VG Frankfurt a.M.

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VG Frankfurt a.M., Urteil vom 04.07.2012 - 1 K 1836/11.F.A (= ASYLMAGAZIN 12/2012, S. 414 ff.) - asyl.net: M20186
https://www.asyl.net/rsdb/M20186
Leitsatz:

1. Artikel 12 EMRK garantiert auch die negative Eheschließungsfreiheit, also das Recht, nicht zu heiraten oder eine bestimmte Person nicht zu heiraten.

2. Eltern, die bereit sind, ihre Töchter gegen deren Willen zu verheiraten, und Ehemänner, die eine gegen ihren Willen geheiratete Ehefrau gegen ihren Willen in der Ehe festhalten, sind nichtstaatliche Verfolgungsakteure im Sinne des Art. 6 lit c) RL 83/2004/EG.

3. Frauen im Iran, die dem konkreten Risiko ausgesetzt sind, gegen ihren Willen verheiratet zu werden oder die bereits zwangsweise verheiratet worden sind, bilden eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit d) RL 83/2004/EG.

Es ist zu vermuten, dass jede Frau im Iran dieser Gruppe angehört, sofern sie nicht wegen Alters, Verwitwung, körperlicher Gebrechen u.ä. faktisch nicht Gefahr läuft, gegen ihren Willen verheiratet zu werden.

Die Vermutung, zu dieser Gruppe zu gehören, gilt auch nicht für Frauen, die aufgrund ihres zu erwartenden Schulabschlusses Aussicht auf ein Hochschulstudium haben, sowie für Studentinnen und Absolventinnen von Hochschulen.

4. Frauen im Iran, die innerhalb ihrer Ehe von häuslicher Gewalt bedroht sind, bilden eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit d) RL 83/2004/EG.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: negative Eheschließungsfreiheit, Eheschließungsfreiheit, Zwangsehe, nichtstaatliche Verfolgung, Iran, soziale Gruppe, häusliche Gewalt, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Flüchtlingsanerkennung, Verfolgung, Kumulierung, Frauen, mittelbare Verfolgung,
Normen: EMRK Art. 12, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 d, RL 2004/83/EG Art. 6 c, RL 2004/83/EG Art. 9, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 5, RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1 b,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden und festgestellt worden ist, dass die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 2 ff. AufenthG nicht vorliegen, sowie hinsichtlich der Abschiebungsandrohung. Die Klägerin hat nämlich einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Die Klägerin hält sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb ihres Heimatstaates auf. Das Gericht glaubt ihr Vorbringen, wonach sie mit 15 Jahren zwangsverheiratet worden ist und seitdem bei einem gewalttätigen Mann leben musste, der ihr untersagte, die Schule weiter zu besuchen, sie häufig schlug und wie eine Sklavin für sich arbeiten ließ. Der Umstand, dass sie vor dem Bundesamt die unwahre Geschichte um eine gewisse C. erzählt hat, steht ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit nicht entgegen. Sie hat die Unwahrheit dieses Vorbringens von sich aus im Gerichtsverfahren eingeräumt und auch die nachvollziehbaren und glaubhaften Gründe genannt, warum es dazu gekommen ist. Die beigezogenen Nachrichten und Berichte über die Lage im Iran enthalten keine Hinweise, die mit dem geschilderten, in sich schlüssigen Verfolgungsschicksal der Klägerin in Widerspruch stehen.

Damit steht fest, dass sie Lebensbedingungen ausgesetzt war, die den Tatbestand der Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 83/2004/EG erfüllen. Zumindest liegt eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich der Verletzung von Menschenrechten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) RL 83/2004/EG vor, die in ihrer Gesamtheit in ähnlicher Weise gravierend sind wie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von lit. a).

Der Akt der Zwangsverheiratung selbst und die Aufrechterhaltung dieses Zwangs erfüllen den Tatbestand einer Verletzung des Art. 12 EMRK, wonach Männer und Frauen das Recht haben, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Dieses Recht umfasst auch die negative Freiheit, eine Ehe nicht eingehen zu müssen, wenn dies nicht dem eigenen Wunsch entspricht (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 12 Rn 4; Grothe/Marauhn/Meljnik, Konkordanzkommentar EMRK-GG1. Aufl. 2006, Kap 16 Rn 50). Zugleich verletzt die Zwangsverheiratung und die Nötigung zum Verbleib in einer Zwangsehe das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK. Die Situation der Klägerin war zudem durch Handlungen ihres Ehemannes bestimmt, die in der Anwendung psychischer und physischer Gewalt einschließlich sexueller Gewalt im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. a) RL 83/2004/EG bestanden hat. Diese Gewaltakte dienten teilweise dem Zweck, die Klägerin zur Arbeit anzuhalten, was eine Verletzung des Menschenrechts auf Freiheit von Zwangsarbeit (Art. 4 Abs. 2 EMRK) darstellt, teilweise auch dazu, sie vom Besuch der Schule abzuhalten, was eine Verletzung des Rechts auf Bildung (Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK) darstellt.

Akteure dieser Verfolgung waren zum einen die Eltern der Klägerin, die sie zwangsverheiratet haben, sowie der Ehemann, der sie mit Gewalt und Zwang in dieser Situation festhielt und von dem die häusliche Gewalt ausging. In beiden Fällen handelt es sich um nichtstaatliche Akteure im Sinne des Artikels 6 lit. c) RL 83/2004/EG.

Die Klägerin konnte auch nicht den Schutz des Staates oder hinreichend mächtiger Parteien, Organisationen oder internationaler Organisationen in Anspruch nehmen (Art. 7 RL 83/2004/EG). Auf dem Gebiet der Islamischen Republik Iran existiert das Gewaltmonopol des Staates. Nichtstaatliche Akteure können daher keinen Schutz bieten, sofern sie nicht vom Staat dabei unterstützt werden, bzw. sie könnten es nur, wenn sie vom Staat zumindest nicht dabei behindert würden. Faktisch kommt nur der Staat als Schutzakteur in Betracht.

Der iranische Staat bietet jedoch weder gegen die Zwangsheirat wirksamen Schutz, noch schützt er die zwangsverheirateten und in häusliche Gewaltverhältnissen lebenden Frauen. Obgleich die persönliche Freiheit bei der Wahl des Ehepartners durchaus auch zum theoretischen Wertekanon des Islam gehört (Pirmoradi S. 115), gehört eine rigide Geschlechtersegregation doch ebenfalls zu den islamischen Idealvorstellungen von den Geschlechterverhältnissen. Mädchen und Jungen sowie junge unverheiratete Frauen und Männer sollten möglichst keinerlei Kontakte miteinander haben. Diese "Strategie der gegenseitigen Vermeidung" (Pirmoradi S. 116) hat zur Folge, dass die Freiheit der Partnerwahl ein abstraktes Desiderat bleibt, das mangels Gelegenheit, heiratsfähige potentielle Partner überhaupt kennenzulernen, nicht tatsächlich ausgeübt werden kann. Schon aus diesem Grunde ist die von den Eltern arrangierte Partnerwahl faktisch unvermeidlich. Nach einer Erhebung aus dem Jahre 1996 geben nur 32 Prozent der Befragten an, ihre Partnerwahl persönlich getroffen zu haben. Das bedeutet aber nicht, dass man von jedenfalls einem Drittel freiwillig geschlossener Ehen ausgehen kann. Vielmehr muss daraus der Schluss gezogen werden, dass in zwei Drittel der Fälle die Heirat widerwillig erfolgte, während in den übrigen die Bereitschaft zur Eheschließung mit einem bestimmten Partner schlicht darauf zurückzuführen ist, dass für die betroffenen Brautleute keine Alternativen erkennbar sind (Pirmoradi S. 128). Die Freiheit liegt also eher auf der Seite der Eltern, die es in der Hand haben, die Bekanntschaft mit potentiellen Ehepartnern so zu steuern, dass am Ende die Ehe mit demjenigen oder derjenigen zustande kommt, den oder die sie selbst für den oder die beste halten.

Insbesondere in ländlichen Gebieten des Irans kommt es noch immer nicht selten vor, dass Kinder schon bei der Geburt mit anderen Mitgliedern des Verwandschaftssystems verheiratet werden (Pirmoradi S. 129). In anderen Fällen werden Heiratsvermittlerinnen eingeschaltet, die im Auftrag der Eltern die Selektion der schließlich vorgestellten Ehekandidaten vornehmen (Pirmoradi S. 129). Dabei ist das Recht des heiratswilligen Mannes anerkannt, mehrere Kandidatinnen in Augenschein zu nehmen, während die Frauen in diesem Prozess eine eher passiv-abwartende Position einnehmen müssen (Pirmoradi S. 130). So verwundert es auch nicht, dass 96 Prozent aller Eltern mit der "Wahl" ihrer Kinder einverstanden sind (Pirmoradi S. 128). [...]

Eine einmal geschlossene Ehe wieder zu verlassen, stößt für eine Frau auf kaum zu überwindende Barrieren. Schon rechtlich gilt seit der islamischen Revolution wieder die Regel, dass sich der Ehemann jederzeit ohne Angaben von Gründen von seiner Frau scheiden lassen kann (§ 1133 Zivilgesetzbuch), während die Ehefrau eine gerichtliche Scheidung nur dann durchsetzen kann, wenn sie ein bestimmtes ehewidriges Fehlverhalten des Ehemannes nachweisen kann (Pirmoradi S. 149). Macht sie in diesem Zusammenhang die Gewalttätigkeit ihres Mannes geltend, ist die Chance, damit einen Richter überzeugen zu können, eher gering (Pirmoradi S. 149f.). [...]

Zusätzlich zu den massiven rechtlichen Einschränkungen sind es aber vor allem auch allgemeine gesellschaftliche Wertvorstellungen, die einer Scheidung entgegenstehen, vor allem wenn sie von der Ehefrau betrieben wird. Denn das nach außen sichtbare Scheitern einer Ehe berührt immer auch das Aaberu, also die Ehre der beteiligten Familien. Deshalb sind die Herkunftsfamilien und Verwandtschaftssysteme eines Ehepaares immer auch in den Scheidungsprozess involviert. Auch im Falle schwer erträglicher und durch Gewalt gekennzeichneter ehelicher Beziehungen wird seitens der Familie erwartet, dass die Eheleute ihre Konflikte zugunsten der Familienehre zurückstellen (Pirmoradi S. 147).

Geschiedene Ehefrauen werden in der Gesellschaft nicht akzeptiert. Ihre Lebensgestaltung nach der Scheidung ist stark eingeschränkt. Sie werden nicht nur gesellschaftlich verachtet, sondern sie haben auch ganz konkrete Probleme, eine Wohnung zu finden. Insbesondere geschiedene Frauen bleibt deshalb in der Regel nichts anderes übrig, als wieder in ihre Ursprungsfamilie zurückzukehren, also zu jenen Menschen, die die Heirat arrangiert haben und sich durch die Scheidung in ihrer eigenen Ehre verletzt fühlen. Entsprechend ist der Status, den die geschiedene Ehefrau in ihrer Herkunftsfamilie genießt. Diese Erwartung wirkt im Hinblick auf eine ins Auge gefasste Scheidung in sehr hohem Maße abschreckend.

Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich nicht nur, dass es für Frauen, die von einer Zwangsverheiratung bedroht sind oder sich in einer Zwangsehe befinden sowie für diejenigen, die in ihrer Ehe brutaler Gewalt des Ehemannes ausgesetzt sind, keinen staatlichen Schutz gegen Verfolgung gibt. Es folgt vielmehr weiter daraus, dass die Opfer dieser Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. d) RL 83/2004/EG anzusehen sind und ihre Verfolgung als eine solche zu betrachten ist, die wegen der Zugehörigkeit zu diese Gruppe erfolgt (im Ergebnis ebenso: VG Freiburg, Urt. v. 26.01.2005, – A 1 K 11012/03 –; VG Freiburg, Urt. v. 20.4.2005, – A 5 K 10956/03 –; VG Hamburg, Urt. v. 7.11.2005, – 4 A 1970/03 –; VG Düsseldorf, Urt. v. 18.08.2006 – 21 K 3768/04.A –; VG München, Urt. v. 20.06.2007 – M 24 K 07.50265 –; VG Stuttgart, Urteile v. 26.06.2007 – A 6 K 394/07 –; VG München, Urt. v. 29.11.2007 – M 24 K 07.50444 –; VG Stuttgart, Urt. v. 08.09.2008 – A 10 K 13/07 –; VG Saarbrücken, Urt. v. 24.11.2010, – 6 K 90/10 –; VG Braunschweig, Urt. v. 23.06.2011, – 1 A 125/10 –).

Die Klägerin gehört zwei verschiedenen bestimmten sozialen Gruppen in diesem Sinne an. Zunächst gehört sie der Gruppe der Frauen im Iran an, die dem konkreten Risiko einer erzwungenen Eheschließung ausgesetzt sind oder die bereits zwangsweise verheiratet worden sind. Dieses Merkmal knüpft nicht allein an das Geschlecht an, denn es trifft weder auf Witwen noch auf ältere Frauen zu. Zur bloßen Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht müssen also noch weitere Merkmale hinzutreten, um die betreffende Person als Zugehörige zu dieser Gruppe zu qualifizieren. Sie muss im heiratsfähigen Alter sein oder absehbar noch ins heiratsfähige Alter kommen und sie darf nicht schon aus anderen Gründen als potentielles Objekt einer Zwangsehe ausgeschlossen sein, etwa durch ein körperliches Gebrechen oder die sozial bekannte Tätigkeit als Hure. Sie darf außerdem nicht Angehörige der akademischen Welt sein (Gymnasiastin mit Aussicht auf ein Hochschulstudium, Studentin, fertig ausgebildete Akademikerin). Zwangsverheiratet zu sein oder davon bedroht zu werden, ist zwar kein angeborenes Merkmal. Es handelt sich jedoch angesichts der äußerst wirksamen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und in Anbetracht der rechtlichen Regeln des Familienrechts im Iran um einen Hintergrund, der von ihnen nicht geändert werden kann.

Der Umstand, dass die Frauen, die von Zwangsheirat bedroht oder zwangsverheiratet sind, im Iran keine Minderheit bilden, sondern dass dieses Gruppenmerkmal wahrscheinlich für den weitaus größten Teil der iranischen Frauen zutrifft, steht der Annahme einer bestimmten sozialen Gruppe nicht entgegen (vgl. UNHCR, Guidelines on International Protection No 2 "Membership of a Particular Social Group" vom 07.05.2002, Rn 18, abgedr. in: UNHCR; Handbook and Guidelines, Genf 2011).

Der Umstand, dass zwangsverheiratete oder von Zwangsheirat bedrohte Frauen eine bestimmte soziale Gruppe bilden, schließt nicht aus, dass auch zwangsverheiratete oder von Zwangsheirat bedrohte Männer eine Verfolgungsgruppe bilden können. Dies kann hier aber dahingestellt bleiben, denn für die Bestimmung der Verfolgungsgruppe, der die Klägerin angehört, genügt es festzuhalten, dass Männer auch dann, wenn sie zwangsverheiratet sind oder ihnen Zwangsverheiratung droht, jedenfalls im einzelnen anderen Bedingungen ausgesetzt sind, so dass sie jedenfalls mit den Frauen nicht eine einheitliche Verfolgungsgruppe bilden. Deshalb ist auch das weibliche Geschlecht ein wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit zu der hier beschriebenen Verfolgungsgruppe.

Die Klägerin gehört weiterhin der bestimmten sozialen Gruppe der iranischen Frauen an, die innerhalb ihrer Ehe von häuslicher Gewalt bedroht sind. Dass diese Gruppe von jener zu unterscheiden ist, die durch das Merkmal der Zwangsehe gekennzeichnet ist, folgt schon daraus, dass nicht jede Zwangsehe durch häusliche Gewalt gekennzeichnet sein muss und andererseits iranische Frauen auch dann von häuslicher Gewalt bedroht sind, wenn sie nicht in einer Zwangsehe leben. Wie sich aus den obigen Darlegungen der Untersuchung von Saied Pirmoradi entnehmen lässt, wird häusliche Gewalt gegen Ehefrauen gesellschaftlich ignoriert. Der familiäre Ehrenkodex verlangt von der eigenen Herkunftsfamilie der Ehefrau, dass sie den Schutz verweigert. Der Staat und seine Behörden nehmen entsprechende Klagen nicht ernst (Lagebericht AA v. 04.11.2011, S. 37). So geraten Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind, in eine ausweglose Situation.

Im Falle der Rückkehr in den Iran zum heutigen Zeitpunkt würde der Klägerin allerdings weder Verfolgung durch Fortsetzung der Zwangsehe noch Verfolgung durch Fortsetzung der häuslichen Gewalt drohen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Ehemann aufgrund der Entehrung, die er durch den Weggang der Ehefrau erlitten hat, die Ehe mit ihr nicht mehr fortsetzen wird. Er wird jedoch auch nicht hinnehmen, dass sie ungestört ihr Leben fortsetzt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er sie wegen der Entehrung, die er erlitten hat, töten wird. Dafür spricht, dass eine entsprechende Tötung, wenn sie geschickt genug ausgeführt wird, voraussichtlich ungeahndet bleiben wird, weil die iranischen Strafverfolgungsbehörden in einem solchen Fall keinerlei Strafverfolgungsinteresse haben werden. Dafür spricht ferner, dass Tötung aus Rache für erlittene Entehrung zum üblichen Verhaltensreservoir der Gesellschaft gehört, aus der die Klägerin stammt. Schließlich hat ihr Ehemann auch schon in der Vergangenheit seine Gewaltbereitschaft gezeigt und ihr ganz konkret die Tötung angedroht. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin selbst den Strafverfolgungsbehörden zugeführt und wegen Ehebruchs hingerichtet wird (Lagebericht AA v. 4.11.2011, S. 32).

Diesen Gefahren kann die Klägerin nicht dadurch entgehen, dass sie sich in einem anderen Landesteil des Iran niederlässt. Denn wo immer sie dies auch tun wollte, wäre sie doch als alleinstehende Frau darauf angewiesen, ohne die Unterstützung ihrer Familie auszukommen. Das dürfte ausgeschlossen sein. Schon wenn sie einen Arbeitsvertrag schließen oder eine Wohnung anmieten wollte, würde man die schriftliche Erlaubnis ihres Ehemannes fordern, und wenn sie sich als ledig ausgibt, die ihres Vaters. Damit dürfte auch zu rechnen sein, wenn sie sich an soziale Einrichtungen wendet. Deshalb ist auch anzunehmen, dass der Ehemann oder die Familie der Klägerin früher oder später von ihrem Verbleib erführe. [...]