SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 15.11.2010 - S 18 AS 2176/10 ER - asyl.net: M17928
https://www.asyl.net/rsdb/M17928
Leitsatz:

Kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 SGB II für niederländische Staatsangehörige, da sie sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen können (mit Bezug auf BSG, Medieninformation zur Entscheidung vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R).

Schlagwörter: SGB II, Unionsbürger, Niederlande, vorläufiger Rechtsschutz, Ausschlussgrund, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Europäisches Fürsorgeabkommen, Familienangehörige
Normen: SGG § 86b Abs. 2, SGB II § 7 Abs. 1 S. 2, EFA Art. 1, SGB I § 30 Abs. 2, SGB II § 7 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

2.1. Die Antragsteller sind entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin nicht vom Leistungsusschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen.

Danach (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 5GB II) sind Ausländer von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Ein Aufenthaltsrecht ergibt sich hier unter Berücksichtigung der Rechtsprechung nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1. ergibt sich vielmehr aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA). Das EFA ist innerstaatlich anwendbares Recht, das Rechte und Pflichten des Einzelnen begründet. Die Anwendbarkeit des EFA ergibt sich weiterhin aus § 30 Abs. 2 SGB I, wonach Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Das EFA ist daher von den Sozialleistungsträgern und Gerichten zu beachten. Zu den Mitgliedsstaaten gehören u.a. die Niederlande und die Bundesrepublik (vgl. LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 14.01.2008 - L 8 SO 88/07 ER m.w.N.). Das BSG hat in seiner neueren Entscheidung vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - nach einer BSG Medieninformation Nr. 41/10 im Ergebnis die Ausführungen des LSG Niedersachsen-Bremen (a.a.O.) bestätigt. In der Medieninformation ist wörtlich ausgeführt worden:

"... Nach Art. 1 des EFA, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich unterzeichnet haben, sei jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Bei dieser Vorschrift handele es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht. Seiner Anwendbarkeit stehe weder vorrangig anzuwendendes anderes Bundesrecht noch Gemeinschaftsrecht entgegen. Die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 1 EFA lägen auch insoweit vor, als es sich bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II um Fürsorge im Sinne des EFA handelt. Hierzu zähle nicht nur die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, sondern auch die begehrte Leistung nach dem SGB II. Deswegen komme es nicht darauf an, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Europarat nach wie vor nur das zum 31.12.2004 außer Kraft getretene Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als unter den Geltungsbereich des Abkommens fallendes Fürsorgegesetz gemeldet hat ..."

Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht vollständig inhaltlich an. Auch der Antragsteller zu 1. unterfällt als Niederländer dem EFA. Ein Leistungsausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift bei dieser besonderen Fallvariante nicht ein, weil sich sein Aufenthaltsrecht aus dem EFA ableitet.

Die Antragsteller zu 2. und 3. unterfallen als Familienangehörige des Antragstellers zu 1. somit ebenfalls nicht dem Leistungsausschluss. Ihr Leistungsanspruch ergibt sich dem Grunde nach aus § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. [...]