VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 23.05.2012 - 10 K 755/11 - asyl.net: M19940
https://www.asyl.net/rsdb/M19940
Leitsatz:

Eine Ausreise ist nicht im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG tatsächlich unmöglich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein in Syrien registrierter Ausländer auf der Grundlage des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens nach Syrien zurückgeführt werden kann.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: freiwillige Ausreise, freiwillige Rückkehr, Pass, Fehlen eines Passes, Syrien, Kurden, staatenlos, staatenlose Kurden, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, tatsächliche Unmöglichkeit, Passlosigkeit,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Ausstellung eines Reiseausweises unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, nicht zu. [...]

Vorliegend ist der Kläger als bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber zwar im Sinne von §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Es besteht derzeit auch ein tatsächliches Ausreisehindernis, weil dem Kläger, einem aus Syrien stammenden staatenlosen Kurden, wegen fehlenden Besitzes eines Reisepasses oder eines Passersatzpapiers gegenwärtig weder eine freiwillige Ausreise nach Syrien noch dessen Abschiebung dorthin möglich ist. Das Ausreisehindernis darf jedoch nicht nur für einen überschaubaren Zeitraum bestehen, sondern muss absehbar dauerhaft sein. Davon kann hier bereits mit Blick auf das am 14.07.2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien geschlossene und am 03.01.2009 in Kraft getretene Abkommen über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen (vgl. BGBl. II 2008, 812) indes nicht ausgegangen werden. Nach dem Inhalt dieses Rückübernahmeabkommens übernimmt Syrien nicht nur eigene Staatsangehörige (Art. 1), sondern auch Drittstaatsangehörige und staatenlose Personen, wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass diese Personen nach einer Einreise in, einem Aufenthalt im oder einer Durchreise durch das Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei unmittelbar in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei eingereist sind (Art. 2 Abs. 2). Auch wenn bislang ausschließlich syrische Staatsangehörige auf der Grundlage des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens nach Syrien zurückgeführt worden sein sollten (vgl. dazu das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration: Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation vom April 2011; ferner Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 15.04.2010 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, - 508-516.80/46 306 -), erscheint aufgrund der nach dem Rückübernahmeabkommen insoweit bestehenden Verpflichtung Syriens eine Rückübernahme des Klägers durch sein Herkunftsland ungeachtet seiner derzeitigen Staatenlosigkeit zumindest nicht dauerhaft ausgeschlossen (so ausdrücklich OVG des Saarlandes, Urteil vom 03.02.2011, 2 A 512/09, und Beschluss vom 08.10.2010, 2 A 447/09; ebenso OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 08.07.2010, 2 LS 278/09, DVBl. 2010, 1060, und vom 11.06.2010, 2 ME 186/10, jeweils zitiert nach juris).

Eine grundsätzliche Bereitschaft Syriens zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Rückübernahmeabkommen liegt dabei vorliegend umso näher, als es sich bei dem Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nicht um einen nicht registrierten Ausländer (sog. Maktumin), der keinen rechtlichen Status und damit keinerlei Rechte besitzt, sondern aus Sicht der syrischen Behörden um einen registrierten Ausländer (sog. Adschnabi) handelt, der sich seit der Verabschiedung des Dekretes 49 des Staatspräsidenten vom 07.04.2011 in Syrien einbürgern lassen kann. Die Einbürgerung der Adschnabi ist dabei als Reaktion der syrischen Regierung auf die im März 2011 begonnenen und bis heute andauernden regimekritischen Proteste zu verstehen und stellt eine von mehreren Maßnahmen bzw. Zugeständnissen dar, mit deren Hilfe die syrische Regierung hofft, die Kurden von einer aktiven Teilnahme an der Revolution abzuhalten (vgl. Auskunft des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien an den Beklagten vom 29.12.2011, wonach das syrische Innenministerium am 13.09.2011 mitgeteilt habe, dass seit der Verabschiedung des Dekrets 49 bereits mehr als 59.000 Anträge von Adschnabi auf Einbürgerung eingereicht worden seien und bislang insgesamt 51.000 Personen einen syrischen Personalausweis erhalten hätten).

Zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung gibt der Hinweis des Klägers auf die gegenwärtigen Unruhen in Syrien Anlass. Zwar hat das saarländische Ministerium für Inneres, Kultur und Europa in Umsetzung des Beschlusses der Innenminister und -senatoren der Länder vom 26.03.2012 aufgrund der aktuell verschärften Lage in Syrien aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen die Aussetzung von Abschiebungen nach Syrien in Anwendung von § 60 a Abs. 1 AufenthG bis zum 02.10.2012 angeordnet. Ungeachtet dessen, dass sich auch aus dieser Anordnung kein auf Dauer bestehendes Abschiebungshindernis herleiten lässt, erfasst die Vorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht lediglich die zwangsweise Abschiebung, sondern gleichermaßen auch die freiwillige Ausreise. Nur wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage dieser Vorschrift in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2006, 1 C 14.05, NVwZ 2006, 1418).

Dafür, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Syrien auch eine freiwillige Rückkehr des Klägers nach Syrien ausgeschlossen wäre, etwa weil ein Wiedereinreiseverbot in seinem Herkunftsstaat seine Rückkehr verhinderte, bestehen indes keine greifbaren Anhaltspunkte. Mit der vorübergehenden Aussetzung von zwangsweisen Abschiebungen nach Syrien ist eine Aussetzung des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens ersichtlich nicht verbunden (vgl. taz vom 30.04.2011, Asylfakt, Dok.-Nr. 160/694).

Stellt danach die Rückkehr des Klägers in sein Herkunftsland aber keine völlig fernliegende Möglichkeit dar, ist ein Ermessen des Beklagten gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mangels Vorliegens eines dauerhaften Ausreisehindernisses nicht eröffnet mit der Folge, dass kein Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegeben ist.

Soweit der Kläger darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung sein Klagebegehren im Hinblick auf die derzeit angeblich bestehende Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Syrien festzustellen, erstmalig auch auf die Vorschrift des § 25 Abs. 3 AufenthG gestützt hat, nach der einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt, bleibt der Klage ebenfalls der Erfolg versagt. Dem Beklagten kommt wegen der bestehenden Bindungswirkungen gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.01.2006 über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG im Fall des Klägers eine eigene Kompetenz zur Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage der Vorschrift des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht zu. Dieser darf das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nur und erst dann berücksichtigen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge solche verbindlich festgestellt hat. Daran fehlt es vorliegend, so dass der Kläger vorrangig gehalten ist, ein entsprechendes Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien in dem hierfür vorgesehenen Verfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geltend zu machen.

Im Ergebnis nichts anderes gilt für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises. Diesen Antrag hat der Beklagte ebenfalls zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.10.2011, auf den entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auch insoweit Bezug genommen wird, abgelehnt. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass die im Rahmen von Art. 28 Satz 2 StaatenlÜbK angestellten Ermessenserwägungen des Beklagten, wonach die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose an den Kläger, der diesen in die Lage versetze, von dem Recht auf Freizügigkeit durch Ausreise und anschließende Wiedereinreise nach Möglichkeit Gebrauch zu machen, Sinn und Zweck der diesem erteilten Duldungen zuwiderlaufe, rechtlich nicht zu beanstanden sind. Diese Erwägungen zielen ersichtlich darauf ab, einer Verfestigung der Stellung des Klägers als Staatenloser im Bundesgebiet entgegenzuwirken und diesen zu veranlassen, alle ihm möglichen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, um wieder in sein Herkunftsland Syrien zurückzukehren. Die Erwägung, einem Staatenlosen jedenfalls so lange keinen Reiseausweis auszustellen, als Bemühungen des Staatenlosen, einen Reiseausweis von seinem Herkunftsland zu erhalten, und damit eine mögliche Rückkehr auch Erfolg haben könnten, steht mit dem Zweck der Ermächtigung des Art. 28 Satz 2 StaatenlÜbK in Einklang und erweist sich ohne Weiteres als sachgerecht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.12.1997, 1 B 223.97, Buchholz 402.27, Art. 28 StaatenlÜbK Nr. 6). [...]