OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 19.05.2011 - 4 Bf 88/10 - asyl.net: M18593
https://www.asyl.net/rsdb/M18593
Leitsatz:

Vorlage von Fragen an den EuGH zur Auslegung von Art. 10 und 13 des ARB 1/80, ob aus dem Diskriminierungsverbot aufenthaltsrechtliche Wirkungen aufgrund eines "überschießenden Rechts zur Erwerbstätigkeit" (hier: Arbeitsberechtigung bei befristeter Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Ehe) abgeleitet werden können.

Schlagwörter: Diskriminierungsverbot, Stillhalteklausel, Standstill-Klausel, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziierungsabkommen, aufenthaltsrechtliche Wirkungen
Normen: ARB 1/80 Art. 10, ARB 1/80 Art. 13
Auszüge:

[...]

Es geht darum, ob aus dem Diskriminierungsverbot aufenthaltsrechtliche Wirkungen aufgrund eines "überschießenden Rechts zur Erwerbstätigkeit" (hier: Arbeitsberechtigung bei befristeter Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Ehe) abgeleitet werden können.

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Ist Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen,

a) dass ein türkischer Arbeitnehmer, dem ordnungsgemäß die Erlaubnis erteilt wurde, im Gebiet eines Mitgliedstaats für eine bestimmte (gegebenenfalls unbefristete), die Dauer der Aufenthaltserlaubnis übersteigende Zeit eine Beschäftigung auszuüben (sogenannte überschießende Arbeitserlaubnis), während dieser gesamten Zeit seine Rechte aus dieser Erlaubnis ausüben kann, soweit dem Gründe des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, nicht entgegen stehen,

b) und dass es einem Mitgliedstaat untersagt ist, dieser Erlaubnis unter Hinweis auf zum Zeitpunkt ihrer Erteilung geltende nationale Vorschriften über die Abhängigkeit der Arbeitserlaubnis von der Aufenthaltserlaubnis von vornherein jegliche Wirkung in Hinblick auf seinen aufenthaltsrechtlichen Status abzusprechen (im Anschluss an: Urteile des Gerichtshofs vom 2. März 1999 [Rs. C-416/96, El-Yassini, Slg. 1999, I-01209, Leitsatz 3, Rn. 62 bis 65] zur Tragweite des Art. 40 Abs. 1 des Abkommens EWG-Marokko, sowie vom 14. Dezember 2006 [Rs. C-97/05, Gattoussi, Slg 2006, I-11917, Leitsatz 2, Rn. 36 bis 43] zur Tragweite des Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen EG-Tunesien)?

Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist:

2. Ist Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen, dass die Stillhalteklausel es einem Mitgliedstaat auch verbietet, einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmer durch eine normative Regelung (hier: durch das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004) die Möglichkeit zu nehmen, sich auf einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 im Hinblick auf die ihm zuvor erteilte, die Dauer der Aufenthaltserlaubnis übersteigende Arbeitsgenehmigung zu berufen?

Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist:

3. Ist Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen, dass das darin normierte Diskriminierungsverbot es den nationalen Behörden jedenfalls nicht untersagt, befristete Aufenthaltserlaubnisse, die einem türkischen Arbeitnehmer nach nationalem Recht für eine bestimmte Zeit zu Unrecht erteilt worden sind, nach Ablauf von deren Geltungsdauer entsprechend den nationalen Vorschriften für solche Zeiträume zurückzunehmen, in denen der türkische Arbeitnehmer die ihm davor ordnungsgemäß erteilte unbefristete Arbeitsgenehmigung tatsächlich ausgenutzt und gearbeitet hat?

4. Ist Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 weiter dahin auszulegen, dass von dieser Vorschrift ausschließlich diejenige Beschäftigung erfasst wird die ein türkischer Arbeitnehmer, der im Besitz einer ihm von den nationalen Behörden ordnungsgemäß erteilten unbefristeten und sachlich nicht eingeschränkten Arbeitserlaubnis ist, in einem Zeitpunkt ausübt, in dem seine für einen anderen Zweck erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis endet, und dass ein türkischer Arbeitnehmer in dieser Situation deshalb nicht verlangen kann, dass die nationalen Behörden auch nach endgültiger Aufgabe dieser Beschäftigung seinen weiteren Aufenthalt für eine neue Beschäftigung - gegebenenfalls nach einer für die Stellensuche notwendigen zeitlichen Unterbrechung - erlauben?

5. Ist Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 weiter dahin auszulegen, dass das Diskriminierungsverbot es den nationalen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats (nur) untersagt, gegenüber einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen, dem er ursprünglich in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf seinen Aufenthalt verliehen hat, nach dem Ablauf der zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, sofern diese Maßnahmen nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates dienen, sie nicht jedoch dazu verpflichtet, eine Genehmigung zum Aufenthalt zu erteilen? [...]