OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.09.2010 - 7 A 10716/10.OVG - asyl.net: M17853
https://www.asyl.net/rsdb/M17853
Leitsatz:

1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK) kommt auch bei langjährig Geduldeten in Betracht.

2. Eine Identitätstäuschung der Eltern muss ihren Kindern nicht zugerechnet werden. Im Allgemeinen werden lediglich sehr junge Kinder regelmäßig das Schicksal ihrer Eltern teilen. Je älter und selbständiger das Kind ist, umso mehr wird auch die eigene Integration in sozialer und schulischer Hinsicht zu seinen Gunsten berücksichtigt und werden müssen.

3. Es kann jedoch in diesem Fall nicht unberücksichtigt bleiben, dass die 14-jährige gut integrierte Tochter im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwangsläufig ihren schlecht integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht für vier Jahre vermitteln würde. Bei einer weiteren Verfestigung des Aufenthalts sind aus der Sicht der öffentlichen Belange auch die zunehmenden Risiken im Hinblick auf Alter und Krankheit in den Blick zu nehmen. Zudem ist bei den Eltern besonders von Bedeutung, dass ihr Aufenthalt auf einer Identitätstäuschung beruht.

4. Die Nachteile für die 14-jährige Klägerin bei einem Wegzug in die Türkei sind noch zumutbar. Da ihre Muttersprache Arabisch ist, wird sie zwar zunächst ohne Erlernen der türkischen Sprache keine Schulausbildung beginnen oder fortführen können. Auch wenn damit gerechnet werden müsste, dass sie ohne weitere schulische Bildung bleibt, kann es ihr u.a. aufgrund der aus Deutschland mitgebrachten Bildung mit Kenntnis der Fremdsprachen Deutsch und Englisch durchaus gelingen, sich trotzdem in beruflicher Hinsicht zu qualifizieren und eine noch angemessene persönliche Entwicklung zu nehmen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, minderjährig, Sorgerecht, Täuschung über Identität, Duldung, staatenlos, Achtung des Privatlebens, Schutz von Ehe und Familie, Familieneinheit, Integration, Ausschlussgrund, Kindeswohl, Menschenwürde, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Unmöglichkeit der Ausreise, Registrierung, Türkei, Passbeschaffung, freiwillige Ausreise, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Verhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit, Sicherung des Lebensunterhalts, Sozialhilfebezug, Altfallregelung, Bleiberecht
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5 S. 3, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 4, EMRK Art. 8, GG Art. 6, BGB § 1626, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 1 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1, AufenthG § 104a
Auszüge:

[...]

Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

Den Klägern zu 1) und 2) steht aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, auf die der Senat insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, wegen des Versagungsgrunds nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - kein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu. Der Kläger zu 3) teilt aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen ebenfalls als 2003 geborener Minderjähriger das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern. Bei "Missbrauchsfällen" wie im Fall der Identitätstäuschung oder etwa einem langen Aufenthalt allein aufgrund selbst verschuldeter Staatenlosigkeit vermag auch die lange Dauer eines Aufenthalts regelmäßig nicht dazu zu führen, dass im Rahmen der Schrankenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK einwanderungspolitische Belange des Staates hinter dem Schutz des Privatlebens zurückzutreten hätten (vgl. EGMR, "Dragan", NVwZ 2005, 1043; vgl. auch Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41, 44). Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen auch zu Recht darauf abgehoben, dass die Kläger zu 1) und 2) nur über eine verhältnismäßig schwache Schutzposition verfügen, da sie sich stets nur geduldet in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben und sich weder in sprachlicher, kultureller noch wirtschaftlicher Hinsicht in die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland integriert haben.

Die Kläger zu 1) und 2) können auch - wofür die Täuschung nicht mehr kausal wäre - kein Aufenthaltsrecht wegen des Schutzes der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG, 8 Abs. 1 EMRK) daraus herleiten, dass die Klägern zu 4) als ihre minderjährige Tochter ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen beanspruchen könnte, das ihnen gleichsam den weiteren Aufenthalt vermittelte. Abgesehen davon, dass zur Wahrnehmung ihres Sorgerechts unter Umständen auch eine Duldung ausnahmsweise ausreichen könnte, fehlt es schon daran, dass der Klägerin zu 4) ihrerseits ein solches Aufenthaltsrecht zukäme.

Zwar ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass der Klägerin zu 4) die Identitätstäuschung der Eltern zugerechnet werden müsste und der Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG auch in ihrer Person vorliegen würde. Eine solche Zurechnung kann aus dem den Eltern zustehenden Sorgerecht nach § 1626 Abs. 1 BGB nicht hergeleitet werden. Danach haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen. Schon wegen der menschenrechtlich und grundrechtlich selbständig geschützten eigenen Rechtsposition des Kindes (Art. 8 Abs. 1 EMRK; Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) kann ein Verschulden der Eltern, das die Rechtsposition des Kindes gegenüber dem Staat und seiner Eingriffsbefugnis - wie im Fall der Herauslösung aus seinem Lebenszusammenhang - einschränken soll, nicht ohne Rücksicht auf die Eigenständigkeit des Kindes und sein Wohl diesem zugerechnet werden. Nach § 1626 Abs. 2 BGB haben gerade die Eltern bei der Pflege und Erziehung die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 24, 119 = NJW 1968, 2333) darauf erkannt, dass das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat und das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit ist. Dies verbietet es, gegenüber der zur selbständigen Persönlichkeit heranreifenden Klägerin zu 4) in der Art eines Automatismus das Täuschungsverhalten der Eltern bei ihrer Aufenthaltnahme mit dem Ergebnis der Zerstörung ihrer eigenen Rechtsposition zuzurechnen. Diese Sichtweise liegt auch der gesetzlichen Wertung im Rahmen der Regelung der Folgen einer Täuschung bei einer Einbürgerung zugrunde, bei der der Gesetzgeber nach § 35 Abs. 1 Satz 1 StAG - allerdings im Zusammenhang mit dem möglichen Verlust des erworbenen staatsangehörigkeitsrechtlichen Status - davon ausgeht, dass für jeden von den Auswirkungen betroffenen Dritten eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen und dabei das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Einbürgerung mit den schutzwürdigen Belangen der Dritten, bei minderjährigen Kindern insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen ist. Im Allgemeinen werden lediglich sehr junge Kinder regelmäßig das Schicksal ihrer Eltern teilen. Je älter und selbständiger das Kind ist, umso mehr wird auch die eigene Integration in sozialer und schulischer Hinsicht zu seinen Gunsten berücksichtigt und mit abgewogen werden müssen (vgl. Hailbronner. in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht; 5. Aufl., § 35 StAG Rn. 57 u. Hinw. auf Nr. 35.5 der Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI 2009).

Abgesehen davon, dass nur auf diese Weise bei der Auslegung des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG den menschenrechtlichen Anforderungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf Achtung des Privatlebens eines Kindes Rechnung getragen werden kann, liegt diese Auffassung ersichtlich auch dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - BVerwGE 133, 73 ff. zugrunde. Soweit es dort heißt: "Materiell-rechtlich muss sich der Kläger aber entgegenhalten lassen, dass ein Aufenthaltsrecht in Deutschland durch eine bewusste Täuschung seiner Eltern begründet worden ist" (juris, Rn. 22), folgert das Bundesverwaltungsgericht daraus lediglich, dass seiner Aufenthaltsdauer insgesamt nicht das Gewicht zukomme, als wäre der Aufenthalt formell und materiell in jeder Hinsicht unbedenklich gewesen. Das schließt indes trotz der Täuschungshandlungen nach den Umständen des Einzelfalles die Möglichkeit der Legitimierung des Aufenthalts des Kindes nicht aus, zu deren Prüfung das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren sogar an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Dies wäre aber unterblieben, wäre einem Kind im Rahmen von § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG das Täuschungsverhalten seiner Eltern unmittelbar zuzurechnen.

Die Ausreise der Klägerin zu 4) ist indessen nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich. Soweit es um die Berichtigung des Geburtsregisters geht, in dem die Klägerin zu 4) noch unter dem früheren Aliasnamen verzeichnet ist, ist jedenfalls in absehbarer Zeit mit dem Wegfall des Hindernisses zu rechnen. Nach der Auskunft der Clearing-Stelle Rheinland-Pfalz an die Ausländerbehörde (Bl. 63 GA), an deren Richtigkeit der Senat keinen Anlass zu zweifeln sieht und die auch von den Klägern nicht substantiiert angegriffen ist, ist eine Nachregistrierung der in Deutschland geborenen Klägerin in der Türkei und damit letztlich auch die Passausstellung durch das türkische Generalkonsulat im Anschluss an die Berichtigung der Falschbeurkundung der Geburt unter Vorlage einer Internationalen Geburtsurkunde möglich. Soweit nach den Angaben des Standesamtes die Berichtigung der Geburtsurkunden durch das zuständige Amtsgericht den Antrag der Eltern unter Vorweis von deren Pässen erfordert, steht auch der Passerteilung an diese kein unüberwindliches Hindernis entgegen, da nach den Angaben der Clearing-Stelle die Behauptung nicht zutrifft, dass die türkischen Behörden bei wie hier geklärter Identität nur im Falle, dass die Ausländerbehörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels bescheinigen würde, Pässe ausstellt.

Die freiwillige Ausreise der Klägerin zu 4) ist auch nicht wegen des Vorliegens eines inlandsbezogenen Ausreisehindernisses unmöglich, weil eine Aufenthaltsbeendigung einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) bzw. in ihr durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Persönlichkeitsrecht darstellen würde. Dabei fehlt es allerdings hier nicht an einer Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 EMRK. Der Aufenthalt war zwar im Anschluss an das erfolglose Asylverfahren durchweg nur geduldet; auch begründet nicht bereits die lange Dauer eines Aufenthalts als solche die entsprechende schutzwürdige Position. Bestandteil des geschützten Privatlebens ist nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. Urteil der Großen Kammer vom 18. Oktober 2006 - 46410/99 "Üner" - juris, Rn. 59) die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen niedergelassenen Einwanderern und der Gemeinschaft, in der sie leben. Das geschützte Privatleben ist gekennzeichnet durch das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen eines jeden Menschen. Eine Beeinträchtigung des Privatlebens durch Vorenthaltung eines verlässlichen Aufenthaltsstatus ist auch dann möglich, wenn das Privat- und Familienleben des Betroffenen in wesentlicher Hinsicht durch eine Situation der Ungewissheit und Unsicherheit während eines langen Zeitraums unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. EGMR, "Aristimuno Mendizabal", Urteil vom 17. Januar 2006, InfAuslR 2006, 297). Daraus folgt, dass die Schutzposition nicht nur bei einem formell legalisierten Aufenthalt in Betracht zu ziehen ist (vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 6. März 2007 - 7 B 10028/08.OVG -, ESOVGRP, m.w.N.).

Die Schutzposition, die von der Klägerin zu 4) insoweit beansprucht werden kann, ist aufgrund ihrer ohne Zweifel guten Integration - sie besucht die 9. Klasse einer Realschule, spricht sehr gut deutsch, hat seit ihrer Geburt in Deutschland ihre gesamte Sozialisation dort erfahren und hat fast nur deutsche Freundinnen und Freunde - und des Umstandes, dass gleichsam Deutschland ihre "Heimat" ist, von nicht unerheblichem Gewicht. Zwar kommt die Schutzwürdigkeit dieser Position nicht der bei einer langjährigen Duldung gleich, die darauf beruht, dass dem Ausländer die freiwillige Beendigung seines Aufenthalts über einen erheblichen Zeitraum hinweg nicht zugemutet werden konnte und der Staat durch Akzeptanz dieses Umstandes mit der Erteilung der Duldung "die Hand zum Verbleib gereicht hat". Denn ihr Aufenthalt ist durch die Täuschung der Eltern verursacht. Andererseits kann dem Kind bei der Begründung des Aufenthalts auf der Grundlage einer Täuschung durch die Eltern diese nicht mit demselben Gewicht zugerechnet werden, wie dies bei den Eltern selbst der Fall wäre. Was den Gesichtspunkt eines in solchen Fällen nicht verdienten Vertrauens angeht, kann beim Kleinkind von einem solchen Umstand nicht die Rede sein, beim heranwachsenden Kind wird dieser Gesichtspunkt ihm nicht mit dem entsprechenden Gewicht entgegengehalten werden können.

Der Senat kommt aber selbst angesichts der beachtlichen Schutzposition der Klägerin zu 4) wegen der zu berücksichtigenden entgegenstehenden öffentlichen Interessen zu dem Gesamtergebnis, dass die Verweisung der Klägerin zu 4) auf die Türkei und die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nicht unverhältnismäßig sind. Bei der hier vorliegenden Konstellation, bei der es um die Aufnahme eines minderjährigen Kindes geht, kann für die Bewertung der öffentlichen Interessen nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Grundsatz der elterlichen Sorge und der Schutz der Familieneinheit (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 1 GG) dazu führt, dass die Eltern sich ebenfalls bis zur Volljährigkeit des Kindes zwangsläufig in Deutschland aufhalten dürfen. Dabei spielt es für die zu berücksichtigenden öffentlichen Belange keine Rolle, ob diese auch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen können, oder ob der Aufenthalt auf dem Status einer Duldung bis zur Volljährigkeit des Kindes beruht, was in Ausnahmefällen entgegen § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ausreichend sein kann (vgl. aus der Sicht der EMRK zurückhaltend zu der Frage eines bestimmten Aufenthaltsrechts EGMR, "Sisojeva II", InfAuslR 2007, 140, 141). Bei der hier 14-jährigen Klägerin zu 4) muss mit einer vierjährigen Dauer der Verlängerung des bisherigen illegalen Aufenthalts der Eltern gerechnet werden; diese standen bisher weitgehend im Sozialhilfebezug und sind wirtschaftlich und auch sonst kaum in die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland integriert. Selbst wenn zurzeit vorgetragen wird, sie ständen nicht im Sozialhilfebezug, weil der im Haushalt lebende älteste Sohn der Familie diese unterhalte, stellt dies keine nachhaltige Lösung dar, denn dessen Nettoeinkommen wird lediglich mit 1.300 bis 1.500 € angegeben, was für die Unterhaltung der vielköpfigen Familie ersichtlich nicht auf Dauer ausreicht. Bei einer weiteren Verfestigung des Aufenthalts sind aus der Sicht der öffentlichen Belange auch die zunehmenden Risiken im Hinblick auf Alter und Krankheit in den Blick zu nehmen. Zudem ist bei ihnen besonders von Bedeutung, dass ihr Aufenthalt auf einer Täuschung über ihre Identität beruht.

Die Nachteile für die Klägerin zu 4) bei einem Wegzug mit den Eltern in die Türkei erscheinen dem Senat demgegenüber noch zumutbar. Es ist zwar zu sehen, dass der Maßstab für die "Zumutungen" an sich die Herauslösung aus dem bisherigen Lebenszusammenhang ist. Die Rückkehr selbst in den westlichen Teil der Türkei - wobei es aufgrund der Familiengeschichte und der dort lebenden Verwandtschaft, wie sich in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat, naheliegt, dass die Eltern nach Izmir ziehen und dort mit Hilfe einer finanziellen Unterstützung durch die volljährigen Kinder in Deutschland, die im Beruf stehen, Fuß fassen - reißt die Klägerin zu 4) aus diesem an sich geschützten Zusammenhang heraus. Aufgrund des Umstands, dass die Muttersprache in der Familie arabisch ist, kann sie zunächst ohne Erlernen der türkischen Sprache auch keine Schulausbildung beginnen oder fortführen. Selbst wenn es mit privaten Mitteln möglich ist, innerhalb geraumer Zeit türkisch zu lernen und so mündlich als auch schriftlich die Sprache zu beherrschen, tritt eine Verzögerung ein, die über das schulpflichtige Alter der Klägerin zu 4) hinausreicht. Auch wenn damit gerechnet werden müsste, dass sie ohne weitere schulische Bildung bleibt, kann es ihr aufgrund der noch zu erlernenden sprachlichen Fähigkeiten und der aus Deutschland mitgebrachten Bildung mit Kenntnis der Fremdsprachen Deutsch und Englisch durchaus gelingen, sich trotzdem in beruflicher Hinsicht zu qualifizieren und eine noch angemessene persönliche Entwicklung zu nehmen. Der Senat ist im Ergebnis der Auffassung, dass der Eingriff in das Privatleben unter diesen Umständen noch zumutbar ist, ohne dass die selbständige Rechtsposition des Kindes gegenüber den öffentlichen Interessen unangemessen geschmälert würde. Die Interessenbewertung ist damit nicht in dem vom Verwaltungsgericht angenommenen strikten Sinne "familienbezogen" (so aber NdsOVG, Urteil vom 29. Januar 2009, 11 LB 136/07 - juris -), blendet jedoch "in der Abwägung die durch den schlechten Integrationsstand der Eltern und die sonst bei ihnen zu berücksichtigenden Umstände zu befürchtenden Nachteile für die öffentlichen Interessen bei ihrem Verbleib nicht aus. Damit ist nicht zugleich darauf erkannt, dass die Belange der Klägerin zu 4) auch dann zurückgestellt werden müssten, wenn etwa die Eltern ohne sie in die Türkei zurückkehren würden und die Sorge für das Kind - soweit familienrechtlich möglich (vgl. § 1630 Abs. 3 BGB) - etwa einer Bezugsperson aus dem näheren Familienkreis überantwortet würde. [...]