OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.08.2014 - 12 N 62.14 - asyl.net: M22326
https://www.asyl.net/rsdb/M22326
Leitsatz:

1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung kann mit der Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von einer Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts dargelegt werden; für die Erläuterung gilt derselbe Maßstab, wie bei der Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.

2. Einem Bundesministerium steht die Verfügungsberechtigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG über die in seinen Akten geführten, in Wahrnehmung eigener Aufgaben federführend erstellten Protokolle über Bund-Länder-Besprechungen (hier: Referentenbesprechungen zum Ausländerrecht) auch dann zu, wenn deren endgültige Fassung mit den beteiligten Landesministerien abgestimmt wird.

Eine (Mit-)Urheberschaft von Landesbehörden ist für die Verpflichtung einer beteiligten Bundesbehörde zum Informationszugang zu Ergebnis- oder Verlaufsprotokollen von Bund-/Länderbesprechungen nach § 1 Abs. 1 IFG ohne Bedeutung.

(Parallelentscheidungen vom selben Tage OVG 12 N 73.13, OVG 12 N 74.13)

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Verfügungsberechtigung, Informationszugang, Informationspflicht, Informationsfreiheitsgesetz, Ausländerreferentenbesprechung, Protokoll, Besprechung, Referenten, Besprechungsprotokoll, Bund-Länder-Besprechung,
Normen: IFG § 7 Abs. 1 S. 1, IFG § 1 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht dargelegt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Nach dem Vortrag der Beklagten soll das angefochtene Urteil von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 – juris) abweichen. Dies kann die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache regelmäßig nur begründen, wenn die Abweichung nach demselben Maßstab dargelegt ist, den der Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO voraussetzt. Eine Divergenz ist insoweit nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 2006 - 10 B 55.06 -, juris Rn. 7 zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO m.w.N.; Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2011 – OVG 12 N 80.11 –, juris Rn. 7).

Dafür reicht es nicht aus, wenn die Beklagte ausführt, dass das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in dem von ihm entschiedenen Fall des Zugangs zu Beratungsprotokollen der nach § 16 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gebildeten Sachverständigen-Kommission im Rahmen des § 3 Nr. 3 Buchstabe b IFG "ohne den Nachweis einer durch den Informationszugang drohenden Beeinträchtigung konkreter Beratungsverläufe oder konkreter Beratungsgegenstände" entschieden hat, dass der Zugang zu den – mit dem Antrag auf Informationsgewährung allerdings konkret bezeichneten – Beratungsprotokollen der Kommission die Atmosphäre der Offenheit und Unbefangenheit zukünftiger Beratungen beeinträchtigen könne. Dies betrifft die Subsumtion des konkreten Lebenssachverhalts im Einzelfall. Der insoweit vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegte Rechtssatz lautet: "Ob durch das Bekanntwerden der fraglichen Informationen die notwendige Vertraulichkeit der behördlichen Beratungen beeinträchtigt wird, muss im jeweiligen Einzelfall prognostiziert werden. Insoweit genügt die konkrete Gefahr, also die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung; an die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer die möglicherweise eintretende Beeinträchtigung ist. Dies wiederum bemisst sich insbesondere nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an einem ungestörten Verlauf des in Frage stehenden behördlichen Willensbildungsprozesses" (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 96). Als Beleg zitiert das Oberverwaltungsgericht insoweit neben Literaturstellen die hiesige Vorinstanz (VG Berlin, Urteil vom 22. Oktober 2008 – VG 2 A 114.07 – juris). Von diesem Rechtssatz weicht das angefochtene Urteil nicht ab; es geht vielmehr ebenfalls davon aus, dass die Beeinträchtigung der Beratungen eine Prognose erfordert, inwieweit das Bekanntwerden der Informationen sich auf die Beratungen einer Behörde behindernd oder hemmend auswirkt und legt den Maßstab für diese Prognose im einzelnen dahin dar, dass umso geringere Anforderungen zu stellen seien, je größer und folgenschwerer die befürchtete Beeinträchtigung sei, was sich wiederum insbesondere nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an einem ungestörten Verlauf des in Frage stehenden behördlichen Willensbildungsprozesses beurteile (Urteilsabdruck S. 8). Dies deckt sich auch mit Rechtsausführungen in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Divergenzentscheidung zurückgewiesen worden ist und mit dem im Übrigen bestätigt worden ist, dass es einer Prognose im Einzelfall bedürfe und eine "ernsthafte konkrete Gefährdung der geschützten Belange" erforderlich sei (Beschluss vom 18. Juli 2011 – 7 B 14.11 – NVwZ 2011, 1072, juris Rn. 11). Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen dargelegt, weshalb es im konkreten Sachverhalt die "Prognose" der Beklagten nicht nachzuvollziehen kann und somit in Anwendung derselben Auslegung des Ausschlussgrundes hier zu einem anderen Ergebnis als das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Fall gelangt ist. Hiernach ist weder eine Divergenz dargelegt und erst recht kein dadurch ausgelöster grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.

2. Der Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Die Beklagte macht hierzu geltend, das Verwaltungsgericht habe die Verfügungsbefugnis über die Protokolle der Ausländer-Referenten-Besprechungen von Bund und Ländern zu Unrecht ihr zuerkannt, tatsächlich liege eine "gesamthänderische Urheberschaft" vor und seien die in den Protokollen enthaltenen Besprechungsergebnisse und Informationen allen Beteiligten zuzurechnen, da sie der Endfassung des jeweiligen Protokolls zustimmen müssten. Soweit das Protokoll Auffassungen einzelner Beteiligter wiedergebe, seien sie auch nur diesen zuzurechnen.

Mit diesem Vorbringen wird die Anwendung des Begriffs der Verfügungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG durch das Verwaltungsgericht nicht durchgreifend in Frage gestellt. Die Beklagte verkennt damit die in Rede stehende Vorschrift, die als Zuständigkeitsbestimmung ausgestaltet ist (BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 – 7 C 4.11 – NVwZ 2012, 251; juris Rn. 27), nicht als Ausschließungsgrund. Das Vorbringen der Beklagten könnte allenfalls die Frage aufwerfen, ob und inwieweit auch die Behörden der Länder nach den jeweils für sie geltenden Bestimmungen einen Informationszugang zu den zu ihren Aktenbeständen genommenen Protokollen der Bund-Länder-Besprechungen der Ausländerrechtsreferenten eröffnen müssen. Diese Frage nach der Verfügungsberechtigung dritter Behörden, die über dieselbe Information verfügen, aber anderen informationsfreiheitlichen Bestimmungen unterliegen, ist im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass insoweit eine Zuständigkeit verschiedener Behörden miteinander konkurrieren würde. Es fehlt schon deshalb an einer schlüssigen Darlegung, wonach die Verfügungsberechtigung der Beklagten über die in ihren Akten geführten, von ihr federführend und in Wahrnehmung eigener Aufgaben – wie das Verwaltungsgericht ohne Widerspruch zu den Ausführungen der Beklagten ("Unterstützung von Regierungsfunktionen") zutreffend ausgeführt hat – erstellten Protokolle beschränkt sein sollte. Das Bundesministerium des Innern besitzt nicht nur die faktische Verfügungsmöglichkeit, sondern ist maßgeblicher Urheber dieser Protokolle (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn.28). Das Ziel der Referentenbesprechungen besteht darin, der Bundesregierung die Erfahrungen und Auffassungen der für den Vollzug der ausländerrechtlichen Vorschriften im Inland zuständigen Länder zu vermitteln. Insoweit bedingt die Wahrnehmung eigener Aufgaben auf Seiten der Beklagten eine nicht vom Willen der beteiligten Länder abhängige Verfügungsbefugnis über das Ergebnis der Beratungen. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass die Zuleitung entsprechender Protokolle etwa an das Spiegelreferat des Bundeskanzleramtes vom Willen aller oder auch nur einzelner der beteiligten Bundesländer abhängen soll. Das bestätigt auch die Übereinkunft, dass die Ergebnisse der Beratungen vom beteiligten Bundesministerium schriftlich festgehalten und an die Beteiligten weitergegeben werden, mag der Inhalt auch der Billigung durch die übrigen Beteiligten unterliegen. Eine Übereinkunft weitergehenden Inhalts zwischen den Beteiligten oder ein rechtlicher Ansatz, der die Verweigerung des Informationszugangs tragen könnte, wird nicht vorgetragen. Der bloße Umstand, dass die endgültige Fassung der Protokolle mit den zuständigen Landesministerien und den beteiligten Ressorts abgestimmt wird, belegt für sich genommen nicht, dass die Verfügungsbefugnis über die in den Protokollen festgehaltenen Informationen von einem über die Billigung der Inhalte hinausgehenden Einvernehmen aller Beteiligten abhängt. [...]