OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 08.05.2013 - 4 LA 322/11 - asyl.net: M20998
https://www.asyl.net/rsdb/M20998
Leitsatz:

1. Liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG vor, besteht ein Sollanspruch, bei dem die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt ist, sondern von Rechts wegen erteilt werden soll, sofern kein atypischer Fall vorliegt. Ermessen wird insofern nur bei aytypischen Sonderfällen eingeräumt.

2. Auch der Sollanspruch aus § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG stellt einen Anspruch im Sinne von § 39 Abs. 5 AufenthV dar.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Sollanspruch, atypischer Ausnahmefall, atypischer Sachverhalt, Ermessen, Visumspflicht, Rechtsanspruch, Visumsverfahren, deutscher Ehegatte,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1, AufenthV § 39 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Der gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils mit dem Zulassungsantrag erhobene Einwand des Beklagten, dass es sich bei § 25 Abs. 5 AufenthG um eine Ermessensnorm handele, so dass "der Kläger im Zuge des Obsiegens lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung des begehrten Verwaltungsaktes unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erlangen könne", lässt unberücksichtigt, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hier die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG erfüllt seien mit der Folge, dass dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden solle, da ein atypischer Sonderfall nicht vorliege. Ein Sollanspruch stellt indes einen Rechtsanspruch dar, bei dem die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt ist, sondern von Rechts wegen erteilt werden soll, sofern kein atypischer Fall vorliegt. Nur bei atypischen Sachverhalten ist der Ausländerbehörde ein Ermessen eingeräumt (vgl. insoweit BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 -1 C 18.04 -, BVerwGE 124, 136 zu § 25 Abs. 3 AufenthG; ferner Dienelt, in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 25 Rn 25). Dass hier entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ein atypischer Fall vorliegt und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG daher im Ermessen des Beklagten steht, hat der Beklagte mit dem Zulassungsantrag indes nicht dargelegt. Der Hinweis des Beklagten, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Regelfalls unterstellt habe, ohne sich mit seinem Vortrag, der auf einen nicht vorhandenen Regelfall abstelle, auseinanderzusetzen, genügt den Anforderungen an die Darlegung ernstlicher Zweifel bereits deshalb nicht, da dem Zulassungsantrag nicht zu entnehmen ist, welcher Vortrag des Beklagten hier der Annahme eines Regelfalls entgegenstehen soll.

Mit dem Zulassungsvorbringen hat der Beklagte auch nicht hinreichend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV rechtsfehlerhaft bejaht hat. Ein Absehen von dem Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV setzt - wie vom Beklagten im Ausgangspunkt zutreffend eingewandt - voraus, dass der Ausländer, dessen Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist, auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist ebenso wie bei der entsprechenden Formulierung in § 39 Nr. 3 AufenthV (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 17.09 -, BVerwGE 138, 122) nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12. 2008 - 1 C 37.07 -, BVerwGE 132, 382). Dass hier die Behörde wegen Vorliegens eines Ausnahmefalls nach Ermessen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG zu entscheiden hat und es aus diesem Grund bereits an einem strikten Rechtsanspruch fehlt, ist indes mit dem Zulassungsantrag - wie bereits ausgeführt - nicht dargelegt worden. Da das Verwaltungsgericht hier das Vorliegen eines Sollanspruchs bejaht hat, ohne dass der Beklagte hiergegen durchgreifende Einwände erhoben hat, hätte es zur Darlegung ernstlicher Zweifel Ausführungen dazu bedurft, dass auch bei Vorliegen eines Sollanspruchs ein "strikter" Rechtsanspruch nicht gegeben ist (offengelassen von BVerwG, Urt. v. 25.8.2009 - 1 C 30.08 -, BVerwGE 134, 335; einen "strikten" Rechtsanspruch auf Grund einer Sollvorschrift bejahend Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2013, § 10 Rn 22 m.w.N.). Der Zulassungsantrag verhält sich hierzu indes nicht. [...]