EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 10.09.2014 - C?491/13 - Ben Alaya gegen Deutschland (ASYLMAGAZIN 10/2014, S. 347 ff.) - asyl.net: M22217
https://www.asyl.net/rsdb/M22217
Leitsatz:

Art. 12 der Richtlinie 2004/114/EG (Studierendenrichtlinie) ist dahin auszulegen, dass der betreffende Mitgliedstaat dazu verpflichtet ist, einen Drittstaatsangehörigen, der sich für mehr als drei Monate zu Studienzwecken in seinem Hoheitsgebiet aufhalten möchte, in sein Hoheitsgebiet zuzulassen, wenn dieser Drittstaatsangehörige die in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie abschließend aufgezählten Zulassungsbedingungen erfüllt und der Mitgliedstaat in seinem Fall keinen der in dieser Richtlinie ausdrücklich genannten Gründe geltend macht, die die Versagung eines Aufenthaltstitels rechtfertigen.

Schlagwörter: Vorabentscheidungsverfahren, Studienzulassung, Zulassung, Visum, Visum zu Studienzwecken, Drittstaatsangehörige, Studium, Aufenthalt zu Studienzweckenk,
Normen: RL 2004/114/EG Art. 12, RL 2004/114/EG Art. 6, RL 2004/114/EG Art. 7,
Auszüge:

[...]

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen ist, dass der betreffende Mitgliedstaat dazu verpflichtet ist, einen Drittstaatsangehörigen, der sich für mehr als drei Monate zu Studienzwecken in seinem Hoheitsgebiet aufhalten möchte, in sein Hoheitsgebiet zuzulassen, wenn dieser Drittstaatsangehörige die in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Zulassungsbedingungen erfüllt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil Koushkaki, C-84/12, EU:C:2013:862, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Erstens ist in Bezug auf die allgemeine Systematik der Richtlinie 2004/114 zunächst festzustellen, dass gemäß ihrem Art. 5 ein Drittstaatsangehöriger nach dieser Richtlinie nur dann in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wird, wenn sich nach Prüfung der Unterlagen zeigt, dass er die allgemeinen Bedingungen gemäß Art. 6 und, falls er die Zulassung zu Studienzwecken beantragt, die besonderen Bedingungen nach Art. 7 der Richtlinie erfüllt.

Insbesondere können die Mitgliedstaaten prüfen, ob gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 – bei Auslegung dieser Vorschrift im Licht des 14. Erwägungsgrundes der Richtlinie – Gründe vorliegen, aus denen sich eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ergibt. Solche Gründe können die Ablehnung der Zulassung eines solchen Drittstaatsangehörigen rechtfertigen.

Sodann erteilt der Mitgliedstaat, wenn die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie genannten allgemeinen und besonderen Bedingungen erfüllt sind, gemäß Art. 12 der Richtlinie einen Aufenthaltstitel für Studenten.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 der Richtlinie 2004/114 unterscheidet zwischen zum einen Bestimmungen über Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf Zulassung ins Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken stellen, und zum anderen Bestimmungen über Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf Zulassung zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst stellen. Während die erstgenannten Bestimmungen für die Mitgliedstaaten bindend sind, wird die Umsetzung der letztgenannten in ihr Ermessen gestellt. Diese Unterscheidung ist ein Indiz dafür, dass ein bestimmter Grad der Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften über die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen angestrebt wird.

Somit ergibt sich aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen der Richtlinie 2004/114, dass gemäß ihrem Art. 12 Studenten aus Drittstaaten ein Aufenthaltstitel erteilt werden muss, wenn sie die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie abschließend aufgezählten allgemeinen und besonderen Bedingungen erfüllen.

Zweitens geht, was die Ziele der Richtlinie 2004/114 betrifft, aus deren Art. 1 Buchst. a in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund hervor, dass diese Richtlinie die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten zu Studienzwecken festlegen soll.

In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Richtlinie 2004/114 nach ihren Erwägungsgründen 6 und 7 die Bereitschaft von Studenten, die Drittstaatsangehörige sind, fördern soll, sich zu Bildungszwecken in die Union zu begeben, und dass damit darauf hingewirkt werden soll, dass Europa im Bereich von Studium und beruflicher Bildung weltweit Maßstäbe setzt (Urteil Sommer, C-15/11, EU:C:2012:371, Rn. 39). Im sechsten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es insbesondere, dass die Annäherung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen diesem Ziel dient.

Erlaubte man aber einem Mitgliedstaat, über die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004/114 vorgesehenen Bedingungen hinaus zusätzliche Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken einzuführen, liefe dies dem Ziel der Richtlinie zuwider, die Mobilität dieser Drittstaatsangehörigen zu fördern.

Daher ergibt sich aus der Systematik und den Zielen der Richtlinie 2004/114, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 12 dieser Richtlinie verpflichtet sind, einem Antragsteller, der die Bedingungen der Art. 6 und 7 dieser Richtlinie erfüllt hat, einen Aufenthaltstitel für Studienzwecke zu erteilen, da die genannten Vorschriften sowohl die allgemeinen und besonderen Bedingungen, die der Antragsteller für einen Aufenthaltstitel zu Studienzwecken erfüllen muss, als auch die Gründe, die die Ablehnung seiner Zulassung rechtfertigen können, abschließend aufzählen.

Außerdem wird eine solche Auslegung des Art. 12 der Richtlinie 2004/114 durch die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit bestätigt, dass die Mitgliedstaaten günstigere innerstaatliche Bestimmungen für die Personen, auf die die Richtlinie Anwendung findet, erlassen können. Die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten den in der Richtlinie 2004/114 vorgesehenen Zulassungsbedingungen weitere Zulassungsbedingungen hinzufügen dürften, ließe aber eine Verschärfung der Zulassungsbedingungen für diese Personen zu, was dem mit Art. 4 Abs. 2 verfolgten Ziel zuwiderliefe.

Es trifft zwar zu, dass die Richtlinie 2004/114 den Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Zulassungsanträge einen Beurteilungsspielraum zuerkennt. Wie jedoch der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge festgestellt hat, bezieht sich der Beurteilungsspielraum, über den die innerstaatlichen Behörden verfügen, allein auf die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen und in diesem Rahmen auf die Würdigung der Tatsachen, die für die Feststellung maßgeblich sind, ob die in den genannten Artikeln aufgezählten Bedingungen erfüllt sind, darunter insbesondere für die Feststellung, ob der Zulassung des Drittstaatsangehörigen Gründe entgegenstehen, aus denen sich eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ergibt.

Im Rahmen der Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen auf der Grundlage der Richtlinie 2004/114 sind somit die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie nicht daran gehindert, alle Nachweise zu verlangen, die für die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrags erforderlich sind, um jeder missbräuchlichen oder betrügerischen Inanspruchnahme des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass im Ausgangsrechtsstreit Herr Ben Alaya die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004/114 vorgesehenen allgemeinen und besonderen Bedingungen offenbar erfüllt. Insbesondere scheint hinsichtlich seiner Person seitens der deutschen Behörden kein in Art. 6 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie aufgeführter Grund geltend gemacht worden zu sein. Demnach wäre ihm in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens von den innerstaatlichen Behörden ein Aufenthaltstitel zu erteilen, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen ist, dass der betreffende Mitgliedstaat dazu verpflichtet ist, einen Drittstaatsangehörigen, der sich für mehr als drei Monate zu Studienzwecken in seinem Hoheitsgebiet aufhalten möchte, in sein Hoheitsgebiet zuzulassen, wenn dieser Drittstaatsangehörige die in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie abschließend aufgezählten Zulassungsbedingungen erfüllt und der Mitgliedstaat in seinem Fall keinen der in dieser Richtlinie ausdrücklich genannten Gründe geltend macht, die die Versagung eines Aufenthaltstitels

rechtfertigen. [...]