VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 05.07.2013 - 9 B 12.30352 - asyl.net: M21181
https://www.asyl.net/rsdb/M21181
Leitsatz:

Durch den Tod des Präsidenten Eyadéma 2005 und die Parlamentswahlen 2007 haben sich die Verhältnisse in Togo erheblich und nicht nur vorübergehend verändert, insbesondere werden auch führende Mitglieder der Oppositionspartei UFC nicht weiter verfolgt.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Togo, Eyadema, UFC, Union des Forces de Changement, Opposition, Oppositionspartei, Parlamentswahl, Änderung der Sachlage, politische Verfolgung, Wegfall der Umstände,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 2 a, AsylVfG § 73 Abs. 7, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Bereits im seinerzeitigen Asylanerkennungsverfahren war der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt worden. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 13. November 1995 stand lediglich fest, dass er Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG genoss. Hintergrund dieser Entscheidung war die Annahme, dass dem Kläger – unabhängig von der Frage, ob er vorverfolgt aus Togo ausgereist war – als rückkehrendem Asylbewerber asylrelevante Gefahren drohten, weil das seinerzeitige Regime des Präsidenten Eyadéma rückkehrende Asylbewerber mutmaßlich als Regimegegner einstufte und einer weitgehend willkürlichen und menschenrechtswidrigen Behandlung aussetzte (vgl. Urteil des VG Magdeburg vom 13.11.1995, UA S. 3 ff.).

Diesen Status hat das Bundesamt dem Kläger mit dem angefochtenen Widerrufsbescheid aberkannt, weil sich nachträglich durch den Tod des Präsidenten Eyadéma 2005 und die Parlamentswahlen 2007 die Verhältnisse in Togo erheblich und nicht nur vorübergehend verändert haben und insbesondere auch führende Mitglieder der Oppositionspartei UFC, einer Partei, der der Kläger nach seinem Asylvorbringen als Mitglied angehört haben will, nicht weiter verfolgt werden. Gegenüber dieser vom Bundesamt seiner Entscheidung zugrunde gelegten Lage hat sich die politische und wirtschaftliche Situation in Togo auch im Lauf des Gerichtsverfahrens nicht zu Ungunsten des Klägers verändert. Bei einer Rückkehr des Klägers sind Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen.

Der Kläger hat nichts vorgetragen, was diese Einschätzung in Frage stellen könnte. Er hat sich lediglich im Vorfeld des Widerrufsbescheids zur Lage in Togo aus seiner Sicht geäußert. Das Bundesamt hat sich indessen unter Berücksichtigung dieses Vortrags eingehend mit der Lage in Togo befasst. Im nachfolgenden Gerichtsverfahren hat der Kläger dann keine weiteren materiellen Ausführungen mehr gemacht und auch zu den ihm vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof übersandten Erkenntnismitteln weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Stellung genommen. Nachdem die Lage bezüglich eventueller Gefahren für den Kläger bei einer Rückkehr nach Togo unverändert ist, kann insoweit auf die Begründung des Widerrufsbescheids vom 22. September 2009 verwiesen werden.

In dem dort in Bezug genommenen grundlegenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 3.6.2009 – 9 B 09.30074 – juris, AuAS 2009, 201) hat der Senat zur Lage in Togo ausgeführt:

"Einschneidende, die maßgeblichen Verhältnisse ändernde Ereignisse waren der Tod des über Jahrzehnte herrschenden Staatspräsidenten Eyadéma am 5. Februar 2005 und die Parlamentswahlen vom 14. Oktober 2007, die von westlichen Wahlbeobachtern als im allgemeinen frei, fair, transparent und friedlich beurteilt wurden (vgl. U.S. Department of State, Country Report Togo 2007 vom 11. März 2008); ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die lange Zeitspanne ohne Verfolgungsmaßnahmen gegen aus Europa zurückkehrende ehemalige oppositionelle Asylbewerber (vgl. BVerwG vom 19.9.2000 BVerwGE 112, 80/84). Von diesen Eckpunkten ausgehend hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass eine Verfolgung aus dem Exil zurückkehrender Oppositioneller in Togo auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (im Ergebnis ebenso: VG München vom 15.12.2008 Az. M 25 K 08.50402; VG Ansbach vom 28.10.2008 Az. AN 2 K 07.30272; VG Berlin vom 10.12.2008 Az. VG 1 X 45.07; VG Karlsruhe vom 12.11.2008 Az. A 1 K 1841/08; VG Osnabrück vom 25.3.2008 Az. 5/23/8; VG Schwerin vom 8.1.2008 Az. 5 A 763/07 As). Der Auffassung ... , es müssten sich "die günstigen politischen Verhältnisse angesichts der Jahrzehnte dauernden problematischen Entwicklung erst bewähren" ……… , wird nicht gefolgt. Verfolgungsmaßnahmen gegen aus dem Exil in Europa zurückkehrende Oppositionelle erscheinen bei dem in Togo erreichten Stand der Entwicklung auf absehbare Zeit als ausgeschlossen.

Die Republik Togo stand zwischen dem 13. Januar 1967, an dem der frühere Staatspräsident General Gnassingbé Eyadéma durch einen Militärputsch an die Macht kam, und seinem Tod am 5. Februar 2005 unter seiner faktischen Alleinherrschaft. Diese hatte bis 1991 offen diktatorische Züge, es existierte nur eine Partei, die Einheitspartei RPT (Rassemblement du Peuple Togolaise). Demokratische Strukturen gab es bis dahin nicht. Eine politische Opposition war verboten und wurde verfolgt. Zahlreiche politische Gegner wurden während dieser Zeit inhaftiert und gefoltert. Im Oktober 1990 begann ein Demokratisierungsprozess, der - begleitet von Massenprotesten - eine grundlegende Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung einleitete. Eine neue Verfassung (vom 14.10.1992) trat in Kraft, die die Grundlagen für die Errichtung eines der Demokratie und den Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaats schuf. Nach der Gesetzeslage waren seither die wesentlichen Elemente einer demokratischen parlamentarischen Verfassung vorhanden, die gesetzlichen Garantien zum Schutz der Menschenrechte waren prinzipiell ausreichend auf westlichem Standard, das Rechts- und Gerichtsverfassungssystem wurde von Frankreich übernommen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.2.1999). Allerdings herrschte eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Gesetzestexten und ihrer tatsächlichen Beachtung. So war zwar eine Reihe von Oppositionsparteien entstanden, der Staatspräsident beschnitt aber deren Einflussmöglichkeiten vor allem mit Hilfe von Armee und Sicherheitskräften. Wahlen wurden manipuliert, bei der Auszählung der Stimmen verfälscht, unter Einschüchterung der Bevölkerung abgehalten und teilweise von der Opposition deshalb boykottiert (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 4.3.1996, 10.2.1999 und 15.8.2003). In Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte herrschte eine ähnliche Diskrepanz zwischen Gesetzestexten und ihrer Beachtung. Wiederholtes Eingreifen der Sicherheitskräfte in die innenpolitische Auseinandersetzung war eine Hauptursache schwerer Menschenrechtsverletzungen. Dabei war häufig nicht feststellbar, ob die Sicherheitskräfte oder Dritte im Auftrag des Regimes handelten oder aus eigenem Antrieb. Jedenfalls wurde derartiges Handeln von den zuständigen staatlichen Stellen nicht ernsthaft unterbunden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10.2.1999).

Der Verwaltungsgerichtshof hatte aus der damaligen Situation und ihrer Einschätzung durch die Auskunftsstellen zwei für die Verfolgungsgefahr wesentliche Motive des Regimes entnommen, nämlich einerseits das Fortbestehen eines unbedingten Machtanspruchs des Staatspräsidenten und der ihm nahestehenden Kreise, sowie andererseits eine empfindliche wirtschaftliche Abhängigkeit von Europa und den USA (BayVGH vom 30.3.1999 Az. 25 BA 95.34283). Hieraus hat er ferner geschlossen, dass oppositionelle Tätigkeiten in Togo nur bei Vorliegen einer besonderen Konstellation im Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung führen, wenn das Regime seinen Herrschaftsanspruch durch eine Person als konkret gefährdet ansehen müsste, und dass dies in Bezug auf Mitglieder und Funktionäre togoischer Exilorganisationen mit Sitz in Deutschland in aller Regel nicht in Betracht kommt (BayVGH a.a.O. Leitsätze 1 und 2). Er sah sich in dieser Einschätzung dadurch bestätigt, dass trotz jahrelanger stetiger Rückführungsmaßnahmen kein einziger Fall bestätigt werden konnte, in dem ein aus Europa abgeschobener togoischer Asylbewerber Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre (BayVGH a.a.O.).

Nach dem Tod Gnassingbé Eyadémas schien sich zunächst das bisherige Herrschaftsmuster nahtlos fortzusetzen. Das Militär setzte einen seiner Söhne (Faure Gnassingbé) als Nachfolger ein und bestimmte Präsidentschaftswahlen für den 24. April 2005. Diese führten - begleitet von Manipulationen, der Flucht des Innenministers Boko und Unruhen - mit angeblich 60,22% der Stimmen zur Bestätigung der Präsidentschaft Faure Gnassingbés (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29.1.2008). Dieser begann allerdings - nicht zuletzt wohl aufgrund des politischen Drucks der EU - im Frühjahr 2006 einen "nationalen Dialog" mit den Oppositionsparteien. Dieser Dialog baute auf den sog. 22 Verpflichtungen vom November 2004 auf, die Togo gegenüber der EU eingegangen war und die auf die Herstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse abzielten. Überwiegend sind die "22 Verpflichtungen" bereits umgesetzt: Alle Oppositionsparteien agieren frei, die Printmedien befassen sich unbehelligt mit allen politischen Fragen, auch der Person des Präsidenten. Gezielte Übergriffe gegen Oppositionspolitiker und Journalisten sind seither nicht mehr bekannt geworden. Am 20. August 2006 wurde der "Accord Politique Global" (APG) geschlossen, der auf Herstellung des Rechtsstaats, Neubildung der Regierung und Durchführung international anerkannter Parlamentswahlen im Jahr 2007 abzielte. Diese Reformschritte wurden nach und nach durchgeführt, von allen politischen Beobachtern in Togo anerkannt und führten erstmals zur Empfehlung der Freigabe von Finanzmitteln der EU (Auswärtiges Amt a.a.O.). Am 14. Oktober 2007 wurden die Parlamentswahlen gewaltfrei unter reger Beteiligung internationaler Beobachter durchgeführt. Trotz organisatorischer Mängel wurden die Wahlen international anerkannt. Die Präsidentenpartei RPT errang die absolute Mehrheit, außerdem sind im Parlament noch die größten Oppositionsparteien UFC ("Union des Forces pour le Changement") und CAR ("Comité d’Action pour le Renouveau") vertreten (Auswärtiges Amt a.a.O.). Der neue Staatspräsident hat sich nun im Präsidentenamt etabliert und ist offensichtlich entschlossen, dem Regierungssystem ein neues Gesicht zu verleihen; insofern dürfte seine Machtübernahme einen entscheidenden Wendepunkt darstellen (vgl. Farida Traoré, Schweizerische Flüchtlingshilfe, vom 9.4.2008). Auch wenn die Gerichte, wie andere Institutionen und Organe des Staates, schwach sind, so sind sie nach der Verfassung doch unabhängig und es sind gegenwärtig keine Verfahren mit politischem Hintergrund anhängig (vgl. Auswärtiges Amt a.a.O.). Seit Ende 2005 sind keine Fälle politischer Verfolgung mehr bekannt geworden (Auswärtiges Amt vom 16.6.2008 an VG Freiburg). Menschenrechtsorganisationen können sich ungehindert betätigen; aufgrund eines Abkommens der togoischen Regierung mit dem Hochkommissariat für Menschenrechtsfragen der Vereinten Nationen vom 10. Juli 2006 wurde ein Büro des Hochkommissariats mit weitreichenden Kompetenzen eingerichtet, dessen Leiterin sich zufrieden über ihre Aktionsmöglichkeiten äußert (Auswärtiges Amt a.a.O.).

Aus dieser Entwicklung zieht der Senat den Schluss, dass die im früheren Regime mit Rücksicht auf die Abhängigkeit vom westlichen Ausland bis zur Grenze des Machtverlusts aufrechterhaltene Fassade von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Person des Staatspräsidenten und in der von ihm eingesetzten Regierung jetzt auch mit der eigenen Vorstellungswelt übereinstimmt. Damit erscheinen Verfolgungsmaßnahmen gegen Angehörige der demokratischen Opposition gleich welchen Profils als ausgeschlossen. Überdies hat das seit vielen Jahren festgestellte Fehlen irgendwelcher Verfolgungsmaßnahmen gegen zurückgeführte Asylbewerber (vgl. schon BayVGH vom 25.6.1996 und seither gleichbleibend die Lageberichte des Auswärtigen Amts, vgl. zuletzt vom 29.1.2008) einen solchen Grad der Verfestigung erreicht, dass schon deshalb vernünftigerweise Verfolgungsmaßnahmen als ausgeschlossen angesehen werden müssen."

An dieser Einschätzung hält der Senat weiterhin fest. Die seither eingegangenen Lageberichte des Auswärtigen Amts und die anderen zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen lassen keine entscheidungsrelevante Änderung der Situation in Togo erkennen. [...]