VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1867/10 [ASYLMAGAZIN 2011, S. 394 f.] - asyl.net: M18456
https://www.asyl.net/rsdb/M18456
Leitsatz:

1. Eine Aufenthaltserlaubnis ist regelmäßig zu befristen. Als integrierender Bestandteil einer Aufenthaltserlaubnis ist die Befristung nicht isoliert anfechtbar und aufhebbar.

2. Die Ermessensentscheidung über die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis ist an deren Zweck auszurichten. Bei einer humanitären Aufenthaltserlaubnis darf die Ermessensentscheidung zudem an der Prognose ausgerichtet werden, wann mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Befristung, Geltungsdauer, Ermessen, Verpflichtungsklage, familiäre Beistandsgemeinschaft, Eltern-Kind-Verhältnis, Aufenthaltszweck, Nebenbestimmung, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Abschiebungshindernis, staatenlos, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AufenthG § 7 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 26 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, LVwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 1, GG Art. 6, GG Art. 8 EMRK
Auszüge:

[...]

Die vom Kläger erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von drei Jahren ist zulässig. Zwar ist nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts die Anfechtungsklage gegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 - 11 C 2/00 - BVerwGE 112, 221). Gleichwohl kommt eine isolierte Anfechtung der Befristung nicht in Betracht. Eine Aufenthaltserlaubnis ist regelmäßig zu befristen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Als integrierender Bestandteil einer Aufenthaltserlaubnis ist die Befristung aber nicht isoliert anfechtbar und aufhebbar (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 05.03.2008 - 11 S 378/08 - VBlBW 2008, 353 zur auflösenden Bedingung; VG Stuttgart, Urt. v. 29.06.2009 - 11 K 1870/09 - InfAuslR 2009, 395 zur Befristung einer Duldung).

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind im Hinblick auf die erfolgte Befristung rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit einer Geltungsdauer von drei Jahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Kläger hat Anspruch auf Verlängerung der ihm am 21.08.2007 erteilten humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG; dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Nach § 36 Abs. 1 LVwVfG darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Zu den Nebenbestimmungen im Sinne der Vorschrift gehören nach der Legaldefinition des § 36 Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG nach dem insoweit maßgeblichen materiellen Gehalt einer Nebenbestimmung auch Befristungen. § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestimmt ausdrücklich, dass die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszweck zu befristen ist. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG für jeweils längstens drei Jahre erteilt und verlängert werden. Über die somit nach § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG zulässige und notwendige Befristung der humanitären Aufenthaltserlaubnis hat die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Diese Ermessensentscheidung über die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis ist an deren Zweck auszurichten (§ 40 LVwVfG). Auch § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen ist. Die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis darf also nicht in Widerspruch zum konkreten Aufenthaltszweck stehen und muss die verfassungsrechtlichen Vorgaben wie beispielsweise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Andererseits darf die Ermessensentscheidung an der Prognose ausgerichtet werden, wann mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen ist (vgl. § 26 Abs. 2 AufenthG). Bei ihrer Ermessensentscheidung über die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis hat die Ausländerbehörde zudem die öffentlichen Interessen und die schutzwürdigen privaten Belange hinreichend abzuwägen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.09.2006 - 1 C 20/05 - NVwZ 2007, 470).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte im vorliegenden Fall ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt. Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums Stuttgart liegt mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau und seinen drei Kindern gerade kein Umstand vor, der die Wahrscheinlichkeit eines Wegfalls des Ausreisehindernisses erhöht. Der Kläger hat schon im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren dargelegt, dass er die familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern trotz räumlicher Trennung aufrecht erhalten werde. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diese Absicht glaubhaft bekräftigt und zudem überzeugende Ausführungen zur gelebten Vater-Kind-Beziehung gemacht. Auch die Ehefrau des Klägers hat bei der Ausländerbehörde der Beklagten am 09.07.2009 bestätigt, dass der Kläger regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern hat. Aufgrund dieser gelebten Vater-Kind-Beziehung liegt ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis nach Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 8 EMRK vor (vgl. VGH München, Beschl. v. 22.07.2008 - 19 CE 08.781 - InfAuslR 2009, 158 m.w.N.). Dass dieses Ausreisehindernis im vorliegenden Fall in absehbarer Zeit entfällt, ist im Hinblick auf das Alter des jüngsten Kindes des Klägers gerade nicht erkennbar. Darüber hinaus hat das Regierungspräsidium Stuttgart bei seiner Ermessensentscheidung auch nicht berücksichtigt, dass der Kläger staatenlos ist und eine Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet damit auf unabsehbare Zeit ausscheidet. [...]