VG Halle

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Zitieren als:
VG Halle, Urteil vom 26.08.2010 - 1 A 70/09 - asyl.net: M18245
https://www.asyl.net/rsdb/M18245
Leitsatz:

Anspruch auf Befristung der Ausweisung mit sofortiger Wirkung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorheriges Visumsverfahren für den Vater eines deutschen Kindes.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, deutsches Kind, Sperrwirkung, Ausweisung, Befristung, gewöhnlicher Aufenthalt, Untätigkeitsklage, Prognose, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Beurteilungszeitpunkt, Verhältnismäßigkeit, familiäre Lebensgemeinschaft, alleiniges Sorgerecht, Schutz von Ehe und Familie, unerlaubte Einreise, unerlaubter Aufenthalt,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3, VwVfG LSA § 1 Abs. 1, VwVfG LSA § 3 Abs. 1 Nr. 3a, AufenthG § 72 Abs. 3 S. 1, VwGO § 75, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2, GG Art. 6, AufenthG § 55 Abs. 1, AufenthG § 55 Abs. 2, AufenthG § 27 Abs. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthV § 39 Nr. 5, AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat sowohl einen Anspruch auf Befristung der Ausweisung mit sofortiger Wirkung als auch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Die dem entgegenstehenden Bescheide sind insoweit rechtswidrig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG. Danach werden die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen (Verbot des Aufenthaltes im und der Einreise ins Bundesgebiet; Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels) auf Antrag in der Regel befristet, wobei die Frist grundsätzlich mit der Ausreise beginnt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Verpflichtungsbegehren des Klägers ist begründet. Dem Grunde nach besteht der Anspruch auf Befristung. Anhaltspunkte dafür, dass hier ein Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Befristung ausschließt (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG), sind nicht ersichtlich.

Vorliegend hat der Kläger aber auch einen Anspruch darauf, dass die Befristung abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausnahmsweise mit sofortiger Wirkung ohne vorherige Ausreise erfolgt. Zwar steht die Bemessung der Dauer der Frist grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Hier liegt aber der Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vor. Dies ist in begründeten Ausnahmefällen geboten, wenn höherrangiges Recht hierzu zwingt (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43.06 -, Juris). Den sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen für den Kläger und seinen Sohn ist auch im Rahmen der Bemessung der Befristung nach § 11 Abs. 1 AufenthG Rechnung zu tragen. Die Sperrwirkung ist in diesem Fall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG ausnahmsweise so zu befristen, dass der Aufenthalt zum Zweck des Zusammenlebens sogleich genehmigt werden kann, weil hier eine familiäre Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinem minderjährigen deutschen Sohn besteht, um den sich der Kläger, der allein die Personensorge hat, auch kümmern muss. Wegen der Betreuung seines deutschen Sohnes kann der Kläger auch nicht vorübergehend aus der Bundesrepublik ausreisen. Eben so wenig ist es dem minderjährigen deutschen Kind zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen und seinen Aufenthalt im Ausland zu nehmen, wobei es auf die mutmaßliche Dauer des Aufenthaltes nicht ankommt. Zwar gewährt der grundrechtliche Schutz des Art. 6 GG der Familie unmittelbar keinen Anspruch. Die Ausländerbehörde hat aber bei allen aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine Bindungen an im Bundesgebiet berechtigterweise lebende Familienangehörige angemessen berücksichtigen. Kann der Beistand nur im Bundesgebiet erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, im Regelfall einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 -, Juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 10. Dezember 2008 - 13 LB 13.07 -, Juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2009 - 13 S 1469/09 -, Juris; VG Freiburg, Urteil vom 28. Januar 2010 - 4 K 817/08 -, Juris ). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2003 - 1 C 13/02 -, Juris). Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Für den hier zu entscheidenden Fall folgt daraus, dass die Befristung mit sofortiger Wirkung zu erfolgen hat und eine vorherige Ausreise des Klägers nicht verlangt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 -, Juris). [...] Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird auch bestätigt durch die weiteren Umstände. Hier liegt zu Lasten des Klägers lediglich eine Ausweisungsverfügung nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG wegen unerlaubter Einreise mit nachfolgendem unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet vor, weil er eingereist war, ohne im Besitz eines gültigen Reisepasses und ohne eine Aufenthaltserlaubnis zu sein. Weitere Straftaten hat der Kläger nicht verwirklicht, sondern sich während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet im Wesentlichen rechtstreu verhalten. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung (§ 241 StGB), das eingestellt worden ist und auch nicht aus der Strafanzeige des Beklagten vom 19. Januar 2009 wegen des unerlaubten Verlassens des Gebietes des Landes Sachsen- Anhalt, zumal der Kläger gerade nicht außerhalb dieses Gebietes angetroffen worden ist. Auch ist er gegenüber seinem Sohn seinen Pflichten als Vater nachgekommen und hat diesen, nach dem der Mutter des Kindes das Sorgerecht entzogen worden ist zu sich genommen, um ihn nunmehr allein zu betreuen. Bei dieser Sachlage bestehen weder aus spezialpräventiven noch aus generalpräventiven Gründen Bedenken dagegen, dass hier die Wirkungen der Ausweisung ab sofort befristet wird.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Dieser steht auch nicht (mehr) die Sperrwirkung der Ausweisung vom 21. Januar 2005 entgegen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt darüber hinaus nach § 27 Abs. 1 AufenthG eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem ausländischen Elternteil und dem minderjährigen deutschen Kind voraus. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht eine den Anforderungen des § 27 Abs. 1 AufenthG genügende familiäre Lebensgemeinschaft. Der Kläger, der für seinen Sohn nunmehr das alleinige Personensorgerecht hat, lebt mit diesem auch in häuslicher Gemeinschaft, so dass die Anforderungen an eine familiäre Lebensgemeinschaft erfüllt sind. Auch die weiteren in § 5 AufenthG geregelten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen stehen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG nicht entgegen. Insbesondere ist unschädlich, dass der Lebensunterhalt des Klägers (jedenfalls derzeit) nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) ist. Von dieser Voraussetzung ist gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in den Fällen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG abzusehen. Die Ausweisung vom 21. Januar 2005 steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gleichfalls nicht (mehr) entgegen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), weil aufgrund der sofortigen Befristung die in § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG normierte Sperrwirkung entfällt. Auch dass der Kläger ohne einen gültigen Sichtvermerk eingereist ist, hindert die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht. Zwar setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 5 Abs. 2 AufenthG voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Diese Vorschrift steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für den Kläger hier aber dennoch nicht entgegen. Seine Einreise erfolgte - bezogen auf den nach der Geburt seines deutschen Kindes erstrebten Aufenthalt aus familiären Gründen - nicht ohne das erforderliche Visum, weil er nach § 39 Nr. 5 AufenthV die Aufenthaltserlaubnis in diesem Fall im Bundesgebiet einholen darf (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2007 - 11 S 837/06 -, Juris). Seine Abschiebung war zunächst nach § 60 a AufenthG ausgesetzt und er hat während dieses Aufenthaltes im Bundesgebiet durch die Geburt des Kindes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben und so auch unter Vorlage der Unterlagen und der dadurch erfolgten vollständigen Darlegung des Sachverhaltes bereits am 18. Januar 2008 beantragt. Auch § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde zwar unanfechtbar abgelehnt. Die Vorschrift findet aber nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG keine Anwendung auf den Kläger, weil dieser einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat. Ein solcher gesetzlicher Anspruch steht dem Kläger zu, denn die Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen hier - wie oben ausgeführt - vor. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.