OLG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.06.2014 - 5 UF 112/14 - asyl.net: M22390
https://www.asyl.net/rsdb/M22390
Leitsatz:

Das Jugendamt kann für die Betreuung eines Minderjährigen in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten von der Bestellung eines Mitvormundes absehen.

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, minderjährig, Vormundschaft, Fachkenntnisse, Qualifikation, Jugendamt, Amtsvormund, Rechtsanwalt, Asylverfahren, Beratungshilfe,
Normen: BGB § 1791b, BGB § 1775 S. 2, VO 604/2013 Art. 6 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 6,
Auszüge:

[...]

Das Amtsgericht hat nach Bestellung des Jugendamtes zum Amtsvormund gemäß § 1791 b BGB zu Recht von der Bestellung eines Mitvormundes in Person eines Rechtsanwaltes für die Betreuung des Kindes in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten abgesehen.

Nach § 1775 S. 2 BGB soll das Familiengericht im Regelfall nur einen Vormund für das Mündel bestellen. Mehrere Vormünder sollen nur dann bestellt werden, wenn besondere Gründe dies erfordern. Solche Gründe liegen nach Auffassung des Senates nicht vor.

Zwar hat das Jugendamt als Amtsvormund im hiesigen Verfahren mitgeteilt, dass bei ihm weder fachlich in dieser Hinsicht qualifizierte Mitarbeiter vorhanden seien, noch - wegen des großen Arbeitsaufwandes, den die Führung einer Amtsvormundschaft erfordere, sowie der gleichzeitigen Führung einer Vielzahl von Amtsvormundschaften - die notwendige Zeit zur Vertretung und Einarbeitung in die asyl- und ausländerrechtliche Problematik aufgebracht werden könne.

Dies rechtfertigt jedoch die Bestellung eines Mitvormundes nicht. Das Fehlen zeitlicher Ressourcen ist durch behördeninterne Personalausstattung zu lösen und kann kein besonderer Grund für die Bestellung eines Mitvormundes im Sinne des § 1775 S. 2 BGB sein.

Auch der Umstand, dass das Jugendamt der Auffassung ist, den Amtsvormündern fehle für bestimmte Aufgaben die (juristische) Sachkunde, ist nicht geeignet, die Bestellung mehrerer Vormünder zu rechtfertigen (Senat vom 02.12.2013 FamRZ 2014, 673). Bei der Vielfältigkeit der Aufgabenstellung im Bereich der Personen- und Vermögenssorge könnte ansonsten die Bestellung mehrerer Vormünder zum Regelfall werden. Schon aufgrund der gesetzlichen Konstruktion - das Jugendamt kann sich grundsätzlich gegen die Bestellung zum Vormund nicht wehren (vgl. Palandt § 1791b Rdnr. 1 BGB) - ist davon auszugehen, dass das Jugendamt zur Führung der Vormundschaft ggf. unter Einschaltung geeigneter Hilfspersonen geeignet ist. Im Übrigen gehört es zu den Pflichten der Jugendämter, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter mit der Ausübung der Amtsvormundschaft zu betrauen bzw. den Mitarbeitern die notwendige Qualifikation für die Erfüllung der Aufgaben zu vermitteln. Die mit diesen Tätigkeiten betrauten Personen haben die Amtspflicht, sich die einschlägigen Kenntnisse durch die Wahrnehmung spezieller Fortbildungsveranstaltungen, wie sie beispielsweise durch das DIJuF für Jugendamtsmitarbeiter angeboten werden (vgl. "Das Jugendamt", Heft 4, 2014, Klappentext, Rückseite), anzueignen.

Gleiches gilt für den von der Verfahrensbeiständin erneut vorgetragenen Hinweis des Jugendamtes auf die angespannte Finanzlage der Stadt O1. Die Entlastung der kommunalen Haushalte ist - worauf das Amtsgericht zutreffend hinweist - kein besonderer Grund für die Anordnung einer Mitvormundschaft.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin rechtfertigt auch die seit 01.01.2014 geltende europarechtliche Verordnungslage die Anordnung einer Mitvormundschaft nicht.

Zwar regelt die seit dem 01.01.2014 in Kraft getreten Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin-III-VO) in Art. 6, dass von den Mitgliedstaaten dafür zu sorgen ist, dass ein unbegleiteter Minderjähriger in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind (d.h. in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren), von einem Vertreter vertreten und/oder unterstützt wird. Der Vertreter hat danach über die entsprechenden Qualifikationen und Fachkenntnisse zu verfügen, um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird.

Auch die Richtlinien 2013/32/EU (Verfahrens-Richtlinie) und 2013/33/EU (Aufnahme-Richtlinie) des Europäischen Parlamentes und Rates, deren Umsetzungsfristen erst am 20.07.2015 ablaufen, sehen vor, dass Minderjährigen ein Vertreter zu bestellen ist, der seine Aufgaben im Interesse des Kindeswohles wahrnimmt, und bei der Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens soll ein Vertreter und/oder ein Rechtsanwalt für den Minderjährigen anwesend sein. (Art. 23, 24, 25 Aufnahme-Richtlinie).

Aus dieser europarechtlichen Verordnungslage lässt sich jedoch nicht ersehen, dass dem unbegleiteten Minderjährigen durch die Gerichte ein rechtskundiger Vertreter/Rechtsanwalt zur Seite zu stellen ist. Zum einen gehen die Richtlinien ausdrücklich nicht davon aus, dass es sich bei dem Vertreter um einen Rechtsanwalt handeln muss. Es wäre insoweit ausreichend, wenn der Minderjährige einen Vertreter zur Seite gestellt bekommt, der entsprechend fachkundig und in der Lage ist, ihn zu unterstützen. Dies könnte - bei entsprechender Sachkunde - der Amtsvormund selbst, ein besonders geschulter Mitarbeiter des Jugendamtes oder eine sonstige Person sein, die von den zuständigen Behörden zu diesem Zweck geschult und zur Verfügung gestellt wird.

Zum anderen ist es nicht notwendig, dass die Familiengerichte eine qualifizierte Vertretung der Minderjährigen sicherstellen. Die EU-Richtlinien und Verordnungen legen diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland auf, die entsprechende Vorsorge zu tragen hat. In welcher Form dies konkret umgesetzt wird, ist nicht von den Gerichten, sondern durch den Gesetzgeber und nachfolgend die Exekutive zu bestimmen.

Nicht gefolgt werden kann der Meinung des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt, der entgegen der vom Bundesgerichtshof im Anschluss an seine Entscheidung vom 29.05.2013 (FamRZ 2013, 1206) mit Blick auf die neuen europarechtlichen Bestimmungen geäußerten Auffassung (BGH FamRZ 2014, 472f; nochmals bestätigt FamRZ 2014, 640) in seinen Entscheidungen vom 28.01.2014 (JAmt 2014, 166 ff) und 19.02.2014 (FamRZ 2014, 182) die Meinung vertritt, Art. 6 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung könne mangels Sachkunde der Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes nur dadurch Rechnung getragen werden, dass den Minderjährigen von den Gerichten ein Vertreter bestellt wird, der dafür Sorge trägt, dass der unbegleitete Minderjährige in allen Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Durchführung eines Asylverfahrens von einem Vertreter vertreten und/oder unterstützt wird (in diesem Sinne auch Bienwald, FamRZ 2013, 1209). Dieser Vertreter müsse selbst über eine entsprechende Qualifikation und Fachkenntnisse verfügen, "um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird". Mit dieser insoweit über die UN-Charta hinausgehenden Regelung sei aus guten Gründen klargestellt, dass der Vertreter des Minderjährigen selbst über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen müsse und nicht mehr nur ein Vertreter ohne diese Kenntnisse bestellt werden dürfe, von dessen Entscheidung es dann für den Jugendlichen im jeweiligen Einzelfall erst abhängen würde, ob er einen geeigneten Vertreter für bestimmte Rechtshandlungen oder Verfahren in einer für ihn existentiell wichtigen Situation im fremden Land bestellt bekommt oder nicht. Nach dem Geist und der Intention der Dublin-III-Verordnung könne es aber gerade nicht von der Einschätzung eines nach eigenem Bekunden in ausländerrechtlichen Fragen nicht ausreichend fachkundigen Vormunds abhängen, ob er im Einzelfall eine rechtliche Beratung oder Vertretung seines Mündels überhaupt für erforderlich halte und gegebenenfalls mit einer - nach der bis zur Amtsübernahme sowieso schon eintretenden Verzögerung - noch weiter einhergehenden zeitlichen Verzögerung dafür sorge. Da die Amtsvormünder des betroffenen Jugendamtes nach eigenem Bekunden derzeit noch keine entsprechende fachliche Qualifikation aufwiesen, seien sie allein nicht als "geeignet" zur Führung der Vormundschaft im Bereich der asyl- und ausländerrechtlichen Vertretung anzusehen, so dass insoweit ein Mitvormund mit entsprechendem Wirkungskreis zu bestellen sei (OLG Frankfurt 6. Senat f. Familiensachen aaO.).

Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung des 6. Senats für Familiensachen ergibt sich weder aus dem Text noch dem Geist der "Dublin-III-Verordnung", dass der vom Familiengericht bestellte Vertreter/Vormund unmittelbar selbst über die in Art. 6 geforderten Kenntnisse verfügen muss. Ziel der Verordnung ist, dem Minderjährigen eine sachkundige Unterstützung/Vertretung in seinen asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten zu sichern. Den Anforderungen der Dublin-III-Verordnung ist nach Auffassung des Senats dadurch Rechnung zu tragen, dass der (Amts-) Vormund - solange er selbst der Überzeugung ist, über keine ausreichende Fachkunde zu verfügen - verpflichtet ist, durch Beauftragung eines spezialisierten Rechtsanwaltes für eine entsprechende Vertretung Sorge zu tragen. Die niedrigen Vergütungssätze der Beratungshilfe können hierbei keinen Hinderungsgrund darstellen. § 49a BRAO sieht eine grundsätzliche berufsrechtliche Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Leistung von Beratungshilfe vor (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2014, 673 f); der unentgeltliche Zugang der betroffenen Kinder zu einem Rechtsbeistand ist durch das geltende System der Verfahrenskosten- und Beratungshilfe gewährleistet (BGH FamRZ 2013, 1206). Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Amtsvormünder ihrer insoweit bestehenden Verpflichtung nachkommen, denn es ist aus den hiesigen Verfahren ihr Bemühen um eine fachkundige Begleitung/Unterstützung der minderjährigen Flüchtlinge bekannt, die nach der geltenden europarechtlichen Verordnungslage nicht dann enden darf, wenn das Familiengericht die Anordnung einer Mitvormundschaft ablehnt. [...]