OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 10.06.2010 - 2 A 13/10 - asyl.net: M17333
https://www.asyl.net/rsdb/M17333
Leitsatz:

Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und eines Reiseausweises für Staatenlose. Auch das Deutsch-Syrische Rückübernahmeabkommen ermöglicht keine Ausreise, da Syrien nach Art. 2 Abs. 2 nur zur Rücknahme Staatenloser verpflichtet ist, wenn die Person "unmittelbar" aus Syrien nach Deutschland gelangt ist. Der Kläger hatte aber zuvor einige Jahre im Libanon gelebt.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Reiseausweis für Staatenlose, Syrien, staatenlos, Kurden, Maktum, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, Unmöglichkeit der Ausreise, Mitwirkungspflicht, Achtung des Privatlebens, Integration,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, StlÜbk Art. 1 Abs. 1, EMRK Art. 8, StlÜbk Art. 28
Auszüge:

[...] Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland (A.) und auf Ausstellung des begehrten Reisedokuments für Staatenlose (B.). [...]

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich der Anspruch des Klägers sowohl aus dem Vorliegen einer dauerhaften und von ihm nicht zu vertretenden Unmöglichkeit der – auch freiwilligen – Ausreise wegen fehlender Erlangbarkeit von Reisedokumenten (1.), als auch aus der im konkreten Einzelfall aufgrund der von ihm erbrachten Integrationsleistungen mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK anzunehmenden (subjektiven) Unzumutbarkeit einer Ausreise aus der Bundesrepublik (2.).

1. Ein tatsächliches Ausreisehindernis folgt im Falle des Klägers aus seiner Stellung als Staatenloser beziehungsweise der daraus folgenden Unmöglichkeit, die sich daraus ergebende Passlosigkeit auszuräumen. Dies steht seiner Ausreise dauerhaft entgegen und ist von dem Kläger nicht zu vertreten.

a. Dieses Hindernis speziell der Rückkehr in das Herkunftsland, die Arabische Republik Syrien, wird im Falle des Klägers nicht bereits durch das am 14.7.2008 zwischen der Bundesrepublik und Syrien geschlossene und am 3.1.2009 in Kraft getretene Rückübernahmeabkommen (vgl. "Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen" vom 14.7.2008, BGBl. II 2008, 812; vgl. zur praktischen Anwendung den "ad-hoc Ergänzungsbericht" des Auswärtigen Amts vom 7.4.2010 (Stand März 2010) zum Allgemeinen Lagebericht vom 9.7.2009) beseitigt, obwohl dieses auch eine Rückführung von rechtswidrig in die Bundesrepublik eingereisten staatenlosen Personen aus Syrien ermöglicht und davon auszugehen ist, dass ein dauerhaftes Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bereits nicht (mehr) vorliegt, sofern für den Betroffenen im Einzelfall eine Rückführungsmöglichkeit auf der Basis des Abkommens zumindest ernsthaft in Betracht kommt. (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 8.1.2010 – 2 A 447/09 –, und vom 2.12.2009 – 2 A 444/08 –, wonach der Umstand, dass eine Rückübernahme durch das Herkunftsland zumindest nicht ausgeschlossen ist, schon einem Anspruch auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls unter dem im vorliegenden Verfahren zentral thematisierten Aspekt fehlender Möglichkeit zur Wiedereinreise nach Syrien entgegensteht; dazu auch Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, § 25 AufenthG Rn 34, wonach in Fällen der Passlosigkeit von Ausländern bereits die Aufnahme "Erfolg versprechender Rückübernahmeverhandlungen mit dem Herkunftsland die prognostische Annahme eines Wegfalls des Ausreisehindernisses rechtfertigt".) Letzteres kann im Falle des Klägers gerade nicht angenommen werden. Aus dem einschlägigen Art. 2 Abs. 2 des erwähnten Abkommens ist die Arabische Republik Syrien nur zur Rückübernahme Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser verpflichtet, wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass die Person nach einer Einreise in das, einem Aufenthalt in dem oder einer Durchreise durch das Hoheitsgebiet Syriens "unmittelbar" in deutsches Hoheitsgebiet gelangt ist. Der Kläger hat indes nach auch seitens des Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben vor der Einreise nach Deutschland über mehrere Jahre im Libanon gelebt und in Beirut gearbeitet. Dafür, dass die praktische Anwendung des Abkommens durch die Vertragsstaaten demgegenüber (doch) eine Rückführungsmöglichkeit für den Kläger eröffnet, gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte. [...]

Der Kläger hat keine realistische Chance, dass er einen fremden Staat dazu veranlassen könnte, ihn als seinen Staatsangehörigen anzusehen und ihm dementsprechend Reisedokumente auszustellen. Das gilt sowohl für den Libanon, wo der Kläger die letzten 11 Jahre vor der Einreise in Beirut gelebt und gearbeitet hat (1), als auch für Syrien (2), wo er geboren wurde und aufgewachsen ist, als auch für die Türkei (3). [...]

(2) Nichts anderes gilt im Ergebnis für eine vom Beklagten nach wie vor für möglich gehaltene syrische Staatsangehörigkeit des Klägers. Dieser hat im gesamten Verlauf des Verfahrens und nun auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat stimmig und sehr überzeugend dargelegt, dass er von den offiziellen syrischen Stellen als kurdischer Maktum (Staatenloser) und entsprechend nicht als Staatsangehöriger angesehen wird. Da es insoweit – wie schon dargelegt – auf die tatsächliche (syrische) Praxis ankommt, muss hier nicht der Frage nachgegangen werden, ob die Nichtanerkennung einer syrischen Staatsangehörigkeit des Klägers mit dem (eigenen) syrischen Staatsangehörigkeitsrecht, insbesondere dem Art. 3 des Gesetzes Nr. 276 aus dem Jahre 1969 in Einklang steht (vgl. dazu Eva Savelsberg/Siamend Hajo, Die Situation staatenloser Kurden in Syrien, Blätter 232 ff., 256 der Gerichtsakte, wonach aufgrund dieser Bestimmung jeder als "syrischer Araber" erachtet werden soll, der in Syrien geboren wird und dessen Eltern unbekannt, unbekannter Nationalität oder staatenlos sind, sowie jede in Syrien geborene Person, die nicht von Geburt an das Recht hat, aufgrund ihrer Herkunft eine ausländische Staatsangehörigkeit zu erwerben). [...]

Daraus ergibt sich die dauerhafte und vom Kläger nicht zu vertretende Unmöglichkeit der Rückkehr in dieses Land seiner Herkunft. Insofern unterliegt er wegen unerlaubter Ausreise aus Syrien einem Verbot der Wiedereinreise. Verlassen von Syrien als staatenlos betrachtete Personen beziehungsweise "Nichtregistrierte", die ungeachtet eines jahrelangen regelmäßigen Aufenthalts keine Papiere besitzen, das Land, wird dies von syrischer Seite als illegale Ausreise gewertet und eine Rückkehr vorbehaltlich der Anwendbarkeit des 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens (s.o. I.A.1.a.) verweigert. (vgl. dazu auch Eva Savelsberg/Siamend Hajo, Die Situation staatenloser Kurden in Syrien, Blätter 232 ff., 252 der Gerichtsakte) Da es sich bei den Betroffenen ausnahmslos um kurdische Volkszugehörige handelt, dürfte dieser Vorgang als Teilaspekt der nach wie vor herrschenden Arabisierungsbestrebungen im Norden Syriens anzusehen sein. Auch das Auswärtige Amt weist in seinem allgemeinen Lagebericht zur Arabischen Republik Syrien unter dem Stichwort "abschieberechtlich relevante Vorgänge" ausdrücklich darauf hin, dass für Angehörige der Gruppe der "Nicht-Registrierten" eine Beschaffung von Identitätsdokumenten "praktisch unmöglich" ist (vgl. den "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien" vom 9.7.2009 (Stand Juni 2009) – 508-516.80/3 SYR –, Seite 26).

Das verdeutlicht, dass in diesem Bereich des Nachweises über amtliche Dokumente allenfalls zielführend sein kann, wenn – allgemein gesprochen – der sich auf die Staatenlosigkeit berufende Ausländer aus Syrien in einem staatlichen Register nachgewiesen werden könnte, und zwar entweder als – entgegen seinen Behauptungen – syrischer Staatsangehöriger – oder als Adschnabi in dem zuvor erwähnten gesonderten Register für – aus syrischer Sicht – "Ausländer". Wie in letzterem Fall zu verfahren wäre, bedarf keiner Vertiefung, zumal – wie erwähnt – Auskünfte aus dem syrischen Ausländerregister seit 2001 in aller Regel nicht mehr erteilt werden und auch den vom Auswärtigen Amt als faktische Staatenlose betrachteten "Ausländern" in Syrien regelmäßig eine Wiedereinreise verweigert wird. Eine irgendwie geartete staatliche Registrierung des Klägers in Syrien – in der ein oder der anderen Weise – steht indes hier nicht ansatzweise im Raum. In einer e-Mail der mit der entsprechenden Nachforschung vor Ort beauftragten Vertrauensanwältin vom Januar 2007 heißt es vielmehr ausdrücklich, dass eine Person seines Namens in den Registern für Syrer der Provinz Hasaka nicht registriert ist. Nach Auskunft der Vertrauensanwältin, nach deren Auffassung die beiden Erkennungsbescheinigungen des Ortsvorstehers übrigens keine Fälschungen darstellen, konnte der Kläger auch im "Ausländerregister" nicht nachgewiesen werden, woraufhin der Registerbeamte – so die Anwältin – ihr gegenüber im Ausschlussverfahren erklärt hat, es handele sich bei dem Kläger um einen "Maktun al Keid" (Maktum) (vgl. die e-Mail vom 11.1.2007, Hefter vor Band II der Ausländerakten, ausdrücklich bestätigt durch e-Mail vom 13.6.2008).

Nun ließe sich indes theoretisch vielleicht auch noch die Richtigkeit des Namens des Klägers "hinterfragen". Spätestens dies verdeutlicht allerdings die Schwierigkeiten, mit denen alle Beteiligten, auch der Beklagte und die Gerichte in diesen Fällen konfrontiert sind. Im Ergebnis unterliegt nach Überzeugung des Gerichts insbesondere nach dem damit entscheidenden persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung jedoch keinen ernsthaften Zweifeln, dass der Kläger – von Anfang an – die Wahrheit gesagt hat, was seine Identität und seinen Status in Syrien angeht. Irgendwelche Erfolg versprechenden (weiteren) Mitwirkungshandlungen und damit auch -obliegenheiten sieht der Senat nach dem Gesagten in dem Zusammenhang nicht.

Wesentlich für die Glaubwürdigkeit des Klägers spricht ferner der Umstand, dass jedenfalls seine Taufe im Jahre 1998 als belegt angesehen werden kann. (vgl. dazu auch die e-Mail der Deutschen Botschaft vom 1.11.2007 an den Beklagten, in der Herr S das noch einmal bestätigt hat) Die Angabe des Priesters, dass der Kläger seine Religion vor der christlichen Taufe mit yezidisch angegeben habe, ist – aus Sicht des Priesters – im konkreten Umfeld gut nachzuvollziehen. Von daher bestehen auch keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der durch die Einlassungen des Priesters inhaltlich bestätigten Bescheinigungen seiner Taufe und seiner Ledigkeit durch die syrisch-orthodoxe Erzdiözese des Libanongebirges vom 16.12.2002.

(3) Dass der Kläger von der Republik Türkei als (türkischer) Staatsangehöriger angesehen würde, erscheint sehr fern liegend. Diese Möglichkeit hat der Beklagte mit Blick auf die vom Kläger gemachten Angaben zur Herkunft seiner Großeltern in den Raum gestellt. [...]

2. Ein solcher Anspruch ergibt sich im Falle des Klägers zusätzlich aus dem Umstand, dass dem Kläger individuell mit Blick auf die Gewährleistung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Verlassen der Bundesrepublik Deutschland im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach der insoweit gebotenen Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls (subjektiv) unzumutbar ist. Dies begründet auch mit Blick auf den Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein weiteres dauerhaftes rechtliches Ausreisehindernis (§ 60a Abs. 2 AufenthG), das dem betreffenden Ausländer in Ausnahmefällen ein Bleiberecht vermittelt, dem – wie hier – durch die den Aufenthalt legalisierende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG Rechnung zu tragen ist.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und allein hier aufgewachsenen Ausländers auf dieser Grundlage kommt dann in Betracht, wenn seine abgeschlossene "gelungene" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Ausreisehindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, festgestellt werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende nur über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 4.1.2010 – 2 B 476/09 –, vom 22.10.2009 – 2 B 445/09 –, vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –, SKZ 2009, 256 Leitsätze Nr. 75 und Nr. 80) Im Fall des Klägers ist trotz eines verhältnismäßig geringen Zeitraums seines Aufenthalts in Deutschland ab dem Jahre 2002 von einer "gelungenen" und abgeschlossenen Integration auszugehen. [...]