VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 26.10.2010 - 4 B 158/10 - asyl.net: M17769
https://www.asyl.net/rsdb/M17769
Leitsatz:

1. Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach der Bleiberechtsregelung 2009, wenn am 31.12.2009 mindestens für die letzten 6 Monate eine Halbtagsbeschäftigung nachgewiesen wurde, und zwar unabhängig von der vollständigen Sicherung des Lebensunterhalts (Erlasslage in Niedersachsen).

2. Die von der Ausländerbehörde konstruierte Passpflicht für die Familieneinheit (vergleichbar der Zurechnungsnorm des § 104a Abs. 3 S. 1 AufenthG) entbehrt jeglicher Grundlage.

3. Da der Antragsteller im Besitz eines gültigen Passes ist, hätte eine Befristung der Aufenthaltserlaubnis bis zum 30.6.2010 bereits nicht erfolgen dürfen.

Schlagwörter: Bleiberecht, Bleiberechtsregelung 2009, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis auf Probe, vorläufiger Rechtsschutz, Suspensiveffekt, Fiktionswirkung, Verlängerungsantrag, Halbtagsbeschäftigung, Sicherung des Lebensunterhalts, Passpflicht, Familieneinheit
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 23 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 104a Abs. 5 S. 5
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage 4 A 157/10 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 05.08.2010 ist zulässig, da ihr nach § 84 Abs. 1 AufenthG und § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 4 Nds. SOG bzgl. der abgelehnten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der erlassenen Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung zukommt. Die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG ist bzgl. der versagten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht entfallen, da es um die Verlängerung einer am 22.12.2009 nach § 23 Abs. 1 S. 1 AufenthG i.V.m. der Bleiberechtsregelung vom Dezember 2009 befristet bis zum 30.06.2010 erteilten Aufenthaltserlaubnis geht und damit § 104a Abs. 5 S. 5 AufenthG nicht einschlägig ist.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers geht zugunsten des Antragstellers aus, Der Bescheid des Antragsgegners vom 05.08.2010 erweist sich nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtswidrig. Der Antragsteller kann nämlich die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bis zum 31.12.2011 nach Buchstabe a 1. Alt. der Bleiberechtsregelung 2009 beanspruchen, wonach einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe (§ 104a Abs. 1 S. 1 AufenthG), der am 31.12.2009 mindestens für die letzten 6 Monate zumindest eine Halbtagsbeschäftigung nachweist, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 S. 1 AufenthG bis zum 31.2.2011 erteilt wird (vgl. Runderlass d. Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 11.12.2009 i.V.m. den hierzu ergangenen Hinweisen vom 11.12.2009). Den hiernach erforderlichen Nachweis hat der Antragsteller erbracht, da er seit dem 01.03.2009 einer Ganztagsbeschäftigung nachgeht und bei seinem Arbeitgeber fest angestellt ist. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang dem Antragsteller entgegenhält, seine Einkünfte aus dieser Erwerbstätigkeit seien nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt seiner 5-köpfigen Familie zu sichern, so steht dies nicht in Einklang mit der vorgenannten Erlasslage. Denn mit Buchstabe a 1. Alt. des Erlasses sollen gerade die in einer Beschäftigung stehenden Ausländer in die Lage versetzt werden, bis zum 31.12.2011 eine berufliche Perspektive zu entwickeln, um zukünftig in der Lage zu sein, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familienangehörigen ohne Anspruch auf öffentliche Leistungen sicherzustellen. Auf einen umfassend gesicherten Lebensunterhalt kommt es danach für die streitbefangene Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach dem Erlass in der Person des Antragstellers derzeit gerade nicht an.

Soweit der Antragsgegner meint, der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stehe als Versagungsgrund entgegen, dass die Lebenspartnerin des Antragstellers und die gemeinsamen Kinder nicht über Pässe verfügten, so ist dies rechtswidrig. Eine hier vom Antragsgegner konstruierte Passpflicht für die Familieneinheit mit der Einführung der Bleiberechts- und Altfallregelung des § 104a AufenthG entbehrt jeglicher Grundlage. Einen solchen Versagungsgrund für sämtliche Mitglieder einer familiären Lebensgemeinschaft, selbst wenn einzelne Mitglieder die Passpflicht erfüllen (vergleichbar der Zurechnungsnorm des § 104a Abs. 3 S. 1 AufenthG), sehen weder § 104a AufenthG noch die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften vor. Auch die Bleiberechtsregelung 2009 enthält einen solchen Versagungsgrund nicht. Da der Antragsteller im Besitz eines gültigen Passes ist, hätte eine Befristung der Aufenthaltserlaubnis bis zum 30.06.2010 bereits nicht erfolgen dürfen und fehlt es auch der vom Antragsgegner bzgl. der Passpflicht praktizierten Hinweisform (vgl. vorliegend den entsprechenden Hinweis vom 07.01.2010 an den Antragsteller) an einer rechtlichen Grundlage. Nach alledem ist die aufschiebende Wirkung der Klage 4 A 157/10 gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 05.08.2010 anzuordnen. [...]