VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 15.09.2011 - 4 V 732/11 - asyl.net: M19130
https://www.asyl.net/rsdb/M19130
Leitsatz:

Datenanforderungen der Ausländerbehörde und Datenübermittlungen des Jugendamtes über Umgangskontakte des Vaters mit seinem Kind sind vorliegend rechtswidrig, da es sich hierbei um besonders geschützte Daten im Sinne von § 65 SGB VIII handelt. Jugendhilfe kann nur dann effektiv erbracht werden, wenn seitens der Beteiligten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Jugendamtsmitarbeitern gewährleistet ist. Der um Hilfe nachsuchende Betroffene muss sich sicher sein können, dass Erkenntnisse aus der Beratungstätigkeit nicht weitergegeben und damit unter Umständen zu seinen Lasten verwendet werden können. Der Rückgriff der Ausländerbehörde auf Mitarbeiter des Jugendamts als Informationsquelle ist von Gesetzes wegen versagt, denn insoweit ist kein Ausnahmetatbestand geschaffen worden.

Schlagwörter: Datenschutz, Übermittlung personenbezogener Daten, vorläufiger Rechtsschutz, Ausländerbehörde, Jugendhilfe, Eltern-Kind-Verhältnis, Vaterschaft, deutsches Kind, Umgangsrecht, Aufenthaltsrecht, Datenerhebung, Rechtsgrundlage, Löschung, Sozialdaten, Sozialleistungen, Weitergabe,
Normen: AufenthG § 88 Abs. 1, AufenthG § 87 Abs. 1, VwGO § 123 Abs. 1, BremDSG § 22 Abs. 3 Nr. 1, BremDSG § 2 Abs. 1, BremDSG § 3 Abs. 1, AufenthG § 86 Abs. 1, SGB I § 35 Abs. 1 S. 1, SGB I § 35 Abs. 2, SGB VIII § 65 Abs. 1 S. 1, SGB X § 67 Abs. 1 S. 1, SGB VIII § 18 Abs. 3, SGB I § 11 S. 2, SGB VIII § 2 Abs. 2, SGB VIII § 18 Abs. 3
Auszüge:

[...]

1. Das auf die vorläufige Sperrung des E-Mail-Verkehrs in den Behördenakten des Stadtamtes gerichtete Begehren ist zulässig und begründet.

a. Dem Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO steht nicht bereits das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Die hier begehrte vorläufige Sperrung der Daten - mit der Folge eines weitgehenden Nutzungsverbot des E-Mail-Verkehrs - stellt sich als im Verhältnis zu der durch § 22 Abs. 3 Nr. 1 BremDSG im Falle der unzulässigen Datenspeicherung vorgesehenen Datenlöschung als nur vorläufige Maßnahme dar. Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass § 22 BremDSG eine Sperrung personenbezogener Daten für den Fall der unzulässigen Speicherung nicht vorsieht. Im Rahmen des im einstweiligen Anordnungsverfahren bestehenden weiten Ermessens kann das Gericht als vorläufige Maßnahme die Sperrung der Daten zur Sicherung eines im Hauptsacheverfahren bestehenden Anspruchs auf Löschung nach § 22 Abs. 3 BremDSG anordnen (vgl. Mallmann, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, 7. Aufl., § 20 Rn 106; Hess. VGH, Beschl. v. 27.03.1990 - 7 TG 3310/88 - = RDV 1991, 149; VG Frankfurt a.M., Beschl. v. 27.08.1996 - 5 G 1630/96 (3) - NJW 1996, 675).

b. Der Antragsteller hat zudem einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gebotenen nur summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage steht dem Antragsteller in der Hauptsache gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 1 BremDSG ein Anspruch auf Löschung des zwischen dem Amt für Soziale Dienste und dem Stadtamt geführten E-Mail-Verkehrs in den Ausländerakten zu. Nach § 22 Abs. 3 Nr. BremDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Der E-Mail-Verkehr enthält personenbezogene Daten. Nach § 2 Abs. 1 BremDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person, also auch über die Wahrnehmung und Ausgestaltung der Umgangskontakte des Antragstellers mit seinen beiden Kindern.

Unzulässig ist die Datenspeicherung als eine Form der Datenverarbeitung im Sinne des § 2 Abs. 2 BremDSG, wenn sie nicht durch eine Rechtsvorschrift erlaubt oder zwingend vorausgesetzt ist oder der Betroffene nicht in sie eingewilligt hat, § 3 Abs. 1 BremDSG (vgl. auch Mallmann, in: Simitis (Hrsg.), BDSG, 7. Aufl., § 20 Rn. 39). Die Erhebung personenbezogener Daten durch die Ausländerbehörde wird zunächst durch die §§ 86 ff. AufenthG näher ausgestaltet. § 86 Satz 1 AufenthG bestimmt als Rechtsvorschrift in dem vorgenannten Sinne, dass die mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörden zum Zweck der Ausführung des Gesetzes personenbezogenen Daten erheben dürfen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. In Übereinstimmung damit legt § 87 Abs. 1 AufenthG fest, dass öffentliche Stellen ihnen bekannt gewordene Umstände den Ausländerbehörden auf Ersuchen mitzuteilen haben, soweit dies für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Der Antragsgegnerin ist darin beizupflichten, dass die Einholung ergänzender Auskünfte über die Ausgestaltung der Vater-Kind-Kontakte hier zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich war, nachdem der Antragsteller keine weitergehenden Angaben dazu gemacht hat, wie sich der Umgang mit seinen beiden Kindern tatsächlich gestaltet hat.

Allerdings ist die durch § 86 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermächtigung der Ausländerbehörden, personenbezogene Daten im Einzelfall zu erheben, nicht schrankenlos. Ihre Grenze findet sie jedenfalls in § 88 Abs. 1 AufenthG, wonach eine Übermittlung personenbezogener Daten und sonstiger Angaben nach § 87 AufenthG unterbleibt, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, eine Kollision zwischen gesetzlich widerstreitenden Pflichten aus anderen bereichsspezifischen Vorschriften zu vermeiden. § 88 Abs. 1 AufenthG schreibt den Vorrang gesetzlich geregelter Geheimhaltungspflichten gegenüber den Übermittlungspflichten des § 87 Abs.1 AufenthG rechtsverbindlich fest (vgl. ausführlich Petri, in: GK-AufenthG, Stand: März 2008, § 88 Rn. 3 f.). Besondere gesetzliche Verwendungsbeschränkungen sind neben den besonderen Amts- und Berufsgeheimnissen insbesondere die Vorschriften über den Schutz von Sozialdaten im Sinne des § 35 SGB I. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). Nach § 35 Abs. 2 SGB I dürfen Sozialdaten nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des SGB X erhoben, verarbeitet und genutzt werden. Die Vorschriften des SGB X werden durch bereichsspezifische Sondervorschriften zur Datenerhebung und -verarbeitung ergänzt (Petri, in: GK-AufenthG, Stand: März 2008, § 88 Rn. 13).

Die Übermittlung der Einzelheiten der Anbahnung des begleiteten Umgangs des Antragstellers mit seinen minderjährigen Kindern durch das Jugendamt verstößt gegen § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach dürfen Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, nur weitergegeben werden, wenn einer der Erlaubnistatbestände des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII eingreift.

Sozialdaten sind gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X Einzelangaben - d.h. Tatsachen oder Werturteile - über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Das AfSD wurde hier beratend und unterstützend bei der Herstellung und Ausübung des Umgangsrechts zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern tätig, nahm also ihre sich aus § 18 Abs. 3 SGB VIII ergebenden Aufgaben wahr, so dass es sich bei den dabei erlangten persönlichen Daten auch um Sozialdaten im vorgenannten Sinne handelte.

Die der Mitarbeiterin des Jugendamtes dabei zur Kenntnis gelangten Einzelumstände waren ihr ganz überwiegend auch zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden. Die "persönlichen und erzieherischen Hilfen" sind nicht gleichbedeutend mit "Hilfe zur Erziehung" im Sinne der §§ 27 ff. SGB VIII. Der Begriff ist vielmehr identisch mit § 11 Satz 2 SGB I, wonach die persönliche und erzieherische Hilfe als Dienstleistung in Abgrenzung zu Sach- und Geldleistungen definiert ist und dem Bereich der Sozialleistungen zugerechnet wird. Daraus wird überwiegend geschlossen, dass von § 65 Abs. 1 SGB VIII sämtliche Leistungen der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VIII erfasst werden sollen und neben den dort genannten Individualleistungen (Hilfe zu Erziehung, Hilfe für junge Volljährige und Eingliederungshilfe) auch die Angebote der allgemeinen Förderung, wie sie § 18 Abs. 3 SGB VIII vorsieht, erfasst werden (so Maas/Törning, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, 34. EL., § 65 KJHG, Rn 5; Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 34. EL, § 65 Rn. 4; Mörsberger, in: Wiesner (Hrsg.) SGB VIII, 2011, § 65 Rn. 9 f.; wohl auch Fischer, in: Schellhorn, SGB VIII, §§ 61 - 68, Rn. 82). Das überzeugt. § 65 SGB VIII verfolgt den gesetzgeberischen Zweck, die Effektivität der Jugendhilfe sicherzustellen. Jugendhilfe kann nur dann effektiv erbracht werden, wenn seitens der Beteiligten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Jugendamtsmitarbeitern gewährleistet ist (vgl. Mörsberger, in: Wiesner (Hrsg.) SGB VIII, 2011, § 65 Rn. 1). Der um Hilfe nachsuchende Betroffene muss sich sicher sein können, dass Erkenntnisse aus der Beratungstätigkeit nicht weitergegeben und damit unter Umständen zu seinen Lasten verwendet werden können.

Der Mitarbeiterin des Jugendamtes waren die in dem E-Mail-Verkehr enthaltenen Einzelangaben über die Entwicklung der Umgangskontakte ganz überwiegend auch anvertraut. Anvertraut sind die Sozialdaten bereits dann, wenn derjenige, der die Information dem Mitarbeiter preisgibt von dessen Verschwiegenheit ausgeht und ausgehen darf und dies aus dem Zusammenhang erkennbar ist. Die Informationen müssen nicht unter dem "Siegel der Verschwiegenheit" preisgegeben werden (Maas/Törning, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, 34. EL., § 65 KJHG). Es genügt, dass der Mitarbeiter Einblicke in persönliche Verhältnisse des Betroffenen erhält, die ihm verwehrt geblieben wären, wenn derjenige, der die Daten mitgeteilt hat, mit deren Weitergabe hätte rechnen müssen (Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 34. EL, § 65 Rn. 3). Anvertraut sind nicht nur verbal geäußerte Informationen, sondern auch sonst verschaffte Eindrücke, soweit sie Bezug zu der praktischen Zusammenarbeit haben und nicht nur "bei Gelegenheit" der Aufgabenwahrnehmung erfolgen (Mörsberger, in: Wiesner (Hrsg.) SGB VIII, 2011, § 65 Rn. 12). Ob ein solches "Anvertrauen" hier bereits bezüglich der ersten Auskunft der Mitarbeiterin vom 27.04.2011 vorlag, der Antragsteller habe sich noch nicht zur Terminsabsprache gemeldet, kann dahinstehen. Jedenfalls bei der entsprechenden Auskunft der Kindesmutter gegenüber dem Jugendamt und der weiteren Auskunft der Mitarbeiterin über die Kontaktaufnahme durch den Antragsteller und die nunmehr getroffene Absprache, sich vorerst auf postalische Kontakte mit den Kindern zu beschränken, handelte es sich um Informationen, mit deren Weitergabe an die Ausländerbehörde der Antragsteller nicht rechnete und auch nicht rechnen musste.

Der Antragsteller konnte sich auf den Sozialdatenschutz des § 65 Abs. 1 SGB VIII berufen, ohne dass ein Erlaubnistatbestand die Weitergabe der Daten hier im Einzelfall gestattet hätte. Weder sehen die in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB VIII aufgeführten Übermittlungsbefugnisse eine Weitergabe an die Ausländerbehörde vor, noch erlaubt § 88 Absätze 2 und 3 hier die Übermittlung im Einzelfall.

Das Gericht erkennt an, dass die Ausländerbehörde ein großes Interesse daran hat, Einzelheiten in Bezug auf die bestehenden Umgangskontakte zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern zu erfahren und den Wahrheitsgehalt der Angaben des Antragstellers zu überprüfen. Zu diesem Zweck ist ihr der Rückgriff auf die Mitarbeiter des Jugendamts als Informationsquelle jedoch von Gesetzes wegen versagt, weil insoweit kein Ausnahmetatbestand geschaffen worden ist.

Es ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Durch die Sperrung der Daten wird verhindert, dass die Ausländerbehörde bzw. die Widerspruchsbehörde auf ihrer Grundlage weitere Maßnahmen zu Lasten des Antragstellers etwa in Bezug auf eine drohende Aufenthaltsbeendigung treffen kann. [...]