VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 04.10.2010 - 3 B 1793/10 - asyl.net: M17704
https://www.asyl.net/rsdb/M17704
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz zur Klärung der Frage, ob die Erkrankung des Antragstellers in Syrien behandelt werden kann (chronische Morbus Crohn-Erkrankung). Die vom BAMF nach § 72 Abs. 2 AufenthG im Verfahren der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG eingeholte Stellungnahme ist zu allgemein, um zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote prüfen zu können. Die Auskunft, dass die medizinische Versorgung "im Grundsatz" gewährleistet sei, beantwortet nicht die Frage, ob dies auch für den Antragsteller der Fall ist; dasselbe gilt für die Auskunft, die Medikamentenversorgung sei "weitgehend sichergestellt". Schließlich mag der DAAD in Damaskus für Gastroenterologen Weiterbildungsprogramme durchgeführt haben. Ob dies zu einer für den Antragsteller erreichbaren medizinischen Versorgung führt, lässt sich der Auskunft nicht entnehmen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Verlängerungsantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Syrien, chronische Erkrankung, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, Ausländerbehörde, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, medizinische Versorgung, Morbus Crohn-Erkrankung, extreme Gefahrenlage,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 72 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.

In Fällen wie dem vorliegenden, in dem der betroffene Ausländer ein Asylverfahren nicht durchführt bzw. durchgeführt hat, hat die Ausländerbehörde im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG auch das Vorliegen zielstaatsbezogener Ausreisehindernisse, die eine Ausreise aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich machen, zu überprüfen. Dabei sind schwere Krankheiten in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anerkannt worden, wenn ein erkrankter Ausländer im Zielstaat die erforderliche medizinische Behandlung nicht erlangen kann, sei es weil die notwendige Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringen Standards generell nicht verfügbar ist, sei es weil diese Behandlung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer jedoch individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand Oktober 2008, § 60 Rdnr. 165 unter Hinweis auf BVerwG, 29.04.2002 - 1 B 59.02 -; vom 29.10.2002, DVBl. 2003, 462). Eine extreme individuelle Gefahrenlage, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet, kann auch in der Gefahr liegen, dass sich eine schwere Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 60 Rdnr. 167 m.w.N.).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe stellt sich das Verfahren des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG als offen dar, da die von dem Antragsgegner angestellten Ermittlungen zur Behandelbarkeit der Morbus Crohn-Erkrankung des Antragstellers und zu der Frage, ob er die in Syrien angebotenen Behandlungsmöglichkeiten auch tatsächlich erhalten kann, nicht ausreichend für die Beantwortung der Frage sind, ob ihm wegen erwartbarer extremer Verschlechterung seines Krankheitszustandes ein rechtliches Abschiebungshindernis zur Seite steht.

Der Antragsgegner hat zwar im Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligt (§ 72 Abs. 2 AufenthG) und eine Stellungnahme zu den Behandlungsmöglichkeiten des Antragstellers eingeholt. Auch kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seiner Stellungnahme vom 22. März 2010 (Bl. 267, 268 der Behördenakte - BA -) zu dem Ergebnis, dass die medizinische Versorgung in Syrien "im Grundsatz" flächendeckend und kostenfrei gewährleistet ist, die Medikamentenversorgung sei weitgehend sichergestellt, müsse jedoch häufig von dem Patienten selbst bezahlt werden. Die Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist jedoch derart allgemein gehalten, dass daraus weder die Schlussfolgerung gezogen werden kann, die Erkrankung des Antragstellers werde dort tatsächlich behandelt werden können, noch dass die von ihm benötigten Medikamente in Syrien erhältlich sind und von ihm auch erwartbar erworben werden können. Zu letzterem gehört im Übrigen auch die Prognose, dass der Antragsteller hierzu finanziell in der Lage sein wird. Die Auskunft des Bundesamtes, die medizinische Versorgung sei "im Grundsatz" gewährleistet, beantwortet nämlich nicht die Frage, ob dies auch im Fall des Antragstellers der Fall ist, ebenso wenig lässt sich aus der Aussage, die Medikamentenversorgung sei "weitgehend sichergestellt" die Schlussfolgerung ziehen, dies gelte auch für die von dem Antragsteller benötigten Medikamente. Schließlich mag der DAAD in Damaskus für Gatstroenterologen Weiterbildungsprogramme durchgeführt haben, ob diese zu einer erreichbaren medizinischen Versorgung für den Antragsteller führt, lässt sich der Auskunft nicht entnehmen. Insoweit folgt die Berichterstatterin dem Verwaltungsgericht nicht in seiner Einschätzung, aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 22. März 2010 folge, dass die geforderte ständige medikamentöse Behandlung Lind die Erreichbarkeit einer Klinik in Syrien sei sichergestellt. Ist die Frage, ob im Fall des Antragstellers ein rechtliches Abschiebungshindernis i.S.d. § 25 Abs. 5 AufenthG zu bejahen ist, durch die Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2010 mithin nicht mit der erforderlichen Sicherheit beantwortet, hätte es der Einholung weiterer sachverständiger Stellungnahmen wie etwa des Auswärtigen Amtes bedurft, aus der sich zweifelsfrei ergibt, ob die Krankheit des Antragstellers in Syrien behandelt werden kann, ob die von ihm benötigten Medikamente dort vorrätig sind, zu welchem Preis sie erworben werden können und ob im Fall eines akuten Schubes eine sofortige stationäre Behandlung möglich ist. [...]