LSG Niedersachsen-Bremen

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LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 - L 15 AS 365/13 B ER - asyl.net: M21327
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Leitsatz:

1. Der Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger ist europarechtskonform.

2. Auch bei solchen Rechtsfragen, die i.S. des Berufungs- und Revisionszulassungsrechts (§§ 144 Abs. 2 Nr. 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) noch klärungsbedürftig erscheinen, dürfen Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht lediglich auf eine Folgenabwägung, sondern auch auf eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. In Fällen, in denen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen können, müssen die Gerichte allerdings, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 = BVerfGK 5, 237 = juris RdNr 23 ff. und vom 25.2.2009 - 1 BvR 120/09). Diese Anforderung bezieht sich indessen auf die Gestaltung des jeweiligen Eilverfahrens durch das zur Entscheidung berufene Gericht, dem die Beurteilung obliegt, ob es selbst sich im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu einer abschließenden Aufklärung des Sachverhalts oder der Beantwortung aller aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Rechtsfragen in der Lage sieht oder nicht.

3. Hilfebedürftige, die von dem Freizügigkeitsrecht für arbeitsuchende Unionsbürger (und ihre Familienangehörigen) Gebrauch machen und bei denen ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche nicht besteht, unterfallen dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB 2, ohne dass es darauf ankommt, ob die materiellen Voraussetzungen für dieses Freizügigkeitsrecht bei ihnen noch vorliegen (entgegen LSG Essen vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13).

4. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 handelt es sich um Sozialhilfeleistungen i.S. des Art 24 EGRL 38/2004. Der Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (Festhaltung an LSG Celle-Bremen vom 26.2.2010 - L 15 AS 30/10 B ER). Sie wird hinsichtlich der vom Bundesgesetzgeber verfolgten Zielsetzung seit der Neufassung des SGB 2 durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 zusätzlich durch die Einfügung von § 1 Abs. 1 SGB 2 gestützt, nach der die Grundsicherung für Arbeitsuchende es den Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Mit der Hervorhebung dieses Leistungsgrundsatzes, mit der der Gesetzgeber auf das Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 reagiert und die Sicherung des grundrechtlich durch Art 1 Abs. 1 und Art 20 Abs. 1 GG verbürgten soziokulturellen Existenzminimums (vgl. BT-Drucks 17/3404, S 90 f) an die erste Stelle der das SGB 2 prägenden Leistungsgrundsätze gerückt hat, ist eine teilweise Abkehr von dem programmatischen Konzept des aktivierenden Sozialstaates vollzogen worden. Nunmehr ist klargestellt, dass ungeachtet des Bestehens von Erwerbsfähigkeit als wesentlicher Anspruchsvoraussetzung für Leistungen nach dem SGB 2 die Existenzsicherung Hilfebedürftiger stets der jederzeitigen Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs jedes Grundrechtsträgers dient und diese um ihrer selbst willen als selbständiges und unbedingtes Ziel verfolgt.

5. Der Ausschluss von den Leistungen verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 EGV 883/2004. Das Arbeitslosengeld II fällt bereits nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der EGV 883/2004. Selbst wenn man aber das Arbeitslosengeld II als besondere beitragsunabhängige Leistung i.S. des Art 70 Abs. 2 EGV 883/2004 bewerten würde, führt dies nicht zu einem Gleichbehandlungsanspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 aufgrund des Diskriminierungsverbotes des Art 4 EGV 883/2004. Vielmehr sind Art 7 und 24 EGRL 38/2004 zu berücksichtigen, denn diese gehen der EGV 883/2004 als speziellere Regelungen vor.

6. Ein Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 kommt für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB 2 unterliegen, nicht in Betracht, so dass die Beiladung des Sozialhilfeträgers entbehrlich ist.

7. Im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG ist arbeitsuchenden Unionsbürgern allerdings ein Anspruch auf Mindestsicherung nach dem SGB 12 einzuräumen. Dieser richtet sich auf die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen. Insoweit besteht bei arbeitsuchenden Unionsbürgern, die ohne ausreichende Existenzmittel in die Bundesrepublik eingereist sind und auf dem Arbeitsmarkt bislang weder als Arbeitnehmer noch als Selbstständige Fuß gefasst haben, eine atypische Bedarfslage, die den Einsatz öffentlicher Mittel i.S. des § 73 SGB 12 (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Sozialhilfe, Sozialhilfebezug, Sozialleistungen, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II, Leistungsausschluss, freizügigkeitsberechtigt, Freizügigkeitsrecht, Unionsbürger, EuGH, Gleichbehandlungsgebot, Gleichheitsgrundsatz, Sicherung des Lebensunterhalts, Arbeitnehmerfreizügigkeit,
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, VO 883/04 Art. 4, VO 883/2004 Art. 2, VO 883/2004 Art. 3,
Auszüge:

[...]

4. Der Ausschluss von den Leistungen verstößt schließlich auch nicht gegen das sekundärrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO 883/04. Nach dieser Vorschrift haben Personen, soweit die Verordnung gilt und soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Voraussetzung für einen Gleichbehandlungsanspruch ist die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereiches (Art. 2 VO 883/2004) und des sachlichen Geltungsbereiches (Art. 3 VO 883/2004). Nach Art. 2 VO 883/2004 ist der persönliche Geltungsbereich der Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort eines Mitgliedsstaates, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen eröffnet. Nach der Legaldefinition des Art. 1 lit. l) VO 883/2004 sind "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedsstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit.

Nach Auffassung des Senats fällt das Arbeitslosengeld II bereits nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der VO 883/2004. Nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die bestimmte Zweige der sozialen Sicherheit betreffen, so u. a. die unter Buchstabe h) beschriebenen "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" (z.B. Arbeitslosengeld nach § 136 ff. SGB III in der Fassung von Art. 1, 2 und 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, in Kraft seit 1. April 2012, BGBl. I S. 2854 - vormals § 117 ff. SGB III). Hierunter fällt das Arbeitslosengeld II ohne Zweifel nicht. Außerdem gilt diese Verordnung nach Art. 3 Absatz 3 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 auch für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.

"Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" sind hierbei nach der Legaldefinition des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 Leistungen,

a) die dazu bestimmt sind:

i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren,

die von den in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren,

dass in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,

oder

ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,

und

b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;

und

c) die in Anhang X aufgeführt sind.

Im Anhang X zu Art. 70 VO 883/2004 ist für Deutschland seit 2009 (30. Oktober 2009, DE, Amtsblatt der Europäischen Union, L 284/59) aufgeführt:

a) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

b) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllt sind.

Vielfach wird schon allein aus der Tatsache, dass das Arbeitslosengeld II im Anhang X lit. b) der VO 883/2004 aufgeführt wird, darauf geschlossen, dass es sich um eine besondere beitragsunabhängige Leistung handele (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. August 2012 - L 3 AS 250/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Juli 2012 - L 5 AS 511/11; vgl. auch BSG, Urteile vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 14/10 R und vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R; Kador, in: jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Art. 70 VO 883/2004, Rn. 27; Greiser, in: Eicher/Schlegel, SGB III, Art. 61 VO 883/2004, Rn. 32, Stand 2/2013).

Dies widerspricht aber dem klaren Wortlaut des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004. Allein die Aufzählung der Leistungen nach dem SGB II im Anhang X der VO 883/2004 genügt zur Eröffnung des sachlichen Geltungsbereichs nach Art. 3 VO 883/2004 nämlich nicht; diese "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" müssen zudem auch die in Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 genannten kumulativen Voraussetzungen erfüllen; durch das Wort "und" wird klargestellt, dass die Voraussetzungen von Art. 70 Abs. 2 a) und b) und c) VO 883/2004 für die Eröffnung des sachlichen Geltungsbereiches kumulativ erfüllt sein müssen (Kingreen, SGb 2013, 132, 135).

Das LSG Berlin-Brandenburg führt im Beschluss vom 7. Mai 2013 (L 29 AS 514/13 B ER) zutreffend aus:

"Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 liegen mithin nur vor, wenn sie insbesondere einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken gewähren, die von den in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind.

Hierbei meint "zusätzlicher" oder "ergänzender" Schutz gegen Risiken im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Leistungen, die zusammen mit einer Regelleistung nach Art. 3 Abs. 1 gewährt werden und dasselbe Risiko wie dieser abdecken (Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Auflage 2010, Titel III Art. 70 Rn. 11 m.w.N.). Dies ist zumindest bei den vorliegend im Streit befindlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 ff. SGB II nicht der Fall, weil sie nicht ergänzend zu einer in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Leistung der sozialen Sicherheit gewährt werden. Hier kämen einzig Leistungen zur Arbeitslosigkeit (Art. 3 Abs. 1 h) VO 883/2004) in Betracht, nämlich in erster Linie Arbeitslosengeld nach §§ 136 ff. SGB III (in der Fassung von Art. 1, 2 und 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, in Kraft ab 1. April 2012, BGBl. I S. 2854 - vormals §§ 117 ff. SGB III), für die ein Anspruch aber unstreitig nicht erfüllt sein dürfte. Auch ein "ersatzweiser" Schutz im Sinne von Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 kann nicht angenommen werden. Denn solche Leistungen sind Leistungen, die anstelle der Regelleistungen in Versicherungsfällen nach Art. 3 Abs. 1 gewährt werden; deshalb muss bei diesen Leistungen der exakt identische Versicherungsfall vorliegen (Fuchs, a.a.O., Titel III Art. 70 Rn. 11, 14). Dies ist bei Leistungen nach § 19 ff. SGB II im Vergleich zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 136 ff. SGB III regelmäßig kaum gegeben, weil sie unabhängig von dem Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund von Bedürftigkeitsgesichtspunkten erbracht werden.

Damit ist unter Berücksichtigung von Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 schon nach dem Wortlaut der Verordnung auch der sachliche Geltungsbereich im Sinne von Art. 2 VO 883/2004 nicht eröffnet."

Selbst wenn man aber das Arbeitslosengeld II als besondere beitragsunabhängige Leistung i.S. d. Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 bewerten würde, führt dies nicht zu einem Gleichbehandlungsanspruch auf Leistungen nach dem SGB II aufgrund des Diskriminierungsverbotes des Art. 4 VO 883/2004. Vielmehr sind Art. 7 und 24 UBRL zu berücksichtigen, denn diese gehen der VO 883/2004 als speziellere Regelungen vor (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012 - L 9 AS 47/12 B ER; Greiser, in: jurisPK-SGB XII, Vorbem. Rn. 53; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12, Brey). In beiden Fällen (Art. 4 EGV 883/04 und Art. 24 Abs. 2 UBRL) liegt europäisches Sekundärrecht vor, so dass Art. 4 VO 883/04 nicht höherrangig ist. Der Rechtsgrundsatz des Vorrangs der spezielleren Regelung ist auch auf europarechtlicher Ebene anwendbar. Es ist nicht ersichtlich, warum dieser Vorrang nur bei expliziter Nennung der spezielleren Vorschrift in der allgemeinen gegeben sein soll (Greiser, a.a.O.). Zudem käme es bei anderer Sichtweise zu der Situation, dass der Diskriminierungsschutz aus Art. 4 VO 883/04 in Bezug auf beitragsunabhängige Leistungen bei Arbeitslosigkeit des EU-Bürgers weiter ginge als bei den Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/04. Diese sind nämlich - im Gegensatz zu anderen Bereichen des europäischen Sozialrechts - lediglich lückenhaft geregelt. Ein umfassender Schutz des Wanderarbeitnehmers gegen Arbeitslosigkeit ist hier gerade nicht vorgesehen. Es kommt zu einer "Schleflage", wenn bei diesen Leistungen kaum Koordination stattfindet, aber keine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bei der Gewährung von Alg-II-Leistungen möglich ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012 - L 9 AS 47/12 B ER).

Nach § 70 Abs. 4 VO 883/2004 werden die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nach Abs. 2 ausschließlich in dem Mitgliedsstaat erbracht, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004 soll verhindern, dass Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung 883/2004 fallen, der Schutz im Bereich der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind (EuGH, Urteile vom 21. Februar 2013 - C 619/11, Dumont des Chassart und vom 19. September 2013, C- 140/12, Brey). Dagegen soll diese Bestimmung nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruches auf besondere beitragsunabhängige Leistungen festlegen. Diese Voraussetzungen festzulegen ist grundsätzlich Sache der Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates. Die VO 883/2004 lässt unterschiedliche nationale Systeme bestehen und schafft kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit; diese unterschiedlichen Systeme führen zu unterschiedlichen Forderungen gegen unterschiedliche Träger (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, C-140/12, Brey). Die VO 883/2004 soll mögliche nachteilige Wirkungen, die die Ausübung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer in Bezug auf den Genuss von Leistungen der sozialen Sicherheit durch sie und ihre Familienangehörigen haben können, verhindern (EuGH, Urteil vom 3. April 2008 - C 331/06, Chuck). Dagegen soll die UBRL zwar die Ausübung des jedem Unionsbürger unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts erleichtern und verstärken, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, jedoch soll sie daneben näher die Bedingungen regeln, unter denen dieses Recht ausgeübt werden kann (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, C 140/12, Brey). Dazu gehört beispielsweise gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b) UBRL die Bedingung, dass Unionsbürger im Falle eines Aufenthaltes von über drei Monaten, die die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, über ausreichende Existenzmittel verfügen müssen. Art. 24 Abs. 2 UBRL sieht eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit vor, als dem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt wird, den Anspruch auf Sozialhilfe nicht zu gewähren, wenn der Unionsbürger nicht Arbeitnehmer, Selbständiger ist oder ihm ein solcher Status erhalten bleibt. Wie bereits ausgeführt, soll diese Voraussetzung u.a. verhindern, dass diese Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen. Es sollen damit die berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten gewahrt werden, insbesondere der Schutz ihrer öffentlichen Finanzen. Daraus folgt, dass die VO 883/2004 den Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch machen, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit, die in ihrem Ursprungsmitgliedstaat gewährt worden, garantieren soll, aber die UBRL es dem Aufnahmemitgliedstaat gestattet, Unionsbürgern, wenn sie die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, rechtmäßige Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C 140/12, Brey). Der EuGH hat dementsprechend eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit auch vor dem Hintergrund des Art. 4 VO 883/04 zugelassen, wenn der Bezug von Sozialhilfe zu einer übermäßigen Belastung des gewährenden Staats würde (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12, Brey).

Vorliegend würde eine Einbeziehung aller EU-Bürger, die sich in Deutschland aufhalten, ohne Arbeitnehmer, Selbständiger zu sein oder diesen Status durch eine frühere Arbeitnehmertätigkeit oder Tätigkeit als Selbständiger noch zu besitzen, zu einer unangemessenen Belastung des nationalen steuerfinanzierten sozialen Grundsicherungssystems führen. Die Höhe der SGB II-Leistungen stellt gerade für schlecht in den heimatlichen Arbeitsmarkt integrierte EU-Bürger mit geringen Durchschnittseinkommen oder für EU-Bürgen, deren heimatlicher Arbeitsmarkt großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten unterworfen ist, einen erheblichen Einwanderungsanreiz dar (SG Leipzig, EuGH-Vorlage vom 3. Juni 2013 - S 17 AS 2198/12). Die allgemeinkundigen gegenwärtigen Probleme der Steuerung und der kommunalpolitischen Bewältigung des Aufenthalts gerade von Armutsflüchtlingen aus Bulgarien und Rumänien (vgl. Positionspapier des Deutschen Städtetages vom 22. Januar 2013 und 14. Februar 2013) belegen dies deutlich. [...]