VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 20.06.2011 - 21 K 2744/11.A - asyl.net: M18820
https://www.asyl.net/rsdb/M18820
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG wegen Rückkehrgefährdung. Im Falle einer Rückführung nach Syrien würde eine Identitätsklärung des Klägers, eines Maktum, sich noch sehr viel aufwändiger und langwieriger gestalten als bei syrischen Staatsangehörigen. Dies dürfte in der Konsequenz eine längere Inhaftierung zur Folge haben, wobei die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht (AZB des BAMF wurde abgelehnt vom OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2011 - 14 A 1587/11.A - asyl.net, M18821).

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Syrien, Kurden, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Folter, erniedrigende Behandlung, unmenschliche Behandlung, Inhaftierung, Rückkehrgefährdung, deutsch-syrisches Rückübernahmeabkommen, Identitätsfeststellung, Maktumin
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

II) Der Kläger hat allerdings - derzeit - einen Anspruch darauf, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG besteht. [...]

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG liegt hier vor, wohingegen die Absätze 3 und 7 Satz 2 nicht einschlägig sind. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Der Begriff der Gefahr ist dabei im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für diesen Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Hiervon ist auch nach Inkrafttreten der sog. Qualifikationsrichtlinie auszugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. April 2008 -10 B 28/08 -, juris).

Nach Auffassung des Gerichts droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Syrien - derzeit - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder der unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung.

Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246) regelt Folgendes:

"Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck Folter jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind."

Unter Folter ist damit jede unmenschliche oder erniedrigende Behandlung physischer oder psychischer Art zu verstehen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese dem Geständnis eigener oder dem Verrat fremder Taten, der Ahndung bereits bekannter oder der Verhütung zukünftiger Handlungen dient oder Ausdruck anders motivierter Misshandlungen ist. Der Schutz vor Folter ist ein grundlegendes Menschenrecht, ihr Verbot ist in allen wichtigen Menschenrechtsabkommen enthalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184).

Das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, das sich auch aus Art. 3 EMRK ergibt, gilt absolut. [...]

Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, er besitze nicht die syrische Staatsangehörigkeit und gehöre damit der Gruppe der "maktumin" in Syrien an. Das Gericht geht daher unter Berücksichtigung der dargestellten Erkenntnisse davon aus, dass sich im Falle einer Rückführung nach Syrien eine Identitätsklärung des Klägers noch sehr viel aufwendiger und langwieriger gestalten würde als bei syrischen Staatsangehörigen. Dies dürfte in der Konsequenz eine längere Inhaftierung des Klägers zur Folge haben, wobei die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht.

War demnach die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syriens zu verpflichten, bedurfte es einer Entscheidung über den weiteren Hilfsantrag über die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. den Vorschriften der EMRK und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mehr. [...]