VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 10.09.2010 - 11 A 1897/09 - asyl.net: M17612
https://www.asyl.net/rsdb/M17612
Leitsatz:

1. Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da die Ausreise für Staatenlose, die in Syrien im Ausländerregister erfasst sind, seit Inkrafttreten des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens nicht mehr ausgeschlossen ist. Praktisch ausgeschlossen wäre eine Rückübernahme nach Auffassung des Gerichts erst dann, wenn die syrischen Stellen sie endgültig ablehnen oder ohne zureichenden Grund nach einem Zeitraum von zwei Jahren ab Eingang des Gesuchs keine Entscheidung mitteilen.

2. Auch kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach Art. 31 Abs. 1 des Staatenlosenübereinkommens (StlÜbK), da zwar rechtzeitig die Verlängerung beantragt wurde, die entstandene Fiktionswirkung aber nur über das Verfahrensrecht hinaus einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland vermittelt, wenn auch ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel entsteht, was vorliegend nicht mehr der Fall ist. Die Anwendung des StlÜbK setzt voraus, dass das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Ausländers nicht bereit ist, ihn wieder aufzunehmen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Unmöglichkeit der Ausreise, Syrien, staatenlos, Kurden, Yeziden, Ausländerregister, Vollstreckungsabwehrklage, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, Fiktionswirkung,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, VwGO § 167, ZPO § 767, StlÜbK Art. 31 Abs. 1, AufenthG § 81 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Die Beklagten zu 1) bis 7) haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG mehr. Nach dieser Vorschrift kann abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

Die Ausreise ist aus tatsächlichen Gründen unmöglich, wenn bei prognostischer Betrachtung feststeht, dass in einem überschaubaren Zeitraum von etwa sechs Monaten (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) eine Ausreise des Betroffenen ausscheidet. Mithin ist eine Ausreise nicht unmöglich, wenn eine nicht nur weit entfernt liegende Möglichkeit besteht, in dieser Frist in das Heimatland zurückzukehren. Es darf also auch dann keine Aufenthaltserlaubnis nach der genannten Vorschrift erteilt werden, wenn sich die Sachlage diesbezüglich als offen darstellt, aber eine Ausreisemöglichkeit praktisch jederzeit entstehen kann (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 8. Januar 2010 - 2 A 447/10 - <juris, Rn. 17>; Storr in: Storr u. a., Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 34 zu § 25).

Bei Abschluss des Vergleiches zwischen den Beteiligten am 2. April 2008 konnten u.a. Personen, die im syrischen Ausländerregister registriert sind, dauerhaft nicht in ihr Heimatland zurückkehren (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Mai 2008, S. 10).

Inzwischen ist am 3. Januar 2009 das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen vom 14. Juli 2008 (BGBl. II. S. 812) in Kraft getreten. Nach diesem werden neben syrischen Staatsangehörigen (Art. 1) auf Ersuchen u. a. auch staatenlose Personen übernommen, wenn diesen ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, dessen Gültigkeit später abläuft als ein Aufenthaltstitel, der in der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden ist (Artikel 2 Abs. 1). Die Eintragung der Beklagten im syrischen Ausländerregister könnte dabei als unbefristeter Aufenthaltstitel angesehen werden.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts erfolgen auf dieser Grundlage auch tatsächlich Rückführungen von Personen aus dem Ausländerregister nach Syrien.

Aus einem Ergebnisprotokoll zu einer Dienstbesprechung des Niedersächsischen Innenministeriums mit den Niedersächsischen Ausländerbehörden am 15./22. Juni 2010 sowie einem E-Mail-Schreiben des Niedersächsischen Innenministeriums an den Kläger vom 30. April 2010 (vgl. auch Schreiben an den Kläger vom 24. August 2010) ergibt sich, dass das Rückübernahmeabkommen von beiden Seiten grundsätzlich uneingeschränkt angewendet wird, auch wenn die syrische Stellen gelegentlich zögerlich tätig werden. Im Jahre 2009 sowie im 1. Quartal 2010 sind weniger als 10 % der Ersuchen abgelehnt worden. Bis zum 31. März 2010 sind bundesweit 200 Rückübernahmezusagen erteilt worden; allein in den letzten Apriltagen 2010 wurden für weitere 14 Personen in Niedersachsen Passersatzpapiere ausgestellt. Solche haben sowohl syrischen Staatsangehörige aber auch Staatenlose und Drittstaatsangehörige nach Art. 2 des Rückübernahmeabkommens erhalten.

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass auch aus Syrien stammende staatenlose Kurden, jedenfalls soweit sie im Ausländerregister registriert sind, grundsätzlich jederzeit Reisedokumente erhalten können und somit die Möglichkeit der Rückkehr in ihr Heimatland keine völlig fernliegende Möglichkeit darstellt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Juli 2010 - 2 LA 278/09 - <juris, Rn.16>; Beschluss vom 13. Januar 2010 - 2 PA 126/09 -; Beschluss vom 17. Dezember 2009 - 2 PA 346/09 -; ebenso OVG Saarlouis, a.a.O.).

Im Falle der Beklagten ist die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen auf Bitten des Klägers am 20. Mai 2009 an die syrische Auslandsvertretung herangetreten, sie entsprechend dem Rückübernahmeabkommen aufzunehmen. Die syrischen Stellen haben die Rückübernahme der Beklagten bisher nicht verweigert, sondern prüfen das Ersuchen des Klägers offenbar weiterhin (vgl. Schreiben der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen, Außenstelle Langenhagen, an den Kläger vom 5. August und 4. Mai 2010 sowie 8. Dezember und 26. Mai 2009).

Praktisch ausgeschlossen wäre eine Rückübernahme nach Auffassung des Gerichts erst dann, wenn die syrischen Stellen sie endgültig ablehnen würde. Entsprechendes würde auch gelten, wenn die syrischen Stellen ohne zureichenden Grund in einer erheblichen Zeit keine Entscheidung mitteilen würden. Dabei könnte nach Einschätzung des Gerichts nach einem Zeitraum von zwei Jahren ab Eingang des Gesuchs bei den syrischen Behörden nicht mehr ernsthaft mit einer kurzfristigen Rückübernahme der Beklagten gerechnet werden; diese Frist ist aber erst mit Ablauf des 20. Mai 2011 verstrichen. Eine kürzere Frist ist auch nicht mit Blick auf die in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Rückübernahmeabkommens vorgesehene Äußerungszeit von sechzig Tagen geboten. Denn gem. Satz 2 der Bestimmung gilt nach deren Ablauf die Zustimmung zur Übernahme sogar als erteilt.

Andere Ausreisehindernisse im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Zur Begründung wird auf den Beschluss der Kammer vom 4. August 2009 - 11 B 1898/09 - (S. 4 f.) hingewiesen. Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könne, haben die Beklagten seither nicht vorgetragen.

Soweit sie in der mündlichen Verhandlung insbesondere nochmals geltend gemacht haben, dass sich ein Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse aus Art. 31 Abs. 1 StlÜbK ergebe, vermag das Gericht ihnen weiterhin nicht zu folgen. Die Beklagten zu 1) bis 7) befinden sich seit dem Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnisse nicht mehr im Sinne dieser Vorschrift rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar gilt ihre Aufenthaltserlaubnis auf Grund ihres rechtzeitigen Verlängerungsantrages seither als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Diese Fiktionswirkungen vermitteln über das Verfahrensrecht hinaus eine materielle rechtsbegründende Position aber nur dann, wenn auch ein Anspruch auf ein Aufenthaltstitel besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 6.09 - InfAuslR 2010, 343), was aus den oben dargestellten Gründen bei den Beklagten zu 1) bis 7) nicht mehr der Fall ist. Die Anwendung des StlÜbK setzt dementsprechend voraus, dass das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Ausländers nicht bereit ist, ihn wieder aufzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2005 - 1 C 17.03 - BVerwGE 123, 18 23>). Wenn dies - wie hier - wieder der Fall ist, bedarf es keines besonderen Schutzes des Staatenlosen mehr. [...]