VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 27.05.2009 - 6 A 110/09 - asyl.net: M18278
https://www.asyl.net/rsdb/M18278
Leitsatz:

Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung (§ 104a Abs. 1 AufenthG, Bleiberecht), insbesondere kein Ausschluss wegen Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, da die Aufforderung der Ausländerbehörde zur Vorlage eines iranischen Passes untauglich war.

Schlagwörter: Altfallregelung, Bleiberecht, Aufenthaltserlaubnis auf Probe, Ausweisersatz, Iran, Passpflicht, Mitwirkungspflicht, Passersatz, Freiwilligkeitserklärung, Shenasname, Identitätsfeststellung, Ermessen, Hinauszögern oder Behindern behördlicher Maßnahmen,
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1, AufenthG § 48 Abs. 2, AufenthG § 104a Abs. 1 S. 3, AufenthG § 5 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4, AufenthG § 48 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 104a Abs. 1 AufenthG als Ausweisersatz gem. § 48 Abs. 2 AufenthG.

Gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 01. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er

[...] 4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat. [...]

Für die Beantwortung der Frage, ob die mit der Verpflichtungsklage verfolgte Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zugrunde zu legen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erweist sich die Ablehnung des Erlaubnisantrags als rechtswidrig. [...]

(1) Der Kläger hat nicht vorsätzlich behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung hinausgezögert oder behindert. Ein derartiger Schluss kann aus seinem Verhalten in der Vergangenheit nicht gezogen werden.

Zwar ist in den Verwaltungsvorgängen nicht dokumentiert, dass der Kläger auf die Aufforderung der Beklagten vom 10.05.2004, sich um die Ausstellung eines Passes zu bemühen, reagiert hat. Aus dieser fehlenden Dokumentation allein lässt sich jedoch nicht darauf schließen, dass der Kläger nichts unternommen hat. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte die Aufforderung erst über zwei Jahre später am 13.07.2006 wiederholt hat, worauf der Kläger unverzüglich am 11.08.2006 das Generalkonsulat in Hamburg aufgesucht hat, aber abschlägig beschieden worden ist.

Im Übrigen erweist sich die Aufforderung der Beklagten an den Kläger, sich um die Ausstellung eines Passes zu bemühen, als untauglich. Nach der Auskunftslage ist die Ausstellung eines iranischen Passes durch eine iranische Auslandsvertretung nur dann möglich, wenn der Antragsteller einen gültigen oder abgelaufenen iranischen Pass mit Aufenthaltstitel vorlegen kann. Kann er dies - wie hier - nicht, kommt nur die Beantragung eines Passersatzpapiers in Betracht. Dazu ist der Kläger jedoch seitens der Beklagten nie aufgefordert worden.

Dem Kläger kann nicht vorgehalten werden, aus dem Gesprächsvermerk vom 11.10.2006 ergebe sich, er sei gar nicht bereit, mittels der Hilfe von Verwandten Dokumente zu beschaffen, die für die Ausstellung eines Passes notwendig sind. Der Kläger ist am 20.04.2006 aufgefordert worden, eine Geburtsurkunde vorzulegen. Er hat sich zu diesem Zweck an seine in Teheran lebende Schwester gewandt und am 15.11.2006 ein Schreiben seiner Schwester vorgelegt, worin diese ihm mitteilt, sie habe bei sich keine Unterlagen des Klägers gefunden. Weiterhin führt sie darin aus, dass sie vom Amt für das Personenstandsregister die Auskunft erhalten habe, dass der Kläger persönlich im Iran vorsprechen müsse. Sie könne nicht mehr erreichen.

Dem Kläger kann nicht vorgehalten werden, er habe von der Möglichkeit der Beauftragung eines iranischen Rechtsanwaltes keiner Gebrauch gemacht. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezog und bezieht und sich somit die Frage stellt, wovon er diesen iranischen Rechtsanwalt bezahlen soll, zumal die Beklagte die Anträge des Kläger auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis abgelehnt hat und dem Kläger keine Kostenübernahme zugesichert hat. Zum anderen ergibt sich aus dem Vermerk der Beklagten vom 12.09.2007, dass dieser Weg nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Teheran (e-mail vom 27.02.2006) aussichtslos ist.

Dem Kläger kann nicht vorgehalten werden, er habe nie eine sog. Freiwilligkeitserklärung unterzeichnet. Eine Weigerung des Klägers, bei Bedarf eine derartige Erklärung zu unterzeichnen, liegt ebenso wenig vor wie eine Aufforderung der Beklagten, eine derartige Erklärung zu unterzeichnen. Dies ist seitens der Beklagten wahrscheinlich deshalb unterblieben, weil die Beklagte den Kläger nie dazu aufgefordert hat, die Ausstellung eines iranischen Passersatzpapiers zu beantragen. wozu u.a. die Abgabe dieser Erklärung verlangt wird. Die Frage, ob es der Kläger ablehnen darf, die für die Ausstellung eines Passersatzes verlangte Freiwilligkeitserklärung abzugeben, stellt sich daher nicht.

Dem Kläger kann auch nicht vorgehalten werden, er habe das auch in der Vergangenheit bestehende sog. Identitätsfeststellungsverfahren vor dem iranischen Generalkonsulat nicht betrieben. Dass ein solches Verfahren existiert, ist den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht erst durch die Auskunft des iranischen Generalkonsulats in Harnburg vom 19.11.2008 überhaupt bekannt geworden. Unverzüglich nach Kenntnis dieser Möglichkeit hat der Kläger am 22. Januar 2009 beim Generalkonsulat der Islamischen Republik Iran in Hamburg vorgesprochen und an der Durchführung dieses Verfahrens zur Erlangung einer Zweitausfertigung der iranischen Kennkarte (Shenasname), deren Vorlage für die Ausstellung eines iranischen Passersatzpapiers durch die Auslandsvertretung erforderlich ist, mitgewirkt. Dass es sich dabei um einen gangbaren Weg zur Erlangung von Passersatzpapieren für ausweislose iranische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland handelt, folgt aus der Auskunft des Generalkonsulats und dem insoweit nicht bestrittenen Schilderungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers über die ihm zu dem betreffenden Feststellungsverfahren erteilten mündlichen Auskünfte von Konsulatsbeschäftigten.

Dass der Kläger auch ohne das Identitätsfeststellungsverfahren in der Lage wäre, sich zum Zweck der Ausstellung einer Ersatzkennkarte bei dem iranischen Generalkonsulat auszuweisen, lässt sich nicht beweisen. So hat der Kläger unwiderlegt bestritten, im Besitz eines amtlichen iranischen Dokuments mit Lichtbild zu sein, was der Auskunft der Botschaft der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2008 zufolge ausreichte, um bei einer iranischen Auslandsvertretung eine Ersatzkennkarte zu beantragen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der diesbezügliche Vortrag des Klägers unrichtig wäre, lassen sich dem vorliegenden Sachverhalt nicht entnehmen.

Dass der Kläger in der Lage wäre, seine Identität durch zwei männliche Personen iranischer Staatsangehörigkeit, die sich ihrerseits mit der iranischen Kennkarte ausweisen können und nicht "in einer engen Beziehung zu ihm" stehen (vgl. Auskunft der ZAAB vom 11.12.2007), nachzuweisen, lässt sich ebenfalls nicht beweisen.

Es gibt auch keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass der weitere in den vorliegenden Auskünften aufgezeigte Weg zur Beschaffung eines Ersatz-Shenasnameh, nämlich die Bevollmächtigung von im Iran lebenden Verwandten oder Bekannten zur Beantragung einer Ersatzkennkarte durch den Kläger, entweder mit größerer Aussicht auf Erfolg oder auf schnellerem Wege zum Ergebnis der Ausstellung eines Passersatzes führen würde. Dabei kann es dahingestellt bleiben, welche formellen Anforderungen an eine solche Vollmacht zu stellen wären und ob es dem Kläger zuzumuten ist, zunächst einen entsprechenden Versuch mit Hilfe einer notariellen Handlungsvollmacht zu unternehmen. Jedenfalls bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein solches Verfahren im Ergebnis weniger langwierig wäre als der jetzt gewählte Weg der behördlichem Identitätsfeststellung über das iranische Generalkonsulat.

Unter diesen Umständen lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vorsätzlich aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinausgezögert oder behindert.

Dass der Kläger die übriger Tatbestandvoraussetzungen des § 104a Abs. 1 AufenthG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, wobei das Ermessen durch die Formulierung "soll" dahingehend eingeschränkt ist, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Gründe, die ein Abweichen von der Regel rechtfertigen könnten, sind weder den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen noch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten genannt worden.

(2) Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis kann nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger seine Passpflicht nicht erfüllt. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Satz 1 AufenthG gilt gem. § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5. Demzufolge kann die Beklagte gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung das § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG absehen und einen Ausweisersatz nach § 48 Abs. 4 AufenthG ausstellen, wobei sie ihr Ermessens im Lichte des § 104a Abs. 1 AufenthG auszuüben hat. Auch insoweit sind dem Verwaltungsvorgang keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die dem Kläger im Rahmen der Ermessensausübung entgegengehalten werden könnten. Weiterhin hat die Beklagte auch insoweit auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass keine Aspekte vorliegen, die sich bei der Ermessensausübung zu Lasten des Klägers auswirken. Daher liegt hier eine Ermessensreduzierung dahingehend vor, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 104 AufenthG als Ausweisersatz gemäß § 48 Abs. 2 AufenthG zu erteilen ist. [...]