OLG Naumburg

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Zitieren als:
OLG Naumburg, Beschluss vom 10.05.2012 - 1 Ss 8/12 - asyl.net: M19712
https://www.asyl.net/rsdb/M19712
Leitsatz:

Die Bemessung der Tagessatzhöhe ist Teil der Strafzumessung. Feststellungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten müssen eine Prüfung des Revisionsgericht möglich machen. Schätzungen in Bezug auf das Einkommen lassen eine pauschale, den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht werdende Betrachtungsweise besorgen.

Schlagwörter: Geldstrafe, Tagessatz, Strafzumessung, Umstände des Einzelfalls, Einzelfall, einkommensschwach, Einkommen, Ratenzahlung, Asylbewerberleistungsgesetz, Zahlungserleichterung,
Normen: StGB § 40 Abs. 2, AsylbLG § 3, AsylbLG § 2,
Auszüge:

[...]

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Festsetzung des Tagessatzes in Höhe von 9 Euro nicht.

Die Bemessung der Tagessatzhöhe ist ein Teil der Strafzumessung. Sie kann deshalb durch das Revisionsgericht nur In beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Der Tatrichter hat einen weiten Beurteilungsspielraum, der es ihm gestattet, seine eigene Wertung dergestalt zur Geltung zu bringen, dass sie neben anderen abweichenden Meinungen, auch der des Revisionsgerichts, als gleich richtig zu bestehen vermag und bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (BGHSt 27, 228, 230; OLG Dresden, Urteil vom 03. Juli 2009, 2 Ss 163/09). Die Urteilsgründe müssen jedoch eine Ermessensüberprüfung ermöglichen. Diese Prüfung des Revisionsgerichts ist darauf beschränkt, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt worden sind (BGH a.a.O., OLG Dresden a.a.O.).

Vorliegend lassen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten eine Prüfung der Tagessatzhöhe durch den Senat nicht zu und zudem Ermessensfehler erkennen.

Vor allem die Ausführungen des Amtsgerichts - da aus anderen Gerichtsverfahren bekannt sei, dass, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Kammer des Landgerichts Dessau-Roßlau, bei in Deutschland lebenden, geduldeten Ausländern regelmäßig von einem Tagessatz in Höhe von 9 Euro unter Berücksichtigung sämtlicher ihnen zur Verfügung stehenden Leistungen ausgegangen und deshalb das Einkommen des Angeklagten auch insoweit geschätzt und ein Tagessatz mit 9 Euro als angemessen festgesetzt werde (UA 4) - lassen eine pauschale, den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht werdende Betrachtungsweise besorgen.

Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse das Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Grundlage ist dabei das Nettoeinkommen als Saldo der anzurechnenden Einkünfte und der abziehbaren Belastungen (vgl. Fischer, 59. Aufl., § 40 Rn. 6a). Bei den Einkünften ist alles einzubeziehen, was dem Täter an Einkünften zufließt und wirtschaftlich gesehen seine Leistungsfähigkeit und seinen Lebenszuschnitt bestimmt (OLG Dresden, Urteil vom 03. Juli 2009, 2 Ss 163/09; Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 7).

Vorliegend hat das Amtsgericht die zum Zeitpunkt der Entscheidung erfolgten Leistungen in Höhe von 180 Euro und die Hälfte der durch das Sozialamt getragenen Mietkosten in Höhe von 180 Euro als das dem Angeklagten zur Verfügung stehende Einkommen berücksichtigt und somit insgesamt 270 Euro in Ansatz gebracht.

Dabei lässt sich den Feststellungen der Amtsgerichts bereits nicht entnehmen, ob es sich bei den an den Angeklagten gezahlten Leistungen um solche nach § 3 AsylbLG handelt oder um Leistungen nach § 2 AsylbLG, die an Leistungsberechtigte ausgezahlt werden, die über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben.

Die Höhe der festgestellten, an den Angeklagten gezahlten Leistungen lässt vermuten, dass es sich hierbei um solche nach § 3 Abs. 2 AsylbLG handelt. Weshalb dann jedoch die dem Angeklagten zudem gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG weiterhin zustehende Leistung (sogenannter Taschengeldanteil) nicht in Ansatz gebracht, wurde, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Das Amtsgericht wird deshalb zunächst aufzuklären haben, nach welcher Vorschrift dem Angeklagten Leistungen gewährt werden, ob er zusätzlich Sachleistungen erhält und dem Angeklagten aus ihm zu vertretenden Umständen Leistungen gekürzt worden sind und deshalb möglicherweise höhere Einkünfte anzusetzen sind.

Im nächsten Strafzumessungsschritt hat sich das Gericht damit auseinanderzusetzen, dass bei besonders einkommensschwachen Personen eine Absenkung der Tagessatzhöhe angezeigt sein kann, weil sie bei strikter Einhaltung des Nettoeinkommensprinzips härter als normal Verdienende getroffen werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Juli 2008, 2 Ss 348/08 m.w.N.). Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, dass mehr als die Differenz zwischen den gewährten Sozialleistungen und dem unerlässlichen Lebensbedarf einem Angeklagten nicht genommen werden darf (OLG Stuttgart NJW 94, 745; OLG Celle StV 99, 213; Häger in LK, § 40 Rn. 37; Radtke in MüKo, § 40 Rn. 77; Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 11 a), so dass bereits hieraus folgt, dass ausnahmsweise auch ein Mindestsatz von 1 Euro in Betracht kommen kann (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 11a; a.A. Häger in LK, § 40 Rn. 37).

Sollte sich bei dem gemäß § 40 Abs. 2 StGB zu ermittelnden Nettoeinkommen ein darüber hinaus berücksichtungsfähiges Einkommen feststellen lassen, ist in einer nächsten Strafzumessungsphase zu prüfen, ob die sich rechnerisch aus der Tagessatzanzahl multipliziert mit dem Tagesnettoeinkommen ergebende Gesamtbelastung mit allen ihren Auswirkungen im Rahmen einer gerechten Strafsanktion bleibt und sich innerhalb der wirtschaftlichen Belastbarkeit des Täters hält (OLG Frankfurt, Urteil vom 21. März 2006 - 2 Ss 30/06; OLG Köln, Beschluss vom 24. März 2009, 83 Ss 13/09: OLG Stuttgart, SW 2009, 131; OLG Hamburg, NStZ 2001, 655; Fischer a.a.O., § 40 Rz. 11a, 24).

Die Gewährung lediglich von Ratenzahlungen kommt dabei in Betracht, wenn sich die Ratenzahlungszeit nicht unverhältnismäßig lang erstreckt (vgl, OLG Frankfurt, Urteil vom 21. März 2006, 2 Ss 30/06).

In Fällen, in denen eine Streckung der Ratenzahlungszeit nicht ausreicht, ist die Tagessatzhöhe zu ermäßigen. Dabei ist die Frage, ob und in welchem Umfang eine Korrektur der Tagessatzhöhe angebracht ist und/oder inwieweit Zahlungserleichterungen i.S. von § 42 StGB zu gewähren sind, allein eine tatrichterliche Ermessensentscheidung (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21. März 2006 2 Ss 30/08; OLG Köln, Beschluss vom 24. März 2009, 83 Se 13/00; OLG Stuttgart, SW 2008, 131; OLG Hamburg, NStZ 2001, 855; Fischer a.a.O. § 40 Rz. 11a, 24).

Vorliegend lassen die Urteilsgründe des Amtsgerichts eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um eine einkommensschwache Person handelt und deshalb ihm Zahlungserleichterungen zu gewähren sind oder/und die Tagessatzhähe zu ermäßigen ist, vermissen.

Die Entscheidung des Amtsgerichts über die Nichtgewährung von Zahlungserleichterungen hält ferner auch deshalb rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil der Strafrichter aufgrund der Erklärung des Angeklagten, eine Umwandlung in Arbeitsleistungen beantragen zu wollen, von der Festsetzung von Ratenzahlungen abgesehen hat.

Gemäß § 42 Satz 1 StGB ist dem Angeklagten zu gestatten, die Geldstrafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, wenn ihm eine sofortige Zahlung nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Juli 2008, 2 Sa 346/08). § 42 Satz 1 StGB ist zwingender Natur (BGH, Beschluss vom 17. August 1984, 3 StR 283/84; Fischer, a.a.O., § 42 Rn. 6a m.w.N.); wenn die Voraussetzungen vorliegen, kann die Gewährung von Zahlungserleichterungen nicht mit der Begründung versagt werden, der Angeklagte könne die Geldstrafe durch freie Arbeit tilgen, weil dies das Gesetz nicht vorsieht. Erst wenn die Geldstrafe uneinbringlich ist und deshalb an ihre Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe tritt (§ 43 StGB), kann deren Vollstreckung nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen - in Sachsen-Anhalt durch die Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit vom 21. September 1993 (GVBl. 1993, 564) - durch freie Arbeit abgewendet werden (Art. 293 EGStGB) (vgl. KG StV 06, 191; Fischer a.a.O.).

Das Urteil war deshalb im Ausspruch über die Tagessatzhöhe und über die Gewährung von Zahlungserleichterungen mit den Feststellungen aufzuheben. In diesem Umfang war die Sache an einen anderen Strafrichter desselben Amtsgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 S. 1 StPO). [...]