalte, z. B. in Form eines Urlaubs oder einer Geschäftsreise in andere EU-Staaten, nicht dazu, dass ein deutscher Staatsangehöriger den Freizügigkeitsstatus bei seiner Rückkehr in Deutschland beibehält und damit gemeinschaftsrechtliche Grundsätze auf den Familiennachzug anzuwenden sind. Auch die hier erfolgte Einreise nach Dänemark und der dort mit der Eheschließung verbundene Aufenthalt sind bei wertender Betrachtung nicht ausreichend, um einen gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalt zu begründen, bei dem der Antragsteller zu 1) sich in Bezug auf den Familiennachzug auf Freizügigkeit berufen könnte.

Darüber hinaus spricht auch der Schutzzweck, den der Europäische Gerichtshof mit seiner weiten Auslegung hinsichtlich der Mitnahme des Freizügigkeitsstatus eines Inländers bei Rückkehr in das Heimatland verfolgt, gegen die Einbeziehung kurzfristiger Aufenthalte, bei denen durch Inländer von der Dienstleistungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht wurde.

Der Europäische Gerichtshof verfolgt mit seiner Rechtsprechung das Ziel, Beschränkungen der Freizügigkeit entgegenzuwirken, die dadurch entstehen können, dass ein EU-Bürger von dem Gebrauchmachen der Freizügigkeit abgehalten wird, wenn die Aussicht besteht, zum Zeitpunkt der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein möglicherweise im Herkunftsstaat begründetes familiäres Zusammenleben nicht ungehindert fortsetzen zu können (siehe hierzu VGH BW, B. v. 08.07.2008 – 11 S 1041/08 – InfAuslR 2008, 444 m.w.N.). Eine Einschränkung des Zusammenlebens oder eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Ehegatten bei Rückkehr in den Herkunftsstaat ist geeignet, den Gemeinschaftsbürger davon abzuschrecken, sich in den Aufnahmemitgliedstaat zu begeben, um dort etwa durch Aufnahme einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis seiner Freizügigkeit nachzugehen.

So hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Eind (EuGH, U. v. 11.12.2007 – C 291/05 – Eind, Rn 35 ff.) ausgeführt, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats davon abgeschreckt werden könnte, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wenn nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat ein Zusammenleben mit seinen nahen Angehörigen nicht möglich wäre. Die Hindernisse für die Familienzusammenführung können daher das Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigen, sodass die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Freizügigkeit dazu führt, die Rückkehr eines Gemeinschaftsarbeitnehmers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht als rein inländischen Sachverhalt zu betrachten.

Die erwähnte abschreckende Wirkung tritt indes nicht in gleicher Weise ein, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats zur Entgegennahme von Dienstleistungen, etwa im Rahmen eines touristischen Aufenthalts oder der Eheschließung, in einen anderen Mitgliedsstaat reist. Denn der Freizügigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ist die Rückkehr in den Herkunftsstaat nach einem vorübergehenden Aufenthalt immanent. Die Dienstleistungserbringung ist mit keinem Daueraufenthalt verbunden, sondern erfolgt im Rahmen einzelner, grundsätzlich inhaltlich und zeitlich begrenzter Tätigkeiten im Aufnahmeland. Hier besteht – anders als bei der Arbeitsaufnahme oder einer auf Dauer angelegten Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat – nicht in gleicher Weise das Bedürfnis, die Rückkehr in den Heimatstaat durch Mitnahme der Freizügigkeitsrechtsstellung abzusichern. Der EU-Bürger, der sich zu touristischen Zwecken, einer Geschäftsreise oder ähnlich kurzfristigen Aufenthalten in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, kann nicht auf eine Verbesserung seiner Rechtsstellung bei Rückkehr in sein Heimatland vertrauen. Er steht daher nicht zu erwarten, dass er davon abgehalten würde, von seiner passiven Dienstleistungsfreiheit oder seiner Rechte aus Art. 18 EG Gebrauch zu machen. [...]