OLG Düsseldorf

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Zitieren als:
OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2010 - III-5 Ss 85/09 - 70/09 IV - asyl.net: M17761
https://www.asyl.net/rsdb/M17761
Leitsatz:

Keine Strafbarkeit der Verweigerung einer sog. Freiwilligkeitserklärung (Iran) wegen eines nicht vermeidbaren Verbotsirrtums angesichts der ungeklärten Rechtslage.

Schlagwörter: Ausländerstrafrecht, Freiwilligkeitserklärung, Iran, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Zumutbarkeit, Verbotsirrtum
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, StGB § 17
Auszüge:

[...]

Die Sachrüge bleibt nur im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Allerdings hat auch der Senat Bedenken gegen die Annahme im angegriffenen Urteil, die von den iranischen Behörden für die Erteilung eines Passes verlangte "Freiwilligkeitserklärung" sei dem Angeklagten nicht zumutbar gewesen. Hierzu hätte es näherer Ausführungen bedurft. Der Senat sieht davon ab, hierauf näher einzugehen, denn letztlich kann dies dahinstehen.

2. Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe befand sich der Angeklagte jedenfalls in einem nicht vermeidbaren Verbotsirrtum, indem er glaubte, zur Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung nicht verpflichtet zu sein. Er verhielt sich damit ohne Schuld, § 17 StGB.

a) Ein Verbotsirrtum ist i.S.v. § 17 S. 1, 2 StGB vermeidbar, wenn dem Täter zum Tatzeitpunkt sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 17 Rn. 7 m.w.N.).

Ein Verbotsirrtum ist für einen Angeklagten insbesondere dann nicht vermeidbar, wenn zu der entscheidenden Rechtsfrage widersprüchliche Rechtsansichten verschiedener Obergerichte bestehen und die Rechtsfrage zum Zeitpunkt des möglicherweise strafbaren Verhaltens nicht geklärt war; andernfalls würde man dem Normadressaten (hier aus § 95 AufenthG) das Risiko einer Rechtsunklarheit aufbürden (BGH NJW 2007, 3078; OLG Stuttgart NJW 2006, 2422).

b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund war der Rechtsirrtum über eine mögliche Handlungspflicht - zur Abgabe einer "Freiwilligkeitserklärung" - nicht vermeidbar.

Für den Angeklagten streitet insbesondere die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. Januar 2007 (2 St OLG Ss 242/06) in einem vergleichbaren Fall. Auf den dort vertretenen Rechtsstandpunkt, dass ihm die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung nicht zumutbar war, durfte er sich berufen. Zwar stand dem der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Januar 2005 (9 ZU 1412/04) entgegen; aber dies ändert nichts an der Unvermeidbarkeit seines Verbotsirrtums, da der Streit unter den Gerichten nicht auf seinem Rücken ausgetragen werden durfte.

Zwar ist nunmehr Rechtsklarheit durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. November 2009 (1 C 19.08) hergestellt, wonach dem Angeklagten eine Freiwilligkeitserklärung abzuverlangen wäre (vgl. Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts; das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor). Diese erst jetzt ergangene Entscheidung kann jedoch auf das dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten zur fraglichen Zeit keinen Einfluss haben. [...]