VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 01.09.2011 - 3 K 2195/10.GI.A - asyl.net: M18973
https://www.asyl.net/rsdb/M18973
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Aktivitäten für die arabische Minderheit im Iran. Die Lage ethnischer Minderheiten ist im Iran durch vielfältige Einschränkungen in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gekennzeichnet. Die immer wieder laut werdenden Forderungen nach größerer Autonomie führen zu sehr energischen staatlichen Repressionen, da diese als separatistische Bedrohung des Systems empfunden werden.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Iran, Araber, Hezb-hi-Wefagh
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Das Gericht ist aufgrund der Angaben des Klägers, der beigezogenen Behördenakte und nach Auswertung der in das Verfahren eingeführten Dokumente und Quellen zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat. Bei ihm liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vor.

Die Angaben des Klägers zu seinen politischen Aktivitäten erscheinen dem Gericht insgesamt glaubhaft. Seine Erklärungen anlässlich seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung, mit denen der seine bereits gegenüber dem Bundesamt gemachten Angaben detaillierter beschrieben hat, ohne dabei in wesentlichen Punkten von der bisherigen Darstellung seines Verfolgungsschicksals abzuweichen, hält der Einzelrichter nach seinem persönlichen Eindruck für wahr.

Die Lage ethnischer Minderheiten, zu denen die Araber zählen, ist im Iran durch vielfältige Einschränkungen in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gekennzeichnet (vgl.: GfbV vom 30.06.2006, "Die Araber im iranischen Khuzestan"; Deutsches Orient-Institut an VG Köln vom 08.07.2007; AA Lagebericht Iran vom 28.07.2010). Die immer wieder laut werdenden Forderungen dieser Gruppen nach größerer Autonomie führen zu sehr energischen staatlichen Repressionen gegen diese als separatistisch empfunden Forderungen. Die von der Regierung als existenziell wahrgenommene Bedrohung des Systems durch die Oppositionsbewegung führt dazu, dass diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft wird. Elementare Menschen- und Freiheitsrechte sowie zivilgesellschaftliche Spielräume bleiben hierbei auf der Strecke. Zwar kann die Tätigkeit des Klägers für die Organisation Hezb-hi-Wefagh nicht als hochprofiliertes oppositionelles Engagement gegen das iranische Regime bewertet werden, jedoch zeigen die im Zusammenhang mit Bombenanschlägen in der Stadt Ahwaz im Jahr 2005 bekannt gewordenen Todesstrafen gegen arabische Volkzugehörige (ai, urgent action vom 02.04.2007) ebenso wie aktuelle Berichte über Zusammenstöße arabischer Demonstranten mit iranischen Sicherheitskräften im April 2011 (Human Rights Watch "Investigated Reported Killings of Demonstrators" vom 29.04.2011), dass der Kläger wegen des grundsätzlich kaum voraussehbaren Verhaltens der Sicherheitskräfte gegenüber echten oder scheinbaren politischen Oppositionellen im Falle seiner Rückkehr in den Iran begründete Furcht vor Verfolgung haben muss. [...]