OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.11.2011 - 3 B 17.09 - asyl.net: M19360
https://www.asyl.net/rsdb/M19360
Leitsatz:

1. Die Haftung des Arbeitgebers für einen unerlaubt beschäftigten Ausländer gem. § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist auf die unerlaubte Beschäftigung eines Ausländers vor dem Inkrafttreten des AufenthG entsprechend anwendbar.

2. Die Kostenhaftung nach § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG setzt richtige Sachbehandlung durch Behörden und Gerichte in dem auf Abschiebung des unerlaubt beschäftigten Ausländers gerichteten Verfahren voraus.

3. Richtige Sachbehandlung liegt nur bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit nicht vor. Dies gilt auch im Lichte des Umstandes, dass der nach § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG herangezogene Arbeitgeber mangels Verletzung eigener Rechte nicht gegen die behördlichen und gerichtlichen Maßnahmen in dem auf Abschiebung gerichteten Verfahren vorgehen konnte.

4. Im Rahmen der Kostenfestsetzung nach § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist nicht zu prüfen, ob der Bescheidadressat aus wirtschaftlichen Gründen die Voraussetzungen eines atypischen Falls erfüllt und seine Heranziehung unverhältnismäßig ist. Eine derartige Prüfung findet erst im Vollstreckungsverfahren statt.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Arbeitgeberhaftung, Erwerbstätigkeit, Arbeitnehmer, Arbeitgeber
Normen: AufenthG § 66 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 69 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 68 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 67 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 71 Abs. 1 S. 1, VwKostG § 14 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Beklagten ist auch begründet, während die Berufung des Klägers unbegründet ist. [...]

I. Anspruchsgrundlage zur Heranziehung des Klägers für die Kosten der Abschiebung des Herrn W. ist § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Danach haftet für die Kosten der Abschiebung, wer den Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat, wenn diesem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften des AufenthG nicht erlaubt war.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 AufenthG findet für die Erhebung von Auslagen nach dem AufenthG das Verwaltungskostengesetz (VwKostG) Anwendung, soweit das AufenthG keine abweichenden Vorschriften enthält. § 66 AufenthG ist eine abweichende Regelung insofern, als die Vorschrift den Kreis der Kostenschuldner gegenüber dem Veranlasserprinzip nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG erweitert, hier in Gestalt der Arbeitgeberhaftung, für einzelne Kostenschuldner bestimmte Haftungsvoraussetzungen und den Haftungsumfang regelt sowie die Haftung des Ausländers im Verhältnis zu einzelnen anderen Kostenschuldnern für nachrangig erklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 -, BVerwGE 124, 1 = juris Rn. 22 zur Rechtslage nach dem AuslG). [...]

III. Die angefochtenen Bescheide sind in dem nach erfolgter Teilrücknahme verbleibenden Umfang materiell rechtmäßig.

1. Mangels Übergangsregelung, die die Fortgeltung einer Kostenhaftungsvorschrift des zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretenen AuslG anordnen könnte, ist § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entsprechend anzuwenden. Herr W. wurde vor Inkrafttreten des AufenthG, nämlich im März 2003, in der Gaststätte des Klägers angetroffen. Die Beschränkung in § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auf unerlaubte Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften des AufenthG beruht auf einem Redaktionsversehen. Der Vorschrift unterfallen ebenso Tätigkeiten, die während der Geltungsdauer des AuslG nicht erlaubt waren. § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG hatte die Haftung des Arbeitgebers in gleicher Weise wie § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorgesehen (auf die Inhaltsgleichheit des alten und neuen Kostenhaftungsrechts auch verweisend: OVG Hamburg, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 5 Bf 259.06 -, juris Rn. 27), seinerzeit bezogen darauf, dass dem Ausländer die Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften des AuslG oder des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht erlaubt war. Die entsprechende Anwendbarkeit des § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG folgt auch aus §§ 101 ff., namentlich § 102 AufenthG, und der darin geregelten Überleitung von Rechten und Pflichten nach dem AuslG (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand März 2010, § 66 Rn. 24.1; VGH München, Beschluss vom 17. Juni 2008 - 19 ZB 07.2362 -, juris Rn. 6; VGH Mannheim, Urteil vom 30. Juli 2009 - 13 S 919.09 -, InfAuslR 2009, 403 = juris Rn. 16). Dass die Lücke in § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vom Gesetzgeber später nicht beseitigt worden ist, spricht nicht dafür, der Gesetzgeber habe ganz bewusst keine Übergangsregelung für Altfälle treffen wollen a. A. Geyer, in: HK-AuslR, 2008, § 66 Rn. 3. Für eine dahingehende beredte Untätigkeit des Gesetzgebers ist nichts ersichtlich.

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG liegen vor.

a) Der Kläger hat Herrn W. am 23. und 24. März 2003 als Arbeitnehmer beschäftigt. Entscheidend ist insoweit, dass es sich nach dem Gesamtbild der Tätigkeit um eine abhängige, entgeltliche Arbeitsleistung handelt und der Betreffende in die zu erledigenden Aufgaben eingewiesen wurde, selbst wenn die Tätigkeit nur geringfügiger und kurzfristiger Art ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Februar 2008 - OVG 2 B 16.07 -, juris Rn. 20; BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 24 ZB 05.1293 -, juris Rn. 3). Eine Arbeitsleistung hat Herr W. als Kellner für den Kläger erbracht. Sie war entgeltlich, da Herr W. laut seinen Angaben in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren am 23. und 24. März 2003 im Rahmen einer "Probezeit" vom Kläger für seine Arbeitsleistung verköstigt wurde (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., Stand August 2008, § 66 Rn. 23) und nach dem 24. März 2003 einen Stundenlohn von 5,00 Euro erhalten sollte.

b) Herrn W. war in entsprechender Anwendung des § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Berücksichtigung des zur Zeit des Verstoßes im März 2003 geltenden § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG nach Maßgabe des Art. 36 Nr. 4 Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594, 709) die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften des AuslG oder des Dritten Buches Sozialgesetzbuch nicht erlaubt.

Herr W. besaß im März 2003 zur Überzeugung des Senats keine Arbeitserlaubnis. Er hat dem Kläger lediglich die angebliche, ohne Weiteres zu fälschende Ablichtung einer unbefristeten Arbeitserlaubnis vom 19. Juni 1996 vorgewiesen. Für deren tatsächlichen Bestand gibt es (auch) in der Ausländerakte des Herrn W. keine Anhaltspunkte. Zudem war Herr W. zum Zeitpunkt seiner Beschäftigung in der Gaststätte des Klägers aufgrund der Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid des Beklagten vom 5. November 1999 vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. §§ 42 Abs. 2 Satz 2, 72 Abs. 1 AuslG). Der während der Abschiebungshaft am 25. April 2003 gestellte Antrag des Herrn W. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beseitigte mangels Fiktionswirkung (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 AuslG) die Ausreisepflicht nicht, ebenso wenig der im Juli 2003 gestellte Asylantrag, nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge diesen mit Bescheid vom 25. Juli 2003 als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte.

c) Der Kläger hat schuldhaft gehandelt. Er hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass Herr W. keine Arbeitserlaubnis besaß.

Über den gesetzlichen Wortlaut hinaus muss der Arbeitgeber schuldhaft gehandelt haben. Der Abschreckungszweck der Regelung in § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass der Arbeitgeber das Haftungsrisiko vermeiden kann. Stellt sich ihm bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt der Sachverhalt nicht als unerlaubte Beschäftigung eines ausreisepflichtigen Ausländers dar, kann die beabsichtigte Abschreckung nicht wirksam werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1979 - I C 48.75 -, BVerwGE 59, 13 = juris Rn. 24).

Der Arbeitgeber lässt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, wenn er sich vor der Einstellung des Ausländers nicht durch Einholung zumutbarer Erkundigungen über das Vorhandensein einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis vergewissert. Es genügt insoweit nicht, sich auch nur vorläufig auf die bloße Behauptung des Ausländers zu verlassen, er verfüge hierüber, selbst wenn der Ausländer dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte, eine Versicherungskarte oder Ähnliches vorlegen kann (vgl. zu Vorgängerfassungen des § 66 Abs., 4 Satz 1 AufenthG BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 1987, a.a.O., Rn. 6; Urteil vom 23. Oktober 1979, a.a.O., Rn. 36; vgl. ferner Funke-Kaiser, a.a.O., Stand März 2010, § 66 Rn. 27).

Hiernach hat der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, indem er Herrn W. beschäftigt hat, ohne sich des Vorhandenseins des Originals der vermeintlichen Arbeitserlaubnis sowie eines Aufenthaltstitels zu versichern. Er durfte nicht - falls er dies überhaupt getan hat - darauf vertrauen, die Arbeitserlaubnis befinde sich in den Händen eines vermeintlichen früheren Arbeitgebers, und sich mit einer ohne weiteres zu fälschenden Ablichtung zufriedengeben, zumal jene Ablichtung lediglich auf eine schon sieben Jahre zuvor am 19. Juni 1996 erteilte Arbeitserlaubnis hindeutete. Ebenso wenig durfte der Kläger aus den weiteren, seinen Angaben zufolge von Herrn W. vorgelegten Unterlagen - deutscher Führerschein, Sozialversicherungsausweis, Gesundheitskarte und Anmeldebescheinigung - oder dessen deutschen Sprachkenntnissen schließen, er verfüge (auch) über eine Arbeitserlaubnis. Dass er die von Herrn W. vorgelegten Unterlagen selbst für ungenügend hielt, ergibt sich im Übrigen aus seinem Vorbringen in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren 35 Js 1127/03 der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin. Dort trug er schriftsätzlich vor, er habe Herrn W. am 23. März 2003 vorläufig und unter dem Vorbehalt eingestellt, unverzüglich die erforderlichen Arbeitspapiere vorzulegen, die sich nach Angabe des Herrn W. noch bei dessen letztem Arbeitgeber befunden hätten.

d) Weder die Beantragung von Abschiebungshaft durch den Beklagten noch deren Verhängung durch das Amtsgericht sowie das auf die Abschiebung des Herrn W. gerichtete Verwaltungshandeln während der Abschiebungshaft waren offensichtlich rechtswidrig.

(1) Das Bundesverwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 14. Juni 2005 (1 C 15.04, a.a.O., Rn. 27) davon ausgegangen, die Rechtmäßigkeit des behördlichen und gerichtlichen Handelns bei der Verhängung von Abschiebungshaft sei Voraussetzung der Kostenhaftung nach § 82 AuslG (jetzt: § 66 AufenthG). Zur Begründung hat es zunächst auf Besonderheiten der in dem dortigen Fall maßgeblichen Anordnung von Abschiebungshaft gegen Minderjährige verwiesen, sich im Übrigen aber in allgemeiner Form auf § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG bezogen, wonach Kosten nicht erhoben werden dürften, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. [...]

(2) Die richtige Sachbehandlung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG setzt voraus, dass die Ausländerbehörde bzw. das die Abschiebungshaft verhängende Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht offensichtlich rechtswidrig gehandelt haben.

Die obergerichtliche Rechtsprechung sowie die Literatur verhalten sich in unterschiedlicher Weise zu der Frage, welcher Prüfungsmaßstab im Rahmen des § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG zu wählen ist. Das OVG Hamburg (Urteil vom 3. Dezember 2008, a.a.O., Rn. 35) meint unter nicht näher begründeter Beschränkung auf die Kostenhaftung jedenfalls des abgeschobenen Ausländers, wenn dieser (selbst) für die Abschiebungskosten in Anspruch genommen werde, könne er jeden rechtlichen Mangel der Abschiebung geltend machen, der geeignet sei, eigene Rechte zu verletzen. In einer früheren Entscheidung (Urteil vom 7. Oktober 1998 - Bf V 45.96 -, juris Rn. 40) lässt das OVG Hamburg die aus seiner Sicht von Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortete Frage offen, ob im Verfahren auf Erstattung der Abschiebungskosten eine umfassende oder nur eine auf offensichtliche Rechtsfehler beschränkte Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung erfolge. Das OVG Koblenz (Urteil vom 10. Februar 1988 - 13 A 205.87 -, NVwZ 1989, 496) äußert, über den Wortlaut des AuslG hinaus setze die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers voraus, dass die Abschiebung selbst in rechtmäßiger Weise erfolgt sei. Dies beruhe zum einen darauf, dass der Begriff der Abschiebungskosten auch eine Abschiebung im Rechtssinne erfordere. Zum anderen dürften Dritte zu den Kosten staatlichen Handelns nur herangezogen werden, wenn der Staat sich seinerseits gesetzestreu verhalten habe. Der VGH Kassel (Urteil vom 6. Oktober 1994 - 10 UE 2754.93 -, NVwZ-RR 1995, 111 = juris Rn. 21) nimmt an, ein Dritter - dort: der hinsichtlich der Abschiebungskosten in Anspruch genommene Arbeitgeber - dürfe mit den Kosten staatlichen Handelns (gemeint: nur) dann nicht belangt werden, wenn der Staat selbst in evidenter Weise gegen die Rechtsordnung verstoßen habe. Das OVG Münster (Urteil vom 16. April 1997 - 17 A 3412.94 -, InfAuslR 1997, 455 = juris Rn. 25) gibt zu bedenken, die Abschreckungsfunktion der Haftungsvorschrift ginge weithin ins Leere, wenn das Risiko für den Arbeitgeber, die Kosten der Abschiebung eines von ihm illegal beschäftigten Arbeitnehmers zu tragen, schon bei Fehlern der Behörde entfiele, die von ihr im Rahmen der häufig unter zeitlichem Druck stehenden Abschiebung nur schwer zu erkennen gewesen seien und mit Gewissheit erst in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellt werden könnten. Es entspreche nicht der Intention des Gesetzgebers, wenn ein Arbeitgeber, der unter Inkaufnahme des Haftungsrisikos seinen Arbeitskräftebedarf durch die illegale Beschäftigung von Ausländern decke, nachträglich durch die Feststellung eines rechtlichen Mangels entlastet werde, der bei der Abschiebung für die Ausländerbehörde noch nicht ohne weiteres erkennbar gewesen sei (vgl. im Übrigen zu § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG OVG Koblenz, Urteil vom 27. Juli 2006 - 7 A 11671.05 -, AuAS 2007, 17 = juris Rn. 26; OVG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2009, a.a.O., Rn. 6; VGH Mannheim, Beschluss vom 28. März 2006 - 13 S 347.06 -, InfAuslR 2006, 385 = juris Rn. 7; s. auch Hailbronner, a.a.O., § 66 AufenthG Rn. 1d, der ohne Differenzierung davon ausgeht, dass eine Kostentragungspflicht nicht für eine Abschiebung entstehe, die in rechtswidriger Weise durchgeführt worden sei).

Nach Auffassung des Senats ist bei Heranziehung des Arbeitgebers zu der Begleichung von Abschiebungskosten kein anderer Maßstab zu wählen als in sonstigen Fällen, in denen eine Vorgehensweise auf richtige Sachbehandlung überprüft wird. Hiernach ist eine Sache nur dann unrichtig behandelt, wenn eindeutig gegen Rechtsnormen verstoßen wird und ein Verstoß offen zutage tritt, oder bei offensichtlichen Versehen. Bei der Sachbehandlung müssen also offensichtliche, schwerwiegende Fehler oder Irrtümer unterlaufen sein, etwa indem eine nicht sachdienliche, überflüssige oder sonst wertlose Amtshandlung vorgenommen wurde. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist eng und die Zweckmäßigkeit innerhalb des Verwaltungsermessens kann in ihrem Rahmen nicht in Frage gestellt werden (vgl. Dreising, VwKostG, 1971, § 14 Anm. 2a; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. August 2000 - 5 S 575.99 -, NVwZ-RR 2001, 534 = juris Rn. 6 zu § 14 Abs. 2 LGebG BW i.d.F. vor Inkrafttreten des LGebG vom 14. Dezember 2004 [GBl. S. 895]; Schlabach, Verwaltungskostenrecht, Losebl., Stand Dezember 2001, § 14 LGebG BW Rn. 7; VGH München, Beschluss vom 24. August 2011 - 10 M 11.1966 -, juris Rn. 7, zu § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Soweit der VGH Mannheim wie erwähnt feststellt, bei Inanspruchnahme des Abgeschobenen selbst bedürfe es im Lichte des § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG nicht des ergänzenden Rückgriffs auf die Forderung, die Maßnahme dürfe nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen sein (VGH Mannheim, Urteil vom 19. Oktober 2005, a.a.O., Rn. 48), gilt diese Erkenntnis auch für andere Kostenpflichtige wie den Arbeitgeber.

Dass der Kläger als Dritter mangels Antrags- bzw. Klagebefugnis keinen Rechtsschutz gegen die die Abschiebung des Herrn W. betreffenden Maßnahmen hätte beanspruchen können, ist im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG kein Anlass, in seinem Falle bei jedem Rechtsfehler der Ausländerbehörde von einer unrichtigen Sachbehandlung auszugehen. Muss sich der Adressat eines Hoheitsakts bei späterer Heranziehung zu den Kosten der behördlichen Maßnahme nicht vorhalten lassen, er habe von früheren Rechtsschutzmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010, a.a.O., Rn. 55), kann dem Dritten umgekehrt nicht zugutegehalten werden, es habe für ihn eine derartige Rechtsschutzmöglichkeit mangels Betroffenheit in eigenen Rechten nicht gegeben. In beiden Fällen entfaltet der Hoheitsakt für den späteren Kostenbescheid keine Vorwirkung, sondern unterliegt - allein aus Billigkeitsgründen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 1999 - I ZB 1/98 -, NJW-RR 2000, 859 = juris Rn. 21) - einer Inzidentprüfung auf offensichtliche Fehler, die gewährleisten soll, dass amtspflichtwidrige Tätigkeiten nicht kostenpflichtig sind (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., 2011, § 21 GKG Rn. 8), und die bei Vorhandensein offensichtlicher Fehler (lediglich) zu einem Kostenerlass (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010, a.a.O., Rn. 52) führt.

(3) Die Beantragung und Verhängung von Abschiebungshaft gegen Herrn W. waren nicht offensichtlich rechtswidrig und mildere Maßnahmen mussten sich nicht aufdrängen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 -, a.a.O., Rn. 27). Vielmehr bestand gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG der begründete Verdacht, Herr W. werde sich der Abschiebung entziehen, nachdem er seit dem Jahre 2000 untergetaucht war. Aus diesem Grund stand auch die Asylantragstellung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG a.F. i.V.m. § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG der Fortdauer der Abschiebungshaft nicht entgegen. Infolge der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet endete die Abschiebungshaft ferner nicht mit der Zustellung des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, § 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG. Es stand auch nicht gemäß § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG fest, dass die Abschiebung aus Gründen, die Herr W. nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Im Gegenteil hat er die Dauer der Abschiebungshaft durch die Verweigerung seiner Mitwirkung bei der Passbeschaffung sowie bei dem Abschiebungsversuch am 13. Oktober 2003 selbst herbeigeführt, weswegen auch die Haftdauer von über sechs Monaten gemäß § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG nicht zu beanstanden ist.

Der Beklagte hat während der Dauer der Abschiebungshaft die Beschaffung eines Heimreisedokuments für Herrn W. nicht offensichtlich fehlerhaft betrieben und die Abschiebungshaft nicht erkennbar rechtswidrig in die Länge gezogen.

Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, der Beklagte habe laut Verfügung vom 26. März 2003 bereits zu jenem Zeitpunkt das Erfordernis von Passbeschaffungsmaßnahmen erkannt, Herrn W. die entsprechenden Anträge jedoch erst am 28. April 2003 vorgelegt. Für die Verzögerung gebe es keinen rechtfertigenden Grund. Der auf der Verfügung vom 26. März 2003 angebrachte Vermerk "nicht gefunden" lasse darauf schließen, dass der Beklagte Herrn W. zum Zwecke der Passbeantragung zunächst im Abschiebegewahrsam und nicht in der Untersuchungshaft vermutet und dementsprechend "nicht gefunden" habe. Da dem Beklagten jedoch der Aufenthaltsort des Herrn W. habe bekannt sein müssen, gehe die Verzögerung bei der Passbeschaffung zu Lasten des Beklagten.

Abgesehen davon, dass sich diese Ausführungen nicht belegen lassen, der Grund für die Anbringung des Vermerks "nicht gefunden" unbekannt, dieser zudem gestrichen worden ist und, darunter - wohl mit gleicher Handschrift - "verweigert" notiert wurde, ist eine Säumnis des Beklagten bei der Passbeschaffung nicht offensichtlich. Dies gilt auch deswegen, weil am 26. März 2003 Passbeschaffungsbemühungen noch nicht geboten waren. Der Beklagte konnte zu jenem Zeitpunkt noch nicht davon ausgehen, Herr W. werde demnächst aus der Untersuchungshaft entlassen und könne abgeschoben werden. Vielmehr war Herr W. überhaupt erst am Vortag, dem 25. März 2003, in Untersuchungshaft genommen worden. Weder aus den Verwaltungsvorgängen noch aus der - für den Beklagten damals ohnehin nicht zugänglichen - Strafakte 35 Js 1314/03 erschließt sich, dass Anhaltspunkte für eine baldige Entlassung bestanden. Dass Herr W. am 14. April 2003 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, zeigt vielmehr die Schwere des strafrechtlichen Vorwurfs. Der Beklagte konnte ferner nicht davon ausgehen, er werde von der jordanischen Botschaft einen längere Zeit gültigen und dementsprechend "auf Vorrat" beschaffbaren Nationalpass für Herrn W. erhalten. Vielmehr war damit zu rechnen, dass - wie schließlich auch geschehen - ein Laissez-Passer mit geringer Gültigkeitsdauer ausgestellt werde, dessen Beschaffung nicht sinnvoll zu erscheinen brauchte, solange offen war, ob und wann Herr W. zu einer Freiheitsstrafe verurteilt würde.

Frei von offensichtlichen Rechtsfehlern ist auch die Verfahrensweise des Beklagten, Herrn W. nicht nur im April 2003, sondern erneut im Mai 2003 zur Ausfüllung von Passantragsunterlagen anzuhalten, ohne bis dahin die jordanische Botschaft um einen Vorsprachetermin für Herrn W. gebeten zu haben. Die Verfahrensweise stellt keinen offenen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dar, sondern ist aus Verhältnismäßigkeitsgründen noch vertretbar, da die Botschaftsvorführung ihrerseits eine Herrn W. belastende Maßnahme gewesen wäre und nicht ausgeschlossen werden konnte, dass er auf weitere behördliche Aufforderung, die mit einer aktenkundigen Belehrung einherging, die Passantragsunterlagen ausfüllen würde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Herr W. sich noch am 14. April 2003 bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Schöneberg mit der Abschiebung einverstanden erklärt hatte. Zwar gab er einen Tag später vor demselben Gericht an, er fühle sich in Deutschland heimischer als in Jordanien, wo die Lage wegen des Kriegs im Irak sehr labil sei. Angesichts der vorhergehenden Erklärung musste sich dem Beklagten aber nicht aufdrängen, Herr W. werde keinesfalls freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreisen. Nicht zuletzt hat die Vertreterin des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen, Herr W. habe schließlich bei seiner Vorführung in den Räumen der jordanischen Botschaft (freiwillig) einen Antrag auf Erteilung eines Heimreisedokuments unterschrieben. [...]

f) Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der Haftung nach § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist nicht, dass der Kläger keinen atypischen Fall darstellt, der seine Heranziehung zur Begleichung der Abschiebungskosten unverhältnismäßig erscheinen lässt.

Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 -, BVerwGE 108, 1 = juris Rn. 58 ff.) hat zu § 84 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 68 Abs. 1 AufenthG) ausgeführt, die Rechtsordnung sehe durchweg vor, dass von der Regel, der öffentlichen Hand zustehende Geldleistungsansprüche durchzusetzen, bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden könne. Die strikte Anwendung der Gesetze habe bisweilen Folgen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt seien und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit, nicht vereinbar wären. Das Bundesverwaltungsgericht erwähnt in diesem Zusammenhang die im Abgabenrecht vorgesehenen Billigkeitsentscheidungen und fügt unter Bezugnahme auf Vorschriften des BBG, BBesG, BeamtVG, VwVfG, SGB X und BSHG hinzu, die Prüfung der Unverhältnismäßigkeit sei nicht (erst) den vollstreckungsrechtlichen Instrumenten der Stundung, der Niederschlagung und des Erlasses vorbehalten, sondern bereits bei der Geltendmachung der Forderung von rechtlicher Bedeutung.

Diese Ausführungen sind zwar zur Haftung desjenigen ergangen, der sich verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch darüber hinausgehend auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen und die Auffassung vertreten, Rückforderungs- und Erstattungsansprüche seien (geradezu) typischerweise von Ermessensentscheidungen abhängig, bei denen schon im Rahmen der Geltendmachung der Forderung auf Besonderheiten des Einzelfalls einzugehen sei, wobei die Frage, wann ein atypischer Fall vorliege, anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden sei und die dahingehende behördliche Prüfung voller gerichtlicher Nachprüfung unterliege (vgl. im Übrigen VGH München, Urteil vom 15. Dezember 2003 - 24 B 03.1049 -, InfAuslR 2004, 252 = juris Rn. 26; VGH Mannheim, Urteil vom 19. Oktober 2005, a.a.O. juris Rn. 57; Urteil vom 27. Juli 2006, a.a.O., Rn. 24; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Februar 2008, a.a.O., Rn. 32 ff.).

Andererseits hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juni 2005 (1 C 15.04, a.a.O., Rn. 32) ausgesprochen, der Gesetzgeber gehe durch die Zuordnung der Kosten der Abschiebungshaft (dort: gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, nunmehr § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) zu den dem Grunde nach zu erstattenden Kosten ersichtlich davon aus, dass sie bei angeordneter Abschiebungshaft auch der Höhe nach berechnet und typischerweise erhoben werden könnten. Soweit die Pflicht zur Erstattung der Haftkosten wegen ihrer Höhe etwa zu einer faktischen Einreisesperre führe, sei deren Verhältnismäßigkeit bei der Entscheidung über die Wiedereinreise zu prüfen, stehe aber der Erhebung der Kosten nach § 83 Abs. 4 AuslG (nunmehr § 67 Abs. 3 AufenthG) als Folge der Abschiebungsentscheidung nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mithin keinen Anlass gesehen, aus der Höhe der Forderung auf die behördliche Pflicht zu schließen, (schon) im Verfahren auf Erhebung der Kostenschuld Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen.

Funke-Kaiser (a.a.O., Stand März 2010, § 67 Rn. 37) wendet gegen die Übertragbarkeit der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 24. November 1998 (a.a.O.) auf Fallgruppen des § 67 AufenthG ein, der Wortlaut des § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verlange kategorisch die Erhebung der Kosten, während § 68 Abs. 1 AufenthG nur davon spreche, die Kosten seien zu tragen, ohne jedoch eine Erhebungspflicht anzuordnen. Das haushaltsrechtliche Instrumentarium sei geeignet, unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Das OVG Hamburg (Urteil vom 3. Dezember 2008, a.a.O., Rn. 71 ff.) äußert ähnliche Bedenken und betont im Übrigen, das Bundesverwaltungsgericht habe den Rechtsstreit in dem Urteil vom 14. Juni 2005 (1 C 14.05, a.a.O., Rn. 19, 27, 33) wegen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zurückverwiesen und dabei trotz einer beträchtlichen Forderungshöhe nur Ermittlungen zur Höhe der erstattungsfähigen Haftkosten verlangt, nicht jedoch zum Vorliegen eines atypischen Falls.

Der Senat entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 14. Juni 2005 (1 C 15.04, a.a.O., Rn. 32) die verallgemeinerungsfähige Erkenntnis, die individuelle Unverhältnismäßigkeit der Kostenhöhe stehe der Kostenerhebung und -festsetzung nicht entgegen. Zwar geht es bei der Kostenhaftung des Arbeitgebers nicht wie in dem Fall des Bundesverwaltungsgerichts um eine durch die unverhältnismäßige Kostenhöhe bewirkte faktische Wiedereinreisesperre, der durch eine spätere, jene Unverhältnismäßigkeit berücksichtigende Entscheidung über die Wiedereinreise abgeholfen werden kann. Die Unverhältnismäßigkeit der Kostenforderung kann hier aber auch zugunsten des Klägers zu einem späteren Zeitpunkt geprüft werden, nämlich im Rahmen haushaltsrechtlicher Instrumente wie Stundung, Erlass oder Niederschlagung, wobei der Kläger ferner durch die Pfändungsfreigrenzen vor einer unzumutbaren Belastung geschützt wird. Es besteht keine Notwendigkeit, ihn aus Verhältnismäßigkeitsgründen schon im gegenwärtigen Verfahren von der Haftung freizustellen und der Ausländerbehörde - zum Schaden der öffentlichen Haushalte - die Möglichkeit zu nehmen, die Forderung im Falle einer späteren Verbesserung der finanziellen Verhältnisse in voller Höhe einzuziehen.

Im Falle des 1964 geborenen Klägers kommt hinzu, dass er sich bei Erlass der angefochtenen Bescheide und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt im arbeitsfähigen Alter befand bzw. befindet, ohne nennenswerte Anstrengungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts aus eigener Kraft zu entfalten. Dies hat er im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich eingeräumt und angeführt, er stehe mithilfe staatlicher Transferleistungen wirtschaftlich besser als seinerzeit, als er sich (noch) bemüht habe, seine Familie mit eigener Arbeit "durchzubringen"; angesichts seiner familiären Unterhaltspflichten werde er (auch) in den nächsten Jahren keine Zahlung auf die Kostenforderung des Beklagten leisten können, der Beklagte möge sich vergleichsbereit zeigen. Ihn vor diesem Hintergrund schon jetzt von der Haftung freizustellen, würden ihn in seiner Haltung zum Nachteil der Allgemeinheit bestärken und auch anderen Arbeitgebern falsche Anreize setzen, die Ausländer unerlaubt beschäftigen. [...]