VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 09.02.2012 - 9 A 1864/10 - asyl.net: M20031
https://www.asyl.net/rsdb/M20031
Leitsatz:

Beschäftigungszeiten nach Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die einem türkischen Staatsangehörigen nur aufgrund einer Täuschung - etwa über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft -, die zu einer Verurteilung geführt hat, erteilt worden ist, ist nicht als ordnungsgemäß anzusehen, da der Betroffene die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt hat und diese nach Aufdeckung der Täuschung wieder in Frage gestellt werden können. Derartige Beschäftigungszeiten beruhen nicht auf einer gesicherten Position, sondern sind als in einer nur vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten, da dem Betroffenen von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand.

Schlagwörter: Erwerbstätigkeit, ordnungsgemäße Beschäftigung, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Arbeitserlaubnis, türkische Staatsangehörige, Täuschung, eheliche Lebensgemeinschaft, Scheinehe, Beschäftigungszeiten,
Normen: ARB 1/80 Art. 6, AufenthG § 4 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 AufenthG, die Ablehnung ihres Antrags durch den Beklagten mit Bescheid vom 27. August 2009 ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehört, in diesem Mitgliedsstaat

• nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

• nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedsstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

• nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Dieser Anspruch auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis vermittelt zugleich einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, da das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung andernfalls wirkungslos wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 1990 - Rs C-192/89 - Sevince, NVwZ 1991, 255; BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1998 - 1 C 27.96 -, BVerwGE 107, 58 mit weiteren Nachweisen). Dieses Recht ist von keiner weiteren Voraussetzung abhängig und besteht insbesondere unabhängig davon, aus welchen Gründen dem Arbeitnehmer die Einreise und der Aufenthalt ursprünglich erlaubt worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 -Rs C-237/91 - Kus, NVwZ 1993, 258; BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1995 - 1 C 5.94 -, BVerwGE 99, 28).

Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre zwar nicht bereits dadurch erloschen, dass die Klägerin im Juni 2009 aus dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland ausgeschieden ist, weil sie eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. Beschluss des Senats vom 9. Februar 2004 - 12 TG 3548/03 -, NVwZ-RR 2004, 453 zum Erlöschen einer Aufenthaltsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit). Auch wenn die Klägerin für die Zeit vom 2. Juni bis zum 15. Juni 2009 das Gewerbe "Kinderbetreuung/Tagesmutter" angemeldet hatte und dies nicht im Nebenerwerb betrieben werden sollte, hat sie der von ihr überreichten Gehaltsabrechnung vom 15. Juni 2009 zufolge im Juni 2009 von der Familie Y... ihr übliches volles Gehalt bezogen, so dass davon auszugehen ist, dass sie während der Zeit, für die sie das Gewerbe angemeldet hatte, weiterhin zumindest auch unselbstständig tätig war.

Eine Beschäftigung ist als ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 anzusehen, wenn sie im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedsstaates steht. Der Arbeitnehmer muss nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes über eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht verfügen. Hieran fehlt es, "solange nicht endgültig feststeht", dass dem Arbeitnehmer während des maßgeblichen Beschäftigungszeitraumes "das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand" (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs C-285/95 - Kol, DVBl 1997, 894 mit weiteren Nachweisen). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt hat ein Arbeitnehmer daher während des Zeitraumes inne, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine ablehnende Behördenentscheidung entfaltet. Dies gilt auch für Beschäftigungszeiten, in denen sein Aufenthalt gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt gilt oder der bisherige Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 AufenthG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 11 B 2104/08 -, ZAR 2009, 146), wenn der Verlängerungsantrag abgelehnt wird; ebenso liegt eine ordnungsgemäße Beschäftigung nicht vor, wenn der türkische Staatsangehörige nur über eine Duldung oder eine asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG verfügt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Art. 6 ARB 1/80 Rdnrn. 54 ff. mit weiteren Nachweisen).

Vor diesem Hintergrund sind auch Beschäftigungszeiten nach Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die einem türkischen Staatsangehörigen nur aufgrund einer Täuschung - etwa über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft -, die zu einer Verurteilung geführt hat, erteilt worden ist, nicht als ordnungsgemäß anzusehen, da der Betroffene die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt hat und diese nach Aufdeckung der Täuschung wieder in Frage gestellt werden könnte. Derartige Beschäftigungszeiten beruhen nicht auf einer gesicherten Position, sondern sind als in einer nur vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten, da dem Betreffenden von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs C-285/95 - Kol, a.a.O.). Die Aufenthaltserlaubnis ist in diesen Fällen rechtswidrig erteilt worden, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht gegeben waren. Unerheblich ist, ob der türkische Staatsangehörige im fraglichen Zeitraum über eine formal ordnungsgemäße Aufenthaltserlaubnis verfügt hat. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob das durch arglistige Täuschung erschlichene Aufenthaltsrecht zurückgenommen wird (vgl. Hailbronner, a.a.O., Art. 6 ARB 1/80 Rdnr. 61 mit weiteren Nachweisen). Da der maßgebliche Grund dafür, die aufenthaltsrechtliche Position des türkischen Staatsangehörigen als nicht hinreichend gefestigt anzusehen, in der durch die Täuschung begründeten Angreifbarkeit des von der Behörde erteilten Aufenthaltstitels liegt und diese nicht von einer strafrechtlichen Verurteilung abhängt, ist es auch nicht erheblich, ob der Betreffende wegen seines Verhaltens bestraft worden ist (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1998 - 1 C 27.96 -, a.a.O.).

Dass ein türkischer Staatsangehöriger, der sein Aufenthaltsrecht durch eine Täuschung erlangt hat, sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 berufen kann, ist jedoch nicht nur darin begründet, dass es ihm an einer hinreichend gesicherten Rechtsposition und damit an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt, sondern folgt zudem auch aus einer Heranziehung der Grundsätze von Treu und Glauben (vgl. Hailbronner, a.a.O., Art. 6 ARB 1/80 Rdnr. 63).

Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die wahrheitswidrige oder missbräuchliche Berufung auf Normen des Unionsrechts nicht gestattet, die nationalen Gerichte können danach im Einzelfall das missbräuchliche oder betrügerische Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Umstände berücksichtigen, um ihnen gegebenenfalls den Vorteil aus den geltend gemachten Bestimmungen des Unionsrechts zu versagen. Es kann nicht zugelassen werden, dass sich ein türkischer Staatsangehöriger unberechtigterweise eine Besserstellung nach einer der Bestimmungen ARB 1/80 verschafft (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs C-303/08 - Bozkurt, NVwZ 2011, 483 mit weiteren Nachweisen). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Einzelfall festzustellen, obliegt grundsätzlich den nationalen Gerichten (vgl. BVerwG, Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vom 24. April 2008 - 1 C 20.07 -, NVwZ 2008, 1020), auch der Europäische Gerichtshof geht in der vorgenannten Entscheidung vom 22. Dezember 2010 davon aus, dass die nationalen Gerichte über den Rechtsmissbrauch zu entscheiden haben.

Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen einer Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund einer Täuschung erteilt worden ist, Rechte für den türkischen Arbeitnehmer entstehen lässt oder bei ihm ein berechtigtes Vertrauen begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs C-285/95 - Kol: "Darüber hinaus ist ausgeschlossen, … .").

Es kann dahinstehen, ob das Unterlassen einer Ummeldung bzw. einer Mitteilung über die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft dem Erwirken einer Aufenthaltserlaubnis durch eine Täuschung grundsätzlich gleichzustellen ist (dies verneinend OVG Bremen, Beschluss vom 2. Februar 2010 - 1 B 366/09 -, InfAuslR 2010, 193). Denn jedenfalls in dem insoweit maßgeblichen Einzelfall (vgl. dazu BVerwG, EuGH-Vorlage vom 24. April 2008 - 1 C 20.07 -, a.a.O.) der Klägerin sind im Ergebnis das Verschweigen der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft sowie das Unterbleiben der Ummeldung in vergleichbarer Weise zu missbilligen, wie das Erwirken der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige Angaben, so dass sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände die Geltendmachung des durch die Eheschließung erlangten Aufenthaltsrechts und damit der Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung als rechtsmissbräuchlich erweist. Es verstieße gegen Treu und Glauben, wenn die Klägerin Aufenthaltsrechte aus der Ausübung einer Erwerbstätigkeit herleiten könnte, die sie nur aufnehmen konnte, weil sie mehr als zwei Jahre ihrer Verpflichtung zur Mitteilung der Veränderung ihrer Lebensumstände weder ausländer- noch ordnungsrechtlich nachgekommen ist und damit sowohl der Berliner Ausländerbehörde als auch der des Beklagten die Möglichkeit genommen hat, ihren Aufenthalt vorzeitig zu beenden. Die Klägerin hat danach trotz des Umstandes, dass sie vom 23. Mai 2006 bis zum 22. Mai 2009 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besessen hat, die sie gemäß § 28 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt hat, und sie seit dem 1. November 2007 ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist, keinen Anspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, weil sich die Geltendmachung des durch die Eheschließung vermittelten Aufenthaltsrechts und damit der Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung jedenfalls in ihrem Fall als rechtsmissbräuchlich erweist.

Am 23. Mai 2006 haben die Klägerin und ihr Ehemann der Ausländerbehörde gegenüber erklärt, in einer auf Dauer angelegten ehelichen Lebensgemeinschaft zu leben, und sich verpflichtet, jede Änderung der ehelichen Lebensgemeinschaft unverzüglich mitzuteilen. Daraufhin ist der Klägerin am selben Tag eine für drei Jahre - bis zum 22. Mai 2009 - gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Am 8. Januar 2007 ist der Sohn F… des Ehemanns der Klägerin und der polnischen Staatsangehörigen E... geboren. Das zweite gemeinsame Kind wurde am 13. Dezember 2008 geboren, seit Juli 2007 ist Herr X… gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern in Berlin, D...straße ..., gemeldet. Da das erste Kind damit nur etwa siebeneinhalb Monate nach Abgabe der gemeinsamen Erklärungen und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin geboren ist, hat der Ehemann der Klägerin damit offensichtlich schon vor diesem Zeitpunkt eine Beziehung mit Frau E... geführt. Vor dem Hintergrund, dass Frau E... im Mai 2006 bereits ein Kind von dem Ehemann der Klägerin erwartet hat, spricht - wie der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid zu Recht angenommen hat - einiges dafür, dass die Eheleute bereits bei Abgabe der Erklärungen nicht in ehelicher Gemeinschaft gelebt haben und die beiderseitigen Erklärungen wahrheitswidrig nur abgegeben worden sind, um der Klägerin ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen.

Dies kann aber dahinstehen, da sich jedenfalls das weitere Verhalten der Klägerin als rechtmissbräuchlich erweist. Die Klägerin hat sich bei der Abgabe der Ehebestandserklärung am 23. Mai 2006 ebenso wie ihr Ehemann schriftlich dazu verpflichtet, jede Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft (z.B. Trennung über einen längeren Zeitraum, Wohnungswechsel oder ähnliche Umstände) der Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nicht nachgekommen. Sie hat der Ausländerbehörde weder die nach den Angaben ihres Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 11. Mai 2009 im Februar 2007 erfolgte Trennung von ihrem Ehemann noch ihren Umzug von Berlin nach Hofheim vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit zum 1. November 2007 mitgeteilt. Auf diese Umstände hat ihr Bevollmächtigter die Ausländerbehörde Berlin erstmalig mit Schriftsatz vom 11. Mai 2009 - also erst kurz vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis - hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2012 hat der Bevollmächtigte der Klägerin nunmehr sogar angegeben, die Klägerin habe bereits seit dem 1. Juni 2007 in Hessen gearbeitet.

Die Klägerin hat der Ausländerbehörde Berlin damit die Möglichkeit genommen, auf die schon weniger als acht Monate nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfolgte Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu reagieren. Sie hat es durch ihr Verhalten aber nicht nur der Ausländerbehörde Berlin, sondern darüber hinaus auch der Ausländerbehörde des Beklagten unmöglich gemacht, ihre aufenthaltsrechtliche Situation zu überprüfen und ihren Aufenthalt zeitnah zu beenden. Denn da sie es unterlassen hat, sich nach ihrem Umzug nach Hofheim zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit dort zum 1. November 2007 bei der zuständigen Meldebehörde anzumelden, war es der Ausländerbehörde des Beklagten überhaupt nicht bekannt, dass die Klägerin sich in ihrem Zuständigkeitsbereich aufhält. Davon hat die Behörde erst erfahren, als die Klägerin sich - erstmalig - am 12. Mai 2009 und damit kurz vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis in Hofheim angemeldet hat. Erst darauf hin bestand für die Ausländerbehörde des Beklagten Veranlassung, die Akten der Klägerin bei der Berliner Ausländerbehörde anzufordern. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat sich mit Schreiben vom 15. Juni 2009 zum ersten Mal an die Ausländerbehörde des Beklagten gewandt.

Wenn die Klägerin die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mitgeteilt und ihren Umzug nach Hofheim gemeldet hätte, hätte die zuständige Ausländerbehörde zeitnah weitere Sachverhaltsermittlungen anstellen können und für den Fall, dass sie zu dem Ergebnis gekommen wäre, es habe sich doch um eine Scheinehe gehandelt, die Aufenthaltserlaubnis zurücknehmen können. Jedenfalls aber hätte die Ausländerbehörde die seinerzeit noch mehr als zwei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis der Klägerin im Hinblick darauf, dass mit der ehelichen Lebensgemeinschaft die maßgebliche Voraussetzung für ihre Erteilung entfallen ist, gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nachträglich zeitlich beschränken können.

Angesichts des nur kurzen Aufenthalts der Klägerin im Bundesgebiet bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft und des Fehlens jeglicher besonderer Umstände wäre auch zu erwarten gewesen, dass die Ausländerbehörde das ihr durch § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen dahingehend ausübt, eine entsprechende nachträgliche Befristung zu verfügen. Ebenso wäre seinerzeit ein nach § 49 Abs. 2 VwVfG nur mit Wirkung für die Zukunft möglicher Widerruf der Aufenthaltserlaubnis in Betracht gekommen, um die Entstehung von assoziationsrechtlichen Ansprüchen zu verhindern. Der Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin aufgrund der Kürze der ehelichen Lebensgemeinschaft noch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben hatte. Die Klägerin hätte dann das Bundesgebiet verlassen müssen und schon nicht die Möglichkeit gehabt, hier noch eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, so dass der Erwerb von Ansprüchen nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht in Betracht gekommen wäre. Eine derartige nachträgliche Verkürzung der Laufzeit der Aufenthaltserlaubnis war der Ausländerbehörde des Beklagten nicht mehr möglich, nachdem sie erst im Mai 2009 von der Trennung der Eheleute erfahren hatte, da die nachträgliche Befristung nicht rückwirkend erfolgen darf; die Frist darf daher nicht auf einen Zeitpunkt vor der Bekanntgabe des entsprechenden Bescheides festgesetzt werden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage, § 7 Rdnr. 43). Da die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis ohnehin nur bis zum 22. Mai 2009 gültig war, schied eine nachträgliche Befristung nach Kenntniserlangung von der Trennung durch die Behörde daher aus. Entgegen der von dem Bevollmächtigten der Klägerin vertretenen Auffassung hätte die Behörde zur Verhinderung der Entstehung von Ansprüchen nach Art. 6 ARB 1/80 die Aufenthaltserlaubnis schon nach nationalem Recht deswegen nicht rückwirkend widerrufen können, weil es sich bei einer Aufenthaltserlaubnis um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 49 Abs. 2 VwVfG handelt, der einen Widerruf nur mit Wirkung für die Zukunft vorsieht. Ausgehend davon, dass - wie die Klägerin behauptet - jedenfalls bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis eine auf Dauer angelegte eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten bestanden hat, schied auch eine Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis aus. Zwar kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1, 3 VwVfG auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, die Aufenthaltserlaubnis wäre danach zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Erteilung (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage, § 48 Rdnr. 57) aber nicht rechtswidrig gewesen; auf nachträglich rechtswidrig gewordene Verwaltungsakte ist § 48 VwVfG jedoch nicht anwendbar (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rdnr. Rdnrn. 57 ff.). Darauf, ob die Ausländerbehörde zudem durch Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 an einer rückwirkenden Aufhebung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin gehindert gewesen wäre (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. September 2011 - C-187/10 - Unal, NVwZ 2012, 31), kommt es daher nicht an.

Zwar ergab sich die Pflicht der Klägerin, der Ausländerbehörde die Veränderung ihrer Lebensumstände mitzuteilen, nicht aus § 82 AufenthG. Denn diese besondere Mitwirkungspflicht umfasst - nur - alle für den Ausländer günstigen tatsächlichen Umstände und die dazu geeigneten Nachweismittel (vgl. Renner, a.a.O., § 82 Rdnr. 8). Der Ausländer wird durch § 82 AufenthG jedoch nicht verpflichtet, der Ausländerbehörde jede Änderung seiner persönlichen Verhältnisse, die eine ausländerrechtliche Entscheidung erforderlich macht, vorsorglich mitzuteilen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. April 2011 - 2 M 16/11 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2003 - 11 S 910/03 -, juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 82 AufenthG Rdnr. 9; Renner, a.a.O., § 82 Rdnr. 2).

Eine Verpflichtung der Klägerin, die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft sowie ihren Umzug nach Hofheim mitzuteilen, ist aber durch die gegenüber der Ausländerbehörde abgegebene Erklärung begründet worden. Dass die Klägerin den Inhalt dieser Verpflichtungserklärung, der Ausländerbehörde unverzüglich jede Veränderung der ehelichen Gemeinschaft (ausdrücklich genannt war in der Erklärung neben einer Trennung über einen längeren Zeitraum auch ein Wohnungswechsel) mitzuteilen, nicht erfasst haben könnte, ist - auch in dem Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 26. September 2011 - nicht einmal von ihr selbst behauptet worden; es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor. Zudem hat sie mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass sie den Inhalt dieser Erklärung verstanden hat. Vor diesem Hintergrund ist es ohne Belang, ob der "Verpflichtungsteil" Gegenstand einer Erläuterung gewesen ist oder ob - wie ihr Bevollmächtigter behauptet - dies nicht der Fall gewesen ist. Selbst wenn die Klägerin den Inhalt dieser Erklärung nicht verstanden hätte, hätte es ihr oblegen, ihn sich erläutern zu lassen, bevor sie die Erklärung unterschreibt. [...] Ob es der Klägerin seinerzeit bewusst gemacht worden ist, dass sie eine "Täuschungshandlung" begehen würde, wenn sie es unterließe, einen Wohnsitzwechsel zu melden, ist entgegen der Auffassung ihres Bevollmächtigten ohne Belang; maßgeblich ist vielmehr, dass sie ausdrücklich eine entsprechende Verpflichtung übernommen hat, der sie nicht nachgekommen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Klägerin die Verpflichtung, den Wohnsitzwechsel zu melden, noch "präsent" gewesen ist, da ihr diese Pflicht jedenfalls hätte bewusst sein müssen. Aber auch unabhängig davon ist es im Übrigen auch für einen Ausländer naheliegend, dass ein Umzug den zuständigen Behörden zu melden ist, um die Erreichbarkeit sicherzustellen. Dies gilt erst recht, wenn der Wohnungswechsel nicht nur innerhalb einer Stadt erfolgt, sondern wie im Falle der Klägerin mit einem Wechsel des Bundeslandes verbunden ist.

Darauf, dass es sich bei der von der Klägerin unterzeichneten Erklärung um eine Formblatterklärung handelte, kommt es nicht an, da die Erklärung inhaltlich hinreichend bestimmt war und den Verpflichtungscharakter deutlich erkennen ließ. Im Hinblick auf diese Verpflichtungserklärung unterscheidet sich der Fall der Klägerin auch von der dem von dem Bevollmächtigten der Klägerin in Bezug genommenen Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2003 (- 11 S 910/03 -, a.a.O.) zugrundeliegenden Fallgestaltung, da der türkische Staatsangehörige dort - soweit ersichtlich - eine derartige Verpflichtung zur Mitteilung von Veränderungen seiner Lebenssituation nicht übernommen hatte. Angesichts dessen, dass die Klägerin sich verpflichtet hatte, die Ausländerbehörde über Veränderungen der Ehegemeinschaft zu informieren, ist das Unterlassen einer entsprechenden Mitteilung der Abgabe unrichtiger Angaben vergleichbar (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. April 2011 - 2 M 16/11 -,a.a.O.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rdnr. 117).

Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Ausländerbehörde in Berlin die Klägerin und ihren Ehemann derartige Erklärungen hat abgeben lassen. Diese Verpflichtung hat ihre Grundlage in der Regelung des § 26 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwVfG, wonach die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben sollen. Diese allgemeine Mitwirkungslast im Verwaltungsverfahren ist durch die Erklärung inhaltlich konkretisiert ("jede Veränderung der ehelichen Gemeinschaft") und der Klägerin als Verpflichtung auferlegt worden. Entgegen der von dem Bevollmächtigten der Klägerin vertretenen Ansicht handelt es sich bei dieser Art des Vorgehens der Ausländerbehörde auch nicht um einen "Fehler" oder eine "Nachlässigkeit". Die Behörde hätte zwar die Möglichkeit gehabt, der Klägerin im Mai 2006 eine Aufenthaltserlaubnis mit einer kürzeren Geltungsdauer als drei Jahre (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 4 AufenthG "mindestens ein Jahr") zu erteilen, so dass die Klägerin nach deren Ablauf bei der Beantragung der Verlängerung erneut eine Ehebestandserklärung hätte abgeben müssen. Im Falle wahrheitswidriger Angaben hätte dann die Möglichkeit zur - auch rückwirkenden - Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis bestanden. Ebenso hätte die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis mit einer auflösenden Bedingung für den Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft oder einer Auflage in Bezug auf die Pflicht zur Mitteilung derartiger Veränderungen versehen können. Dass die Ausländerbehörde stattdessen den Weg der Verpflichtungserklärung gewählt hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da auch auf diese Weise dem gewichtigen öffentlichen Interesse daran, das Entstehen ungerechtfertigter assoziationsrechtlicher Ansprüche nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu verhindern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2003 - 11 S 910/03 -, a.a.O.), Rechnung getragen werden kann. Dieser Weg kann schon angesichts der Verpflichtung aus § 26 Abs. 2 VwVfG insbesondere nicht als "weniger sicher" oder gar von vornherein untauglich erachtet werden. Dies würde außerdem bedeuten, den betroffenen Ausländern generell zu unterstellen, der eingegangenen Verpflichtung ohnehin nicht nachzukommen. Für derartige pauschale Verdächtigungen besteht jedoch kein Anlass. Zudem handelt es sich dabei insbesondere im Vergleich zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit kürzerer Geltungsdauer bzw. der regelmäßigen Einholung erneuter schriftlicher Erklärungen über den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2003 - 11 S 910/03 -, a.a.O.) als eines Umstandes, der allein aus der Sphäre des Ausländers stammt, um Maßnahmen, die den Ausländer - wie das Gericht erster Instanz zu Recht angenommen hat - weniger belasten, da dadurch nur für den Fall einer tatsächlichen maßgeblichen Veränderung der Lebensumstände ein Handlungsbedarf des Betroffenen begründet wird. [...]

Darüber hinaus hat die Klägerin dadurch, dass sie sich nach ihrem Umzug nach Hofheim spätestens mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit zum 1. November 2007 dort nicht angemeldet hat, der Ausländerbehörde des Beklagten die Möglichkeit genommen, ihre aufenthaltsrechtliche Situation zu prüfen und ihren Aufenthalt zu einem Zeitpunkt zu beenden, zu dem assoziationsrechtliche Ansprüche noch nicht in Betracht gekommen wären. Mit diesem Verhalten hat sie zudem gegen die sich aus § 13 Hess. Meldegesetz ergebende Pflicht, sich innerhalb einer Woche bei der Meldebehörde anzumelden, verstoßen. [...] Auch dann, wenn die Klägerin aber tatsächlich in Berlin noch einen Wohnsitz aufrechterhalten hätte, hätte es sich dabei angesichts ihrer auch das Wochenende umfassenden Arbeitszeiten und dem Anspruch auf lediglich zwei freie Tage innerhalb von zwei Wochen allenfalls um einen Nebenwohnsitz handeln können, so dass sie im November 2007 ihren Hauptwohnsitz in Hofheim hätte anmelden müssen. Aber auch dann, wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausginge, dass sie in Hofheim nur einen Nebenwohnsitz unterhalten habe, änderte dies nichts an dem Verstoß gegen ihren melderechtlichen Pflichten, da nach §§ 13, 16 Hess. Meldegesetz auch Nebenwohnungen anzumelden sind. Ferner hat die Klägerin falsche Angaben gemacht und damit noch einen weiteren Melderechtsverstoß begangen, da sie ausweislich des von ihr vorgelegten Mietvertrags und den Angaben ihres Bevollmächtigten in seinem Schreiben vom 11. Mai 2009 seit dem 1. Januar 2009 eine eigene Wohnung in der D...straße ... in Hofheim hat, sich dort jedoch erst am 12. Mai 2009 angemeldet und als Datum des Einzugs den 1. Mai 2009 angegeben hat.

Die Klägerin hat sich damit erst unmittelbar vor Ablauf ihrer bis zum 22. Mai 2009 gültigen Aufenthaltserlaubnis erstmalig in Hofheim angemeldet und dabei zum ersten Mal angegeben, dauerhaft von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Dieses Vorgehen war offensichtlich von dem Willen getragen, die ihr zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis vollumfänglich auszunutzen, bevor sie der Ausländerbehörde die Änderung ihrer Lebensumstände mitteilt. Angesichts dieses auf die Beibehaltung einer ihr materiell nicht mehr zustehenden aufenthaltsrechtlichen Position gerichteten Verhaltens ist es ohne Belang, ob die Klägerin - wie ihr Bevollmächtigter angibt - erst durch ihn auf assoziationsrechtliche Ansprüche hingewiesen worden ist.

Allein dieses Verhalten der Klägerin und nicht - wie es ihr Bevollmächtigter in seinem Schriftsatz vom 26. September 2011 behauptet - eine Nachlässigkeit der Berliner Ausländerbehörde, ist damit im Ergebnis der Grund dafür gewesen, dass der Aufenthalt der Klägerin nicht vorzeitig beendet worden ist. Der Berliner Ausländerbehörde ist ebenso wie der Ausländerbehörde des Beklagten seinerzeit weder die Trennung der Eheleute noch der Fortzug der Klägerin nach Hofheim bekannt gewesen. [...]

Dass die Klägerin offensichtlich keine Bedenken hat, falsche Angaben zu machen, wenn sie sich davon eine Verbesserung ihrer aufenthaltsrechtlichen Position verspricht, ergibt sich zudem auch daraus, dass sie im Visumsverfahren ihren bis 2003 währenden unerlaubten Voraufenthalt in Deutschland nicht angegeben hat. Zudem hat sie in ihrem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 10. Juli 2009 - im Widerspruch zu ihren eigenen früheren Angaben - erklärt, sie lebe erst seit dem 20. Juli 2008 getrennt von ihrem Mann.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die vorgenannte Einschätzung des Senats entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin nicht im Widerspruch zu den in den zwischen den Beteiligten bislang in dieser Sache geführten Verfahren getroffenen Entscheidungen steht. Denn der Senat hat in seinem Beschluss vom 17. November 2009 (- 11 B 2827/09 -) ausgeführt, dass es der näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürfe, ob im Falle der Klägerin eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verneint werden könne, und damit die hier maßgebliche Frage ausdrücklich offengelassen. In seinen weiteren Entscheidungen (Beschlüsse vom 19. Juli 2010 - 11 B 1473/10 - und 7. September 2010 - 11 B 1220/10.Z) hat der Senat lediglich auf diesen Beschluss verwiesen. Der in dem Beschluss vom 17. November 2009 als möglicherweise erforderlich erachteten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedurfte es nicht, da der hier im Streit stehende Fall auf der Grundlage der vom Europäischen Gerichtshof bereits aufgestellten Grundsätze entschieden werden konnte und die Feststellung eines rechtmissbräuchlichen Verhaltens im Einzelfall den nationalen Gerichten obliegt.

Diese Einschätzung steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Dezember 2010 (- C-303/08 - Bozkurt, a.a.O.) über das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2008 (- 1 C 20.07 -, a.a.O.), in dem der Gerichtshof u.a. ausgeführt hat, dass darin, dass ein türkischer Staatsangehöriger seine Rechte nach dem ARB 1/80, die er in der Vergangenheit ordnungsgemäß erworben habe, voll ausschöpfe, für sich allein kein Rechtsmissbrauch gesehen werden könne. Denn in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall ging es um einen türkischen Staatsangehörigen, der mit einer dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland angehörenden türkischen Arbeitnehmerin verheiratet war und mehr als fünf Jahre mit ihr zusammengelebt hatte, so dass er - unstreitig - ein Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Frage aufgeworfen, ob die Berufung auf dieses von der früheren Ehefrau abgeleitete Aufenthaltsrecht missbräuchlich sei, wenn der türkische Staatsangehörige diese nach Erwerb der Rechtsstellung vergewaltigt und verletzt habe und die Tat mit einer zweijährigen Freiheitsstrafe geahndet worden sei, und zur Begründung seines Ersuchens u.a. auf den grundsätzlichen Unterschied eines Rechtsmissbrauchs bei der Entstehung einer Rechtsposition und ihres Verlustes nach rechtmäßigem Erwerb verwiesen. Von dieser Fallgestaltung unterscheidet sich die der Klägerin maßgeblich dadurch, dass bei ihr nicht der Verlust einer unstreitig ordnungsgemäß erworbenen Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in Rede steht, sondern gerade der Erwerb einer derartigen Rechtsstellung streitig ist.

Auch auf das von ihrem Bevollmächtigten angeführte Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 29. September 2011 (-C-187/10 - Unal, a.a.O.) kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg berufen. Nach dieser Entscheidung hindert Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 die zuständigen nationalen Behörden daran, die Aufenthaltserlaubnis eines türkischen Arbeitnehmers rückwirkend auf den Zeitpunkt zu widerrufen, von dem an der im nationalen Recht vorgesehene Grund für ihre Erteilung nicht mehr besteht, wenn der Arbeitnehmer keine Täuschung begangen hat und der Widerruf nach Ablauf des in Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich genannten Zeitraumes von einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung erfolgt. Der Europäische Gerichtshof knüpft damit an den von ihm entwickelten allgemeinen Grundsatz der Wahrung wohlerworbener Rechte an, nach dem die Rechte aus einer Bestimmung des Beschlusses Nr. 1/80, sobald sich der türkische Staatsangehörige wirksam auf sie berufen kann, nicht mehr vom Fortbestehen der zu ihrer Entstehung führenden Umstände abhängen, da dieser Beschluss keine solche Voraussetzung vorsieht (vgl. Urteil vom 22. Dezember 2010 - C-303/08 - Bozkurt, a.a.O.). Aus diesem Urteil ergibt sich danach, dass die nationalen Behörden dann, wenn ein türkischer Arbeitnehmer ein Jahr ordnungsgemäß beschäftigt war und damit eine Rechtsposition nach dem Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat, diesem nach Ablauf dieses Jahres auch dann nicht rückwirkend das nationale Aufenthaltsrecht entziehen und damit die Ordnungsgemäßheit seines Aufenthaltes als Voraussetzung für den assoziationsrechtlichen Anspruch beseitigen können, wenn während dieses Jahres der Grund für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung entfallen ist. Zu der hier maßgebliche Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen sich die Geltendmachung eines nationalen Aufenthaltsrechts und daher der Ordnungsgemäßheit des Aufenthaltes im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 als rechtmissbräuchlich erweist und damit eine Rechtsposition nach dem Assoziationsabkommen schon nicht erworben wird, verhält sich die Entscheidung hingegen nicht. Dazu bestand für den Europäischen Gerichtshof auch keine Veranlassung, da der Kläger des dortigen Verfahrens die Aufenthaltserlaubnis nicht durch eine Täuschung erwirkt hatte und auch sonst keine Anhaltspunkte für ein rechtmissbräuchliches Verhalten seinerseits gegeben waren. Insbesondere hatte der türkische Staatsangehörige in dem dort zu entscheidenden Fall die Beendigung der der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zugrundeliegenden ehelichen Lebensgemeinschaft - anders als die Klägerin - zeitnah bei der zuständigen Behörde angezeigt, so dass sich die Frage eines möglicherweise einer Täuschung entsprechenden Unterlassens nicht gestellt hat. [...]