VG Koblenz

Merkliste
Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 28.02.2012 - 5 K 1026/11.KO - asyl.net: M19760
https://www.asyl.net/rsdb/M19760
Leitsatz:

Die Identitätsfeststellung berührt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Identitätsfeststellung ist es hinnehmbar, dass die Einschreitschwelle sehr niedrig angesetzt ist. Die Befugnis zur Identitätsfeststellung gem. § 22 Abs. 1a BPolG ist bezogen auf die kontrollierte Person ereignis- und verdachtsunabhängig, wobei die Bundespolizei lediglich verpflichtet ist, den Kontrollen entsprechende Lageerkenntnisse und einschlägige grenzpolizeiliche Erfahrungen zugrunde zu legen (hier: Auswahl des Kontrollierten u.a. nach Hautfarbe).

(Das Berufungsverfahren vor dem OVG Rheinland-Pfalz - 7 A 10532/12.OVG - wurde nach Entschuldigung durch die Bundespolizei nach richterlichem Hinweis, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG vorlag, durch Erledigung beendet; vgl. PM des OVG RP Nr. 30/2012)

Schlagwörter: Identitiätsfeststellung, informationelles Selbstbestimmungsrecht, informationelle Selbstbestimmung, Einschreitschwelle, verdachtsunabhängig, ereignis- und verdachtsunabhängig, verdachtsunabhängige Kontrolle, Kontrolle, grenzpolizeiliche Erfahrung, unerlaubte Einreise, Durchsuchung, Identitätskontrolle, Personenkontrolle,
Normen: GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 1 Abs. 1, BPolG § 22 Abs. 1 a,
Auszüge:

[...]

Die Identitätsfeststellung des Klägers sowie die Durchsuchung seines Rucksacks sind rechtmäßig gewesen und haben den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Die Identitätsfeststellung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage, wie die erkennende Kammer bereits im Beschluss vom 18. Januar 2012 ausgeführt hat, in § 22 Abs. 1a des Bundespolizeigesetzes – BPolG –. Die Bedenken des Klägers an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift teilt das Gericht nicht (vgl. zur vergleichbaren Regelung im bayerischen Polizeiaufgabengesetz BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 -, NVwZ 2003, 1375). Zwar berührt die Identitätsfeststellung das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet hat (vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beinhaltet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. grundlegend BVerfG, a.a.O.) Der Kläger verkennt hierbei jedoch, dass dieses Recht seinerseits nicht schrankenlos gewährleistet ist. Das Bundesverfassungsgericht führte in diesem Zusammenhang aus (Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, NJW 1984, 419):

"Der einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Grundgesetz hat, wie in der Rechtsprechung des BVerfG mehrfach hervorgehoben ist, die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden (BVerfGE 4, 7, 15) BVerfGE 8, 274, 329; BVerfGE 27, 1, 7; BVerfGE 27, 344, 351 f.; BVerfGE 33, 303, 334; BVerfGE 50, 290, 353; BVerfGE 56, 37, 49)."

Grundsätzlich muss der Einzelne folglich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. § 22 Abs. 1a BPolG ist hierbei die notwendige gesetzliche Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 -, NVwZ 2003, 1375). Auch hegt die Kammer keine Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Vorschrift. Insoweit verkennt der Kläger, dass der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht durch die Aufforderung, sich auszuweisen, in seiner Art und Intensität denkbar gering ist (vgl. hierzu BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 -, NVwZ 2003, 1375; BayVerfGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - Vf. 69-VI-04 -, NVwZ 2006, 1284: "Bei der Identitätskontrolle ist es hinnehmbar, dass die Einschreitschwelle sehr niedrig angesetzt ist. Insoweit handelt es sich, wenn man auch § 111 OWiG mit der Pflicht zu Personenstands- und Adressangaben gegenüber zuständigen Behörden wertet (vgl. VerfGH 56, 28/53), um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff. Unbeschadet des Umstands, dass § 1 PAuswG nicht vorschreibt, einen Personalausweis mit sich zu führen, tritt die Notwendigkeit, seine Identität zu belegen, auch in typischen Situationen des täglichen Lebens auf, etwa in Betrieben, Kantinen, bei Veranstaltungen, im Gesundheitswesen oder im Bereich des Arbeitsschutzes (vgl. VerfGH 56, 28/51)").

Handelt es sich damit also um eine nur geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigung mit einer sehr niedrigen Belastung im Einzelfall, ist es hinnehmbar, dass die Einschreitschwelle sehr niedrig angesetzt ist. Der Normtext verpflichtet insoweit die Beamten der Bundespolizei, den Kontrollen entsprechende Lageerkenntnisse und einschlägige grenzpolizeiliche Erfahrung zugrunde zu legen. Damit ist die Befugnis zur Identitätsfeststellung zwar einerseits bezogen auf die kontrollierte Person ereignis- und verdachtsunabhängig. Andererseits ist durch das Erfordernis entsprechender Lageerkenntnisse und grenzpolizeilicher Erfahrung hinreichend gewährleistet, dass das Gesetz generell ein vollkommen willkürliches, durch kein Ziel determiniertes Kontrollieren ermöglicht (BayVerfGH, Urteil vom 28. März 2003 - Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 -, NVwZ 2003, 1375).

Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1a BPolG waren vorliegend auch erfüllt. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss der Kammer vom 18. Januar 2012 verwiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte auch hinreichend plausibel dargelegt, dass die betroffene Bahnstrecke aufgrund von Lageerkenntnissen und entsprechender grenzpolizeilicher Erfahrung zur unerlaubten Einreise genutzt wird. Dies erschließt sich der Kammer insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Strecke einerseits den Verkehr ab dem Internationalen Flughafen Rhein/Main aufnimmt, andererseits aber auch in Richtung der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen verläuft. Insoweit vermag die Kammer – auch angesichts der seitens des Beklagten vorgelegten Feststellungszahlen nach Auswertung der Fahndungslagebilder – keinen weiteren Aufklärungsbedarf zu erkennen.[...]