SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 24.06.2011 - S 22 AS 943/11 ER - asyl.net: M18718
https://www.asyl.net/rsdb/M18718
Leitsatz:

Keine Anwendung von § 20 Abs. 4 SGB II (Regelbedarf von jeweils 328,- EUR bei Volljährigen in Bedarfsgemeinschaft) auf Fälle, in denen Leistungsbezieher nach dem SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG leben. In dieser Rechtsauffassung (vgl. bereits SG Bremen, Beschluss vom 5.7.2010 - S 22 AS 1223/10 ER - asyl.net, M17650) fühlt sich die Kammer auch durch die Neufassung des SGB II bestätigt.

Schlagwörter: SGB II, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Bedarfsgemeinschaft, Asylbewerberleistungsgesetz, Regelleistung, Existenzminimum,
Normen: SGG § 86b Abs. 2 S. 2, SGB II § 20 Abs. 4 S. 1, SGB II § 20 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser folgt aus § 20 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Danach beträgt der Regelbedarf für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, seit monatlich 364- Euro.

Der Antragsgegner geht zu Unrecht von der Anwendbarkeit von § 20 Abs. 4 SGB II aus. Danach ist als Regelbedarf für jede dieser Personen ein Betrag in Höhe von monatlich 328,- Euro anzuerkennen, wenn zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben. Diese Norm ist nach der Überzeugung der erkennenden Kammer aber nicht auf Fälle anzuwenden, in denen Leistungsbezieher nach dem SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG leben. Das SG Hamburg (Az.: S 56 AS 796/08 ER) hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des LSG Berlin Brandenburg (Az.: L 18 B 472/07 AS ER) hierzu überzeugend ausgeführt:

"Hintergrund der Regelung in § 20 Abs. 3 SGB II ist der Verzicht auf die Figur des "Haushaltsvorstandes". Nach der Vorgängerregelung in § 2 der Regelsatzverordnung erhielt ein Alleinstehender den vollen Regelsatz; bei Haushalten mit mehreren Personen stand dieser dem "Haushaltsvorstand" zu. Sonstige volljährige Haushaltsangehörige erhielten lediglich 80 vom Hundert dieses Regelsatzes. Da das SGB II keinen "Haushaltsvorstand" mehr kennt, war eine andere Regelung für den Fall mehrerer volljähriger Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erforderlich. § 20 Abs. 3 SGB II stellt klar, dass immer dann, wenn zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, ihre Regelleistung jeweils 90 vom Hundert, also den rechnerischen Durchschnitt zwischen der Regelleistung für den Alleinstehenden und für seinen Partner, beträgt. In der Summe erhalten also zwei erwachsene Partner denselben Betrag wie bei der sozialhilferechtlichen Aufteilung in 100 vom Hundert für Haushaltsvorstände und 80 vom Hundert für Haushaltsangehörige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben (vgl. BSG, Urteil vom 07. November 2006, B 7b AS 6/06 R, veröffentlicht in juris). Diese Reduzierung der Regelleistungen auf einen "Mischregelsatz" von 90 vom Hundert hat den Regelfall einer Bedarfsgemeinschaft vor Augen, die aus zwei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen besteht, die beide einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Nach der Rechtsprechung ist dieser Mischregelsatz auch auf – vom Gesetzgeber möglicherweise nicht bedachte – Fälle einer Bedarfsgemeinschaft eines volljährigen Grundsicherungsberechtigten nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) mit einem volljährigen Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II nach dem SGB II anzuwenden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. September 2006, L 7 SO 5536/05, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2005, L 15 B 1095/05 SO, beide veröffentlicht in juris). Nach Sinn und Zweck des § 20 Abs. 3 SGB II kann dieser "Mischregelsatz" jedoch bei summarischer Prüfung nicht für eine Bedarfsgemeinschaft gelten, in der ein Partner Alg II und der andere Partner nur Leistungen nach dem AsylbLG bezieht, denn diese Bedarfsgemeinschaft erhält nicht den zweifachen "Mischregelsatz". Die Leistungen nach dem AsylbLG liegen nämlich erheblich unter denjenigen nach dem SGB II und dem SGB XII. So besteht nach AsylbLG neben den (anteiligen) Kosten der Unterkunft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AsylbLG lediglich ein Anspruch auf einen Geldbetrag in Höhe von 40,90 € und Zusatzleistungen in Höhe von 181,07 €, d.h. insgesamt auf Leistungen im Wert von 221,97 €. Zusammen kommen ein Alg II-Empfänger und sein nach AsylbLG leistungsberechtigter Partner also nicht auf 180% des Regelsatzes eines "Haushaltsvorstandes". Würde der Antragstellerin zu 1) nur der reduzierte Regelsatz gemäß § 20 Abs. 3 SGB II zustehen, so würde sie mittelbar von den niedrigeren Leistungen nach dem AsylbLG betroffen. Ihr nach dem SGB II anzuerkennender Bedarf, der in der Höhe des Regelsatzes zum Ausdruck kommt, wäre nicht mehr vollständig abgedeckt, weil die Absenkung um 34 € nach Maßgabe des § 20 Abs. 3 SGB II nicht durch Leistungen an Herrn B. in Höhe von 90 vom Hundert des Regelsatzes kompensiert würde. Dies steht nicht im Einklang mit dem im Bereich des SGB II geltenden Bedarfsdeckungsgrundsatz. Ob die Anwendung des Mischregelsatzes zulässig ist, wenn der nach dem AsylbLG leistungsberechtigte Partner so genannten Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG iVm dem SGB XII erhält, kann dahingestellt bleiben, da hierfür im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte bestehen.“ (zitiert nach juris, Rn. 28).

Diesen Erwägungen hat sich die erkennende Kammer bereits mit Beschluss vom 05.07.2010 (S 22 AS 1223/10 ER) vollumfänglich angeschlossen und zu Eigen gemacht. An dieser Rechtsauffassung wird weiterhin festgehalten. In dieser Rechtsauffassung fühlt sich die Kammer zudem durch die Neufassung des SGB II bestätigt. Denn entgegen der Auffassung des Antragsgegners dürfte der Wortlaut des § 20 Abs. 4 SGB II nun eindeutig klarstellen, dass die Vorschrift nur auf Bedarfsgemeinschaften anwendbar ist, die aus zwei nach dem SGB II leistungsberechtigten Personen bestehen (so auch bereits SG Bremen, Beschluss vom 20.05.2011, Az.: S 28 AS 775/11 ER). Dementsprechend steht der Antragstellerin hier der volle Regelbedarf aus § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu und ist entsprechend der Leistungsberechnung zu Grunde zu legen.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass soweit der Antragsgegner auf den Beschluss des SG Bremen vom 28.05.2010 (Az.: S 26 AS 908/10 ER) Bezug nimmt, dies schon deshalb nicht zu überzeugen vermag, da diesem kein Sachverhalt zu Grunde lag, in dem einer der Partner Leistungen nach dem AsylbLG bezogen hat. [...]