StGH Bremen

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Zitieren als:
StGH Bremen, Urteil vom 31.01.2014 - St 1/13 - asyl.net: M21740
https://www.asyl.net/rsdb/M21740
Leitsatz:

1. Die Beteiligung an Wahlen, durch die die Ausübung der Staatsgewalt legitimiert wird, ist nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG in Bund, Ländern und Gemeinden allein deutschen Staatsangehörigen vorbehalten. Das in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG vorgesehene Kommunalwahlrecht für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger hat an diesem Grundsatz nichts geändert.

2. Den Ländern ist es aufgrund des bundesverfassungsrechtlichen Homogenitätsgebots verwehrt, bezüglich der Zusammensetzung des Wahlvolkes abweichende Regelungen zu treffen. Deshalb ist das Bundesland Bremen gehindert, Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern ein Wahlrecht zur Bremischen Bürgerschaft (Landtag) einzuräumen.

3. Für die als Untergliederungen der Stadtgemeinde Bremen eingerichteten Beiräte bestehen ebenfalls keine Regelungsspielräume des Landesgesetzgebers. Die Beiräte üben Staatsgewalt aus. Aus diesem Grund ist es nicht zulässig, Drittstaatsangehörigen ein Wahlrecht zu den Beiräten zu gewähren (im Anschluss an StGH Bremen, Ent. vom 08.07.1991 - St 2/91).

4. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist das Staatsangehörigkeitsrecht das geeignete Mittel, um der durch Migration geänderten Zusammensetzung der Wohnbevölkerung Rechnung zu tragen. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist für die Zusammensetzung des Staatsvolkes offen und gestattet es, Anpassungen an den gesellschaftlichen Wandel vorzunehmen und damit auch das Wahlrecht auszuweiten.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wahlen, Beteiligung an Wahlen, Wahlrecht, Ausübung der Staatsgewalt, deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörige, Kommunalwahlrecht, Unionsbürger, Homogenitätsgebot, Wahlvolk, Wahlrecht, Beirat, Migranten, Wohnbevölkerung, Staatsangehörigkeitsrecht, ausländische Staatsangehörige, Ausländer,
Normen: GG Art. 20 Abs. 2 S. 2, GG Art. 28 Abs. 1 S. 2, GG Art. 28 Abs. 1 S. 3,
Auszüge:

[...]

Die in § 1 Abs. 1a BremWahlG idF des Gesetzentwurfs enthaltene Erstreckung des Wahlrechts zur Bürgerschaft auf Unionsbürgerinnen und Unionsbürger verstößt gegen Art. 66 Abs. 1 BremLV. Nach Art. 66 Abs. 1 BremLV geht die Staatsgewalt vom Volke aus. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gehören mangels deutscher Staatsangehörigkeit nicht zum Volk im Sinne dieser Vorschrift.

1. Zwar definiert die Bremische Landesverfassung nicht explizit, wer zum Volk zählt. Die Bremische Landesverfassung unterscheidet sich dadurch von anderen Landesverfassungen, die teilweise – in sprachlich unterschiedlicher Weise – ausdrücklich auf das deutsche Volk (vgl. Art. 26 Abs. 1 BWVerf; Art. 2 S. 1 Berl.Verf.; Art. 3 Abs. 1 S. 1 Bbg.Verf.; Art. 73 Abs. 1 Hess.Verf.; Art. 8 Abs. 2 Nds.Verf.; Art. 64 S. 1 SLVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 1 Verf.LSA) oder sogar auf die deutsche Staatsangehörigkeit Bezug nehmen (Art. 46 Abs. 2 iVm Art. 104 Thür.Verf.). Demgegenüber scheint die Bremische Landesverfassung auf den ersten Blick einem weiter gefassten Volksbegriff zuzuneigen. So heißt es beispielsweise in Art. 66 Abs. 2 BremLV, dass die Staatsgewalt "unmittelbar durch die Gesamtheit der stimmberechtigten Bewohner des bremischen Staatsgebietes" ausgeübt wird, und nach Art. 83 Abs. 1 S. 1 BremLV sind die Mitglieder der Bürgerschaft "Vertreter der ganzen bremischen Bevölkerung". Auch gesteht Art. 75 Abs. 1 S. 2 BremLV dem Gesetzgeber Entscheidungen über Fragen der Wahlberechtigung und der Wählbarkeit zu.

Als Verfassung eines Gliedstaates "der deutschen Republik" (Art. 64 BremLV) ist die Bremische Landesverfassung dem allgemeinen und dem speziellen Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG unterworfen. Die Auslegung des Begriffs des Volkes in Art. 66 Abs. 1 BremLV muss daher – will die Bremische Landesverfassung nicht gegen das Grundgesetz verstoßen und insoweit nichtig sein – im Lichte der zwingenden Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG erfolgen. Der Staatsgerichtshof hat aus diesem Grund entschieden, dass wegen des grundgesetzlichen Homogenitätsgebots des Art. 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG das "Demokratieprinzip des Grundgesetzes […] inhaltsgleich auch Bestandteil der Landesverfassung" ist (BremStGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – BremStGHE 5, 36, 48 f). Angesichts des Umstandes, dass nach der allgemeinen Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern nur den "Grundsätzen" des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen und damit die Ordnung des Grundgesetzes für die Ebene des Bundes in den Landesverfassungen nicht in jedem Detail nachgezeichnet sein muss, kann dahinstehen, ob sich diese weitreichende Annahme des Staatsgerichtshofs tatsächlich auf alle Ausprägungen des Demokratieprinzips bezogen hat. Innerhalb des von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG gezogenen Rahmens ist das Demokratieprinzip des Grundgesetzes in Bezug auf die Länder in der Tat im Ausgangspunkt ein offenes, gestaltbares Prinzip.

Die Aussage des Staatsgerichtshofs, dass wegen des grundgesetzlichen Homogenitätsgebots das "Demokratieprinzip des Grundgesetzes […] inhaltsgleich auch Bestandteil der Landesverfassung" ist (BremStGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – BremStGHE 5, 36, 48 f), trifft aber in jedem Fall für die Frage zu, wer zum Wahlvolk zählt. Das liegt an der gegenüber Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG speziellen und strengeren Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, der zufolge "das Volk" in den Ländern eine Vertretung haben muss. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG knüpft an Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG an. Danach wird die Staatsgewalt "vom Volke in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt. Das Volk eines Landes im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ist – bezogen auf das jeweilige Land – mit dem des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG identisch. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG überlässt den Ländern insoweit keinen Regelungsspielraum (Grzeszick in: Maunz/Dürig Grundgesetz, Lsbl., Stand: 2013, Art. 20 II Rn 79 ff; Hellermann in: Epping/Hillgruber Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 28 Rn 14; Löwer in: v. Münch/Kunig Grundgesetz, 6. Aufl. 2013, Art. 28 Rn 26 ff; Tettinger/Schwarz in: v. Mangoldt/Klein/Starck Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn 72 ff). Der Begriff des Volkes im Sinne des Art. 66 Abs. 1 BremLV muss dem des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und damit zugleich dem des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entsprechen (vgl. zur Einheitlichkeit des Volksbegriffs auf den verschiedenen staatlichen Ebenen vor Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37, 53; BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60, 71; BremStGH, E. v. 8.7.1991 – St 2/91 – BremStGHE 5, 36, 47). Regelungsspielräume des Landesgesetzgebers in Bezug auf Fragen der Wahlberechtigung und der Wählbarkeit nach Art. 75 Abs. 1 S. 2 BremLV betreffen daher zum Beispiel das Wahlalter oder Wählbarkeitsbeschränkungen im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG.

2. Zum Volk, das die Ausübung von Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG legitimiert und damit Wahlvolk sowohl im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als auch im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ist, zählen – unter gewissen historisch und unionsrechtlich bedingten Modifikationen nach Art. 116 GG und nach Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG (3.a)) – nur die deutschen Staatsangehörigen. Das Bundesverfassungsgericht hat das – vor Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in die Verfassung – vor allem verfassungssystematisch wie folgt begründet: "Auch andere Regelungen des Grundgesetzes, die einen Bezug zum Volk aufweisen, lassen keinen Zweifel daran, daß Staatsvolk das deutsche Volk ist: Nach der Präambel ist es das Deutsche Volk, welches sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt das Grundgesetz gegeben hat; Art. 33 Abs. 1 und 2 gewährleistet jedem Deutschen in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten; nach Art. 56 und Art. 64 Abs. 2 schwören der Bundespräsident und die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen; schließlich weist Art. 146 dem deutschen Volke die Entscheidung über eine das Grundgesetz zu gegebener Zeit ablösende Verfassung zu. In nicht zu übersehender Parallelität erklären die Präambel und Art. 146 GG das deutsche Volk zum Träger und Subjekt des Staates der Bundesrepublik Deutschland" (BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37, 51). Dem hat sich der Staatsgerichtshof – ebenfalls vor Einfügung des Satzes 3 in Art. 28 Abs. 1 GG – angeschlossen (BremStGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – BremStGHE 5, 36, 47 ff).

Das Kriterium der Staatsangehörigkeit ist kein wertendes oder ideologisch behaftetes, sondern ein formales Kriterium: "Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen staatsbürgerlichen Status, der einerseits gleiche Pflichten, zum anderen und insbesondere aber auch die Rechte begründet, durch deren Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitimation erfährt" (BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37, 51). Dabei steht die Verleihung der Staatsangehörigkeit nicht im Belieben der Staatsorgane. Sie bestimmt sich vielmehr nach den gesetzlichen Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts, die ihrerseits den Grundentscheidungen der Verfassung, wie sie vor allem in den Grundrechten zum Ausdruck kommen, Rechnung tragen müssen (BVerfG, Beschl. v. 21.05.1974 – 1 BvL 22/71 und 21/72 – BVerfGE 37, 217, 239). Das Staatsangehörigkeitsrecht unterliegt insoweit den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Ethnische oder religiöse Differenzierungs- oder Ausschlusskriterien sind danach unzulässig; das geltende Staatsangehörigkeitsrecht sieht sie auch nicht vor. Das bedeutet, dass die Zusammensetzung des Staatsvolkes offen ist und dem gesellschaftlichen Wandel unterliegt.

Zwar sind aus demokratietheoretischer Sicht alternative Modelle denkbar, die für die Frage, wer zum Staatsvolk gehört, beispielsweise daran ansetzen könnten, wer von Staatsgewalt betroffen ist. Dafür enthält das Grundgesetz aber keinen normativen Ansatzpunkt. Im Gegenteil: Das Grundgesetz lässt durchgängig erkennen, dass die Zugehörigkeit zum Staatsvolk an die Staatsangehörigkeit geknüpft ist. Es stellt das Institut der Staatsangehörigkeit in Art. 16 GG unter seinen ausdrücklichen Schutz.

Zu erwägen ist, ob die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Menschenwürde dazu verpflichtet, eine Kongruenz zwischen dem Wahlvolk und den dauerhaft von deutscher Staatsgewalt Betroffenen herzustellen. Ob dies der Fall ist, kann hier dahinstehen. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist das Staatsangehörigkeitsrecht das richtige Instrument, diese Kongruenz herbeizuführen.

3. Daran hat sich seit den einschlägigen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen auch nichts geändert. Weder die Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in das Grundgesetz (a)) noch die stärkere Öffnung der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union (b)) machen die Annahme hinfällig, dass der Begriff des Volkes im Sinne des Grundgesetzes unter gewissen historisch und unionsrechtlich bedingten Modifikationen nach Art. 116 GG und nach Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG durchgängig an die deutsche Staatsangehörigkeit anknüpft und dass die Begriffe des Volkes nach Art. 20 Abs. 2 GG und des Volkes eines Landes im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG einheitlich zu interpretieren sind.

a) Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG bestimmt, dass bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden "auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar" sind. Die Einfügung dieser Vorschrift in das Grundgesetz hat nicht dazu geführt, dass der Begriff des Volkes im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, das in den Ländern eine nach näher bestimmten Grundsätzen gewählte Vertretung haben muss, anders interpretiert werden kann als der Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2 GG. Die Einfügung des Satzes 3 in Art. 28 Abs. 1 GG hat auch nichts daran geändert, dass das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG aus der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen besteht (Hellermann in: Epping/Hillgruber Grundgesetz, 2. Aufl. 2013, Art. 28 Rn 14; Grzeszick in: Maunz/Dürig Grundgesetz, Lsbl., Stand: 2013, Art. 20 II Rn 79 ff; Scholz in: Maunz/Dürig Grundgesetz, Lsbl., Stand: 2013, Art. 28 Rn 41c; Löwer in: v. Münch/Kunig Grundgesetz, 6. Aufl. 2013, Art. 28 Rn 26 ff; Tettinger/Schwarz in: v. Mangoldt/Klein/Starck Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn 72 ff, 120). Zwar hat Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG für die Ebene der Kreise und Gemeinden die Legitimationsgrundlage für die Ausübung von Staatsgewalt erweitert. Diese Erweiterung betrifft aber personell allein die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und erstreckt sich gegenständlich nur auf Kreise und Gemeinden. Sie ändert grundsätzlich nichts daran, dass Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Wahlvolk weiterhin auf allen drei Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - die Staatsangehörigkeit ist.

Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat es mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht etwa den Ländern überlassen, den Begriff des Staatsvolkes zu bestimmen. Die identische Anknüpfung des Wahlvolkes und der Volksbegriffe an die Staatsangehörigkeit auf allen drei staatlichen Ebenen hat eine bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichende Tradition, die das Bundesverfassungsgericht ausführlich beschrieben hat (BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89, BVerfGE 83, 37, 56 f). Das Bundesverfassungsgericht hat seine Annahmen zum aus seiner Sicht identischen Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2 GG und in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG in den genannten Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Es ist daher zu erwarten, dass eine Verfassungsänderung mit dem Ziel, die Verbindung von Staatsvolk und Staatsangehörigkeit prinzipiell zu lockern und zugleich die Definition, wer zum Wahlvolk eines Landes im Sinne des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gehört, den Ländern zu überlassen, klar und eindeutig erfolgt wäre. Die Einfügung von Satz 3 in Art. 28 Abs. 1 GG enthält keine solche Verfassungsänderung.

aa) Anlass dieser Verfassungsänderung war das bevorstehende Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht (ABl. C 191/1 v. 29.7.1992). Durch ihn sollte Art. 8b Abs. 1 (heute: Art. 22 Abs. 1 AEUV) in den damaligen EG-Vertrag aufgenommen werden. Er sah vor, dass – vorbehaltlich näherer Bestimmung durch einstimmigen Beschluss auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments – jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen haben muss. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG dient ausschließlich dazu, den Rechtszustand herzustellen und in den Verfassungstext aufzunehmen, der sonst durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dann entgegen dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ohnehin entstanden wäre: Das kommunale Wahlrecht sollte für das Volk in den Gemeinden und Kreisen in dem sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Umfang erweitert werden. Weitere Rechtsfolgen begründet Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG bezweckt lediglich die Öffnung der bundesdeutschen Verfassungsordnung für die gemeinschaftsbzw. unionsrechtlich verankerten Rechtspositionen der Angehörigen der EUMitgliedstaaten (Burkholz DÖV 1995, 816, 819; Meyer-Teschendorf/Hofmann ZRP 1995, 290 ff.; Kaufmann ZG 1998, 25, 35). Die Norm ist ein "integrationsbedingter Zurechnungstatbestand eigener Art" (Kaufmann ZG 1998, 25, 40), der trotz entstehender Inkongruenzen "nicht modifizierend auf sonstige Verfassungsbestimmungen – wie Art. 20 II 1 und 2, 28 I 1 und 2 GG – einwirken kann" (Meyer- Teschendorf/Hofmann ZRP 1995, 290, 292).

bb) Die Gesetzesmaterialien lassen ebenfalls keinen Zweifel an dieser - beschränkten - Reichweite von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 2. Oktober 1992 (BT-Drs. 12/3338, 1, 10 f) wird zunächst der Inhalt des Art. 8b Abs. 1 EGV geschildert. Im Anschluss heißt es u.a.: "Die Vorschrift […] erweitert (gewährt) das aktive und passive Kommunalwahlrecht in dem in Artikel 8 b Abs. 1 des EG-Vertrags in der Fassung des Unions-Vertrags vorgesehenen Umfang auf Personen, die nicht Deutsche sind, aber die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EG besitzen und ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger umfaßt nicht das Wahlrecht zu den Landesparlamenten – auch nicht in den Stadtstaaten. Eine solche gemeinschaftsrechtliche Regelung würde die Frage aufwerfen, ob damit nicht die von Artikel 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen überschritten würden. Für die Ausgestaltung dieses Wahlrechts im einzelnen sind die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts maßgebend." Dieses Zitat zeigt zum einen, dass eine grundsätzliche Ablösung des Volksbegriffs von der deutschen Staatsangehörigkeit sowie eine Neuausrichtung des Verhältnisses des Volksbegriffs auf Bundes- und Landesebene nicht beabsichtigt waren und dass zum anderen ein Ausländerwahlrecht auf Landesebene sogar für verfassungsrechtlich höchst problematisch gehalten wurde. Es sollte lediglich für die kommunale Ebene dem Vorrang des EU-Rechts verfassungstextlich Rechnung getragen werden.

Das belegen auch die vorangehenden Diskussionen um ein kommunales Ausländerwahlrecht in der Gemeinsamen Verfassungskommission. Dort haben sich Anträge, das kommunale Wahlrecht auf alle Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Deutschland zu erstrecken bzw. die Entscheidung über ihr kommunales Wahlrecht dem jeweiligen Landesrecht zu überantworten, gerade nicht durchgesetzt (BT-Drs. 12/6000, 97). Außerdem blieb der Vorschlag erfolglos, den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg zu ermöglichen, Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern ein Wahlrecht zu den Landtagen einzuräumen (BT-Drs. 12/6000, 140; BT-Drs. 12/3338, 1, 12 ff). Das untermauert, dass eine grundsätzliche Ablösung des Volksbegriffs von der Staatsangehörigkeit sowie eine Neuausrichtung des Verhältnisses des Volksbegriffs auf Bundes- und Landesebene gerade nicht beabsichtigt war und dass das Grundgesetz durch die Einfügung des Satzes 3 in Art. 28 Abs. 1 GG gerade nicht entsprechend geändert werden sollte. Es ging ausschließlich um die Abbildung des gemeinschaftsrechtlich geforderten Standards. Zwar wird die Entstehungsgeschichte einer Norm gelegentlich als eine die übrigen Auslegungsmethoden lediglich ergänzende, nachrangige Methode betrachtet. Im vorliegenden Fall entspricht allerdings das Ergebnis der historischen Interpretation Wortlaut und systematischer Stellung der Vorschrift.

cc) Wortlaut und systematische Stellung von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG lassen keinen Zweifel an der Reichweite der Vorschrift. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat Art. 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG unverändert gelassen. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG muss das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Daran schließt sich in einem weiteren Satz an, dass bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden "auch", also zusätzlich Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzen, wahlberechtigt und wählbar sind. Die Formulierung, dass sich dies "nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft" bemisst, zeigt, dass Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht die Ableitungszusammenhänge für die Legitimation von Staatsgewalt durch Wahlen grundsätzlich verändert, sondern lediglich den Vorrang des Unionsrechts verdeutlicht und eine Norm ist, die auf das Unionsrecht verweist. Hätte stattdessen grundsätzlich oder jedenfalls für die kommunale Ebene der Volksbegriff verändert werden sollen, hätte es aus systematischer Sicht nahegelegen, das in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG oder in Art. 20 Abs. 2 GG - und dann auch ausdrücklich - zu normieren.

b) Auch die insbesondere durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon erfolgte stärkere Öffnung der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union hat nicht dazu geführt, dass von einem Begriff des Staatsvolkes, der an die deutsche Staatsangehörigkeit anknüpft, abzuweichen ist. Art. 23 GG ermöglicht die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der europäischen Integration. Dabei sieht Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG – ebenso wie Art. 24 Abs. 1 GG im Hinblick auf sonstige zwischenstaatliche Einrichtungen – ausdrücklich auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union vor. Das Grundgesetz akzeptiert damit, dass in diesem Fall, also bei der Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Union oder auf andere zwischenstaatliche Einrichtungen, eine demokratischen Anforderungen entsprechende Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Organe dieser Einrichtungen auch ohne Rückbindung an ein nach Grundsätzen der Staatsangehörigkeit definiertes Staatsvolk möglich ist. Anders wäre die Ausübung von Hoheitsgewalt durch zwischenstaatliche Einrichtungen auch gar nicht möglich. Das hat aber keine Folgen für die Frage, wie sich die nicht übertragene deutsche Staatsgewalt legitimiert, die gerade nicht auf die Europäische Union übertragen ist.

Davon geht auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil aus. Das Gericht stellt dort fest: "Art. 38 Abs. 1 GG gewährleistet jedem wahlberechtigten Deutschen das Recht, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu wählen. Mit der allgemeinen, freien und gleichen Wahl der Abgeordneten des deutschen Bundestages betätigt das Bundesvolk seinen politischen Willen unmittelbar" (BVerfG, Urt. v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – BVerfGE 123, 267, 340). Später heißt es in der Entscheidung: "Das Grundgesetz verlangt, dass jeder Bürger frei und im Rechtssinne (vor dem Gesetz) gleich ist. Für das Demokratiegebot bedeutet dies, dass jedem Staatsangehörigen […] ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zusteht" (BVerfG, Urt. v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – BVerfGE 123, 267, 342).

Schließlich hat die Übertragung von Hoheitsgewalt auf zwischenstaatliche Einrichtungen auch gerade an der Staatsangehörigkeit ansetzende Grenzen, auf die das Bundesverfassungsgericht in der Lissabon-Entscheidung wie folgt hingewiesen hat: "Auch angesichts des Ausbaus der Rechte der Unionsbürger bewahrt das deutsche Staatsvolk solange seine Existenz, wie die Unionsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten nicht ersetzt oder überlagert. Der abgeleitete Status der Unionsbürgerschaft und die Wahrung der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit bilden die Grenze für die in Art. 25 Abs. 2 AEUV angelegte Entwicklung der Unionsbürgerrechte und für die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union […]. So bestehen mitgliedstaatliche Möglichkeiten der Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit fort" (BVerfG, Urt. v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – BVerfGE 123, 267, 405). Dabei bezieht sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache auf Art. 9 S. 3 EUV sowie auf Art. 20 Abs. 1 S. 3 AEUV, die beide bestimmen: "Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht."

4. Es trifft zu, dass die idealtypische Kongruenz zwischen Staatsangehörigkeit, Wahlrecht und dem Unterworfensein von Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland infolge von Zuwanderung nicht besteht. Will man das rechtlich auffangen, bestehen zwei Möglichkeiten.

Zum einen kann, wie es die Art. 73 Abs. 1 Nr. 2, 116 Abs. 1 GG belegen, der Bundesgesetzgeber durch Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erleichtern und auf diese Weise den Kreis der nach Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 S. 2 GG Wahlberechtigten der Realität entsprechend vergrößern. Auf diesen Weg hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hingewiesen, um einer Inkongruenz zwischen den Inhabern demokratischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen entgegenzuwirken (BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – 37, 52). Der Bundesgesetzgeber hat dementsprechend seit 1990 wiederholt Regelungen getroffen, um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern (vgl. etwa Gesetz zur Neuregelung des Ausländergesetzes vom 9.7.1990, BGBl. I S. 1354: Erleichterte Einbürgerung von jüngeren Ausländern und von Erwachsenen nach längerem Aufenthalt; Gesetz zur Änderung asylverfahrensrechtlicher, ausländerrechtlicher und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30.6.1993, BGBl. I S. 1062: Schaffung eines tatbestandlich gebundenen Rechtsanspruchs auf Einbürgerung; Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999, BGBl. I S. 1618: Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltsdauer, tatbestandlich gebundener geburtsweiser Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von Kindern ausländischer Eltern; Richtlinienumsetzungsgesetz vom 28.8.2007, BGBl. I S. 1970: weitere Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltsdauer bei besonderen Integrationsleistungen, Ausnahme vom Verbot der Mehrstaatigkeit bei Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern). Die genannten Gesetzesänderungen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber auf die Migration reagiert hat. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass gerade das Richtlinienumsetzungsgesetz in verschiedenen Punkten auch zu einer Anhebung der Einbürgerungsvoraussetzungen geführt hat (vgl. Berlit GK-StAR, IV – 2 § 10 Rn 25 ff). Ob die geltenden gesetzlichen Regelungen insgesamt ausreichend sind, ist Gegenstand einer intensiven Diskussion, in der es etwa um die Optionspflicht beim geburtsweisen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 29 StAG) oder das grundsätzliche Festhalten an dem Verbot der Mehrstaatigkeit geht (§§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 12 StAG; vgl. dazu Göbel- Zimmermann/Eichhorn ZAR 2010, 293 ff, Weinmann/Becher/von Gostowski ZAR 2013, 373, jeweils m. w. N.). Dem braucht hier aber nicht weiter nachgegangen zu werden. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber das Staatsangehörigkeitsrecht seit 1990 wiederholt einschneidenden Veränderungen unterzogen hat. Diese Veränderungen und der damit einhergehende politische Prozess belegen, dass, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, das Staatsangehörigkeitsrecht der richtige "Ort [ist], an dem der Gesetzgeber Veränderungen in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf die Ausübung politischer Rechte Rechnung tragen kann" (Urt. v. 31.10.1990, 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37, 52).

Zum anderen kann angestrebt werden, das Grundgesetz zu ändern und um ein Wahlrecht für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu den Landtagen zu erweitern. Ob das vor Art. 79 Abs. 3 GG Bestand hat, ist umstritten und hier nicht zu entscheiden Diese verfassungsrechtlich vorgesehenen Wege können durch Verfassungsinterpretation nicht ersetzt werden.

III.

Die durch § 49 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BremWahlG idF des Gesetzentwurfs vorgenommene Ausweitung des aktiven und passiven Wahlrechts zu den Beiräten auf Drittstaatsangehörige verstößt ebenfalls gegen Art. 66 Abs. 1 BremLV.

Der Staatsgerichtshof hat zu dieser Vorschrift, nach der alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, entschieden, dass der Volksbegriff wegen des grundgesetzlichen Homogenitätsgebots wie im Grundgesetz auszulegen ist (StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 46 f). Diese Aussage hat er – dem Bundesverfassungsgericht folgend (BVerfG, Beschl. v. 15.2.1978 – 2 BvR 134, 268/76 – BVerfGE 47, 253, 272) – ausgehend von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich auch auf die unterkommunale Ebene bezogen (StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 47; vgl. auch StGH, Ent. v. 29.3.1982 – St 1/81 -, StGHE 4, 19, 55). Das führte ihn seinerzeit dazu, ein Ausländerwahlrecht für die Beiräte abzulehnen, weil sie Staatsgewalt ausüben (StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 47 ff.). Die Änderung des Art. 28 Abs. 1 GG durch die Einfügung des Satz 3 hat dazu geführt, dass heute an den Beiratswahlen auch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger beteiligt werden.

Eine Interpretation des Art. 66 Abs. 1 BremLV dahingehend, dass auch ausländischen Staatsangehörigen, die keine Unionsbürgerinnen und -bürger sind, das Wahlrecht eingeräumt werden kann, ist nur möglich, wenn entweder die Beiräte keine Staatsgewalt ausüben, die demokratisch legitimiert werden muss (1.), wenn Art. 28 Abs. S. 3 GG den Ländern lediglich eine Untergrenze für die Ausländerbeteiligung auf kommunaler Ebene vorgibt, die die Länder durch die Ausweitung des Wahlrechts auf ausländische Staatsangehörige, die nicht Unionsbürgerinnen oder Unionsbürger sind, überschreiten dürfen (2.) oder wenn eine durch die Beteiligung von ausländischen Staatsangehörigen an den Beirätewahlen geminderte personelle demokratische Legitimation durch eine besonders hohe sachliche demokratische Legitimation kompensiert werden kann (3.). Diese Voraussetzungen liegen allesamt nicht vor.

1. Die Beiräte üben Staatsgewalt aus. Ausübung von Staatsgewalt ist jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter (z.B. BVerfG, Beschl. v. 15.2.1978 – 2 BvR 134, 268/76 – BVerfGE 47, 253, 273; BVerfG, Beschl. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89, BVerfGE 83, 60, 73, std. Rspr.; StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 49). Die Zuständigkeiten der Beiräte beschränken sich nicht auf bloß vorbereitende und rein konsultative Tätigkeiten ohne Mitbestimmungsbefugnisse, die möglicherweise nicht auf das Volk zurückgeführt werden müssen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89, BVerfGE 83, 60, 74). Das hat der Staatsgerichtshof bereits für den Zuständigkeitskatalog des damaligen § 7 des Ortsgesetzes über Beiräte und Ortsämter vom 20. Juni 1989 (Brem.GBl. S. 241) entschieden (StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 49 ff) und das mit den im damaligen § 7 enthaltenen selbständigen Entscheidungsrechten begründet, die sich vor allem auf die Verwendung von Mitteln (§ 7 Nr. 1, 2 BeiräteG a.F.), aber auch auf verkehrslenkende, -beschränkende und - beruhigende Maßnahmen, auf die Organisation und Durchführung von Gemeinschaftsveranstaltungen im Stadtteil, auf den Abschluss und die Pflege stadtteilorientierter Partnerschaften und auf die Planung und Durchführung eigener sozial-, kultur- und umweltpolitischer Projekte bezogen (§ 7 Nr. 3-6 BeiräteG a.F.). Die den Beiräten heute nach § 10 des BeiräteG (Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter v. 2.2.2010, Brem.GBl. S. 130) zukommenden Zuständigkeiten wurden erweitert. So entscheiden die Beiräte beispielsweise zusätzlich auch über den Standort für die Aufstellung von Kunstwerken im Raum (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 BeiräteG) oder über den Ausbau, den Umbau, die wesentliche Um- und Zwischennutzung und Benennung von öffentlichen Wegen, Plätzen, Grün- und Parkanlagen (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 BeiräteG). Zudem haben die Beiräte durch § 10 Abs. 2 BeiräteG erhebliche Mitentscheidungsrechte bei Entscheidungen anderer Stellen erhalten.

2. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gibt den Ländern auch nicht lediglich eine Untergrenze für die Ausländerbeteiligung auf kommunaler Ebene vor, die die Länder durch die Ausweitung des Wahlrechts auf ausländische Staatsangehörige, die nicht Unionsbürgerinnen oder Unionsbürger sind, überschreiten dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat vor Einfügung des Satzes 3 in Art. 28 Abs. 1 GG festgestellt, dass das Homogenitätsgebot verbietet, das Wahlrecht auf ausländische Einwohner auszudehnen (BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37, 58 f). Daran hat sich durch die Einfügung des Satzes 3 in Art. 28 Abs. 1 GG nichts geändert. Wie oben näher dargelegt (C II 3) ermöglicht Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ausschließlich die Umsetzung des unionsrechtlich vorgegebenen Wahlrechts für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und zeichnet im Verfassungstext nach, was wegen des Vorrangs des Unionsrechts ohnehin gilt. Von einer Öffnung des kommunalen Wahlrechts auf alle ausländischen Staatsangehörigen oder von einer Überantwortung dieser Entscheidung auf die Landesgesetzgeber wurde bei der Schaffung der Norm demgegenüber gerade abgesehen. Das bedeutet, dass auch das Handeln der Beiräte nach Art. 66 Abs. 1 BremLV auf das bremische deutsche Staatsvolk, zu dem auf dieser Ebene die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gehören, zurückzuführen sein muss. Dies hat zur Folge, dass Staatsangehörige von Drittstaaten nicht an den Wahlen beteiligt werden können.

3. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn man davon ausgeht, dass eine durch eine Beteiligung von allen Ausländern an den Wahlen zu den Beiräten gesenkte personelle demokratische Legitimation durch eine besondere sachlich-inhaltliche Legitimation kompensiert werden kann. Es kann dahinstehen, inwieweit Elemente der demokratischen Legitimation sich gegenseitig ersetzen oder kompensieren können. Das Bundesverfassungsgericht schließt das für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung nicht aus, wenn "Kompetenzen gegenständlich im einzelnen und auch ihrem Umfang nach eng begrenzt sind und die zu treffenden Entscheidungen inhaltlich soweit vorstrukturiert sind, daß sie sich etwa auf die messbar richtige Plan- oder Gesetzesdurchführung beschränken", oder aber dann, "wenn die Zuständigkeit eines Entscheidungsträgers nur auf einen eng umgrenzten wenig bedeutsamen Bereich gerichtet ist und außerdem einem umfassenden Evokations- oder Letztentscheidungsrecht eines übergeordneten Organs unterliegt" (BVerfG, Beschl. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89, BVerfGE 83, 60, 74). Dem ist der Staatsgerichtshof gefolgt (StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 53 f). In Bezug auf die Beiräte ist festzustellen, dass diese zwar der Gesetzesbindung und der Rechtsaufsicht unterliegen und dass ihnen durch Gesetz ihre Aufgaben jederzeit entzogen werden können. Allerdings vermittelt § 10 BeiräteG eine Fülle von Entscheidungs- und Mitentscheidungskompetenzen, die zum Teil einen hohen gestalterischen und politischen Anteil haben, bei denen es sich um keine "Bagatellen" handelt (vgl. StGH, Ent. v. 8.7.1991 – St 2/91 – StGHE 5, 36, 53 zu § 7 BeiräteG a.F.) und die nicht in reinem Gesetzesvollzug bestehen. Diese Aufgaben nehmen die Beiräte auch inhaltlich weisungsfrei wahr. Die den Beiräten durch Gesetzesbindung und Aufsicht vermittelte sachliche demokratische Legitimation ist daher nicht so ausgeprägt, als dass sie die durch die Einbeziehung von Ausländern in die Beiratswahlen entstehenden Defizite der personellen Legitimation kompensieren könnte. Der Staatsgerichtshof ist davon bereits für § 7 BeiräteG a.F. ausgegangen. Diese Position gilt heute erst recht, weil die Kompetenzen der Beiräte seither noch erweitert wurden. [...]