SG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 05.07.2010 - S 22 AS 1223/10 ER - asyl.net: M17650
https://www.asyl.net/rsdb/M17650
Leitsatz:

Keine Anwendung von § 20 Abs. 3 SGB II (Mischregelsatz von 90 % der Regelleistung) auf Fälle, in denen Leistungsbezieher nach dem SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG leben.

Schlagwörter: SGB II, Bedarfsgemeinschaft, Asylbewerberleistungsgesetz, Regelleistung, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung
Normen: SGB II § 20 Abs. 2 S. 1, SGG § 86b Abs. 2 S. 2, GG Art. 19 Abs. 4, SGB II § 20 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweilige Anordnung höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Antragstellerin zu 1). [...]

Da der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 (Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) verpflichtet ist, die gesetzlichen Bestimmungen zur Regelleistung mit Wirkung zum 01.01.2011 neu zu regeln, wobei nicht von vornherein auszuschließen ist, dass es zu einer Erhöhung der Regelleistung kommt und das Gericht die Anordnung auch auf die Zeit ab 01.01.2011 erstreckt, war der Antrag dahingehend auszulegen, dass die volle Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der jeweils Fassung der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung begehrt wird. [...]

(2.) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Der elementare Bedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, dass die Antragsteller mit ihrem Begehren verfolgen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in einem solchen Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, Rn.19, 26 und vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09, Rn. 11, jeweils zitiert nach juris). [...]

(a.) Die Antragstellerin zu 1) hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser folgt aus § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01. Juli 2009 vom 17.06.2009. Danach beträgt die Regelleistung für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, seit dem 01.07.2009 monatlich 359,- Euro. Zum 01.07.2010 erfolgte keine Anpassung der Regelleistung. Die Antragsgegnerin geht zu Unrecht von der Anwendbarkeit von § 20 Abs. 3 SGB II aus. Danach beträgt die Regelleistung jeweils 90 von Hundert der Regelleistung nach § 20 Abs.2 SGB II. Diese Norm ist nach der Überzeugung der erkennenden Kammer aber nicht auf Fälle anzuwenden, in denen Leistungsbezieher nach dem SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG leben. [...]