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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 18.05.2010 - 1 B 1.10 - asyl.net: M17134
https://www.asyl.net/rsdb/M17134
Leitsatz:

Für Rechtsstreitigkeiten um die Bewilligung der Auslieferung eines Verfolgten im Sinne des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (hier: an einen Mitgliedstaat der EU zum Zwecke der Strafvollstreckung) ist nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben (§ 13 Abs. 1 Satz 1 IRG).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Auslieferung, Auslieferungsrecht, Europäischer Haftbefehl, öffentlich-rechtliche Streitigkeit, Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, Rechtswegzuweisung, Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs, Verweisung des Rechtsstreits, Zuständigkeit, Beschwerde, Frist, gemeinsame Briefannahmestelle
Normen: VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, IRG § 13 Abs. 1 S. 1, IRG § 29, IRG § 33, IRG § 78, IRG § 79 Abs. 2, IRG § 79 Abs. 3, GVG § 17a Abs. 4 S. 4, GVG § 17b Abs. 2
Auszüge:

[...]

2. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht haben zu Recht angenommen, dass für die Klage gegen die Bewilligung der Auslieferung nicht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist, sondern auf Grund von § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Der mit der Beschwerde angegriffene Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ist daher nicht zu beanstanden.

Bei der Klage gegen die Bewilligung der Auslieferung eines Verfolgten in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 12 und §§ 78 ff. IRG handelt es sich zwar um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitigkeit ist aber durch Bundesgesetz, nämlich durch § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl I S. 1537), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Juni 2008 (BGBl I S. 995), ausdrücklich den ordentlichen Gerichten in Gestalt der Oberlandesgerichte zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO).

Im Rahmen des Zweiten Teils des Gesetzes mit der Überschrift "Auslieferung an das Ausland" bestimmt § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG, dass "die gerichtlichen Entscheidungen vorbehaltlich der §§ 21, 22 und 39 Abs. 2 das Oberlandesgericht" erlässt. Nach Satz 2 der Vorschrift sind die Entscheidungen des Oberlandesgerichts unanfechtbar. Diese Bestimmung regelt nicht nur, wie die Beschwerde meint, die sachliche Zuständigkeit in Auslieferungssachen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die - vorbehaltlich der den Amtsgerichten obliegenden Entscheidungen in den dort genannten Spezialvorschriften - bei den Oberlandesgerichten konzentriert ist, sondern enthält zugleich auch eine abdrängende Rechtswegzuweisung an die ordentlichen Gerichte im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Diese beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung im engeren Sinne, wie sie die nach § 12 IRG grundsätzliche Voraussetzung für die Bewilligung der Auslieferung durch die nach § 74 IRG zuständige Behörde ist. Schon dem Wortlaut nach erfasst § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG "die gerichtlichen Entscheidungen" in Auslieferungssachen mit Ausnahme der den Amtsgerichten zugewiesenen Entscheidungen. Dies spricht dafür, dass - bis auf diese Ausnahmen - alle in Auslieferungssachen anfallenden gerichtlichen Entscheidungen gemeint sind. Dementsprechend begründet diese Rechtswegzuweisung im klassischen Auslieferungsrecht nach allgemeiner Auffassung die ausschließliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005 - 2 BvR 2236/04 - BVerfGE 113, 273 317>; Ehlers, in: Schoch u.a., VwGO, Stand November 2009, § 40 VwGO Rn. 633; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 40 Rn. 129; a.A. OVG Berlin, Beschluss vom 26. März 2001 - 2 S 2/01 -, OVGE BE 23, 232 = NVwZ 2002, 114; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 40 Rn. 664 f.; offen Lagodny, in: Schomburg u.a., Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRG-Kommentar, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 31 f.).

An der ausschließlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in Auslieferungssachen hat sich auch durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG - vom 20. Juli 2006, BGBl I S. 1721) nichts geändert. Nach Aufhebung des ersten Umsetzungsgesetzes vom 21. Juli 2004 durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (a.a.O.) hat der Gesetzgeber in dem neuen Umsetzungsgesetz u.a. den Rechtsschutz gegen die Auslieferung auf Grund eines Europäischen Haftbefehls neu geregelt. Im Achten Teil des IRG mit der Überschrift "Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union" ist nunmehr in § 79 Abs. 2 IRG vorgesehen, dass die Bewilligungsstelle vor der Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts entscheidet, ob sie beabsichtigt, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen. Die Vorabentscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, unterliegt der Überprüfung durch das Oberlandesgericht im Rahmen des Verfahrens nach § 29 IRG bzw. bei späteren Veränderungen im Rahmen des Verfahrens nach § 33 IRG (§ 79 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 IRG). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber - abweichend vom ursprünglichen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung (BTDrucks 16/1024 S. 6, § 74b IRG-E) - davon abgesehen, die abschließende Bewilligungsentscheidung für unanfechtbar zu erklären. Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass Fragen, die die subjektiven Rechte des Betroffenen tangieren, im Auslieferungsverfahren zwar im Rahmen der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung im Verfahren nach § 29 und § 33 IRG geprüft würden, dass aber dennoch nicht ausgeschlossen erscheine, dass im Einzelfall die Entscheidung der Bewilligungsbehörde in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen könne (BTDrucks 16/2015 S. 12 zu Buchst. f).

Daraus folgt entgegen der Ansicht der Beschwerde allerdings nicht, dass es hinsichtlich der nunmehr für möglich gehaltenen gerichtlichen Überprüfung der abschließenden Bewilligung der Auslieferung an einer ausdrücklichen und hinreichend eindeutigen Sonderzuweisung an die ordentlichen Gerichte fehlen würde und insoweit der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet wäre. Zwar trifft es zu, dass das Gesetz mit den speziellen Regelungen in § 79 Abs. 2 und 3 IRG, die die gerichtliche Überprüfung der neu eingeführten Vorabentscheidung der Bewilligungsstelle betreffen, keine Regelung über die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte auch für die gerichtliche Überprüfung der endgültigen Bewilligungsentscheidung getroffen hat. Die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte ergibt sich insoweit aber aus § 78 Abs. 1 IRG, der die übrigen Bestimmungen des Gesetzes für anwendbar erklärt, soweit der Achte Teil keine besonderen Regelungen enthält. Da nichts dafür spricht, dass § 79 Abs. 2 und 3 IRG eine abschließende Regelung hinsichtlich der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte enthält, ist hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung der abschließenden Bewilligungsentscheidung in Auslieferungssachen auf die Rechtswegzuweisung zu den ordentlichen Gerichten in § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG zurückzugreifen.

Die Konzentration der gerichtlichen Überprüfung in Auslieferungssachen auf die Oberlandesgerichte entspricht erkennbar dem Willen des Gesetzgebers und dem mit der Gesamtregelung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes verfolgten Zweck, die Auslieferungsverfahren innerhalb der Europäischen Union zu beschleunigen und die mit einem gespaltenen Rechtsweg verbundenen Nachteile zu vermeiden (vgl. BTDrucks 16/1024 S. 13). Nachdem der Gesetzgeber sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 für die Beibehaltung der Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens und des vorgelagerten Rechtsschutzes durch Einführung einer Vorabentscheidung der Bewilligungsstelle entschieden hat, besteht kein Grund zu der Annahme, dass er hinsichtlich der in Einzelfällen denkbaren Anfechtung der abschließenden Bewilligungsentscheidung nicht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, sondern den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnen wollte. Die ausdrückliche Überantwortung der Überprüfung derjenigen Elemente der Bewilligungsentscheidung, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (a.a.O. S. 312 ff.) für die Notwendigkeit eines Rechtsschutzes für den Verfolgten ausschlaggebend waren, an die ordentlichen Gerichte (§ 79 Abs. 2 und 3 IRG) spricht vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber den etwa noch erforderlichen Rechtsschutz gegen die abschließende Bewilligung - entsprechend der allgemeinen Regel in § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG - ebenfalls den ordentlichen Gerichten zuweisen wollte. [...]