OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.09.2014 - 4 ME 201/14 - asyl.net: M22418
https://www.asyl.net/rsdb/M22418
Leitsatz:

Der Nachweis einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache als Voraussetzung für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu einem deutschen Ehepartner kann im Einzelfall gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen, wenn zumutbare Bemühungen des Ausländers zum Erlernen der Sprache ein Jahr lang erfolglos geblieben sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. 09. 2012 - 10 C 12.12 -, BVerwGE 144, 141). Zeiten, in denen sich der Ausländer während eines Aufenthalts bei seinem deutschen Ehepartner im Bundesgebiet um den Erwerb der Sprachkenntnisse bemüht hat, sind auf diesen Jahreszeitraum nicht anzurechnen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Deutschkenntnisse, Spracherfordernis, Ehegattennachzug, deutscher Ehegatte, Visumsverfahren, Nachholung des Visumsverfahrens, Vietnam,
Normen: GG Art. 6 Abs. 1, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin meint, ihr könne im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK eine Nachholung des Visumverfahrens nicht zugemutet werden, denn bei einer Ausreise nach Vietnam bestehe die konkrete Gefahr, dass sie dauerhaft getrennt von ihrem deutschen Ehemann werde leben müssen, der bereits 69 Jahre alt sei und dem es auch aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei, seiner Ehefrau nach Vietnam zu folgen. Eine Nachholung des Visumverfahrens von Vietnam aus werde voraussichtlich deshalb zu einer dauerhaften Trennung der Eheleute führen, weil es ihr bereits während ihres Aufenthaltes in Deutschland trotz ihrer bisherigen Bemühungen nicht gelungen sei, sich die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache zu verschaffen. In Vietnam werde ihr dies, auch aufgrund ihres Lebensalters von 64 Jahren, in dem das Erlernen einer neuen Sprache ohnehin mit Schwierigkeiten verbunden sei, mit großer Wahrscheinlichkeit erst recht nicht gelingen. Aus diesem Vorbringen ergibt sich nicht, dass das Ermessen, das § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG der Antragsgegnerin für ein Absehen von der Nachholung des Visumverfahrens einräumt, auf Null reduziert ist.

Mit Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den ausländischen Ehepartner eines Deutschen auf die Nachholung eines erforderlichen Visumverfahrens und damit auf eine zeitweilige Trennung zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, BVerfGK 13, 26). Es ist unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe auch grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass ein Ausländer, der zu seinem deutschen Ehepartner in das Bundesgebiet nachziehen will, bereits im Visumverfahren gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 5 und § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nachweisen muss, dass er sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.3.2011 - 2 BvR 1413/10 -, NVwZ 2011, 870; BVerwG, Urt. v. 4.9.2012 - 10 C 12.12 -, BVerwGE 144, 141). Das Spracherfordernis als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren kann lediglich in Ausnahmefällen gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen, wenn es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder zumutbar ist, die deutsche Sprache innerhalb angemessener Zeit zu erlernen. Sind zumutbare Bemühungen des Ausländers zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben, darf ihm im Visumverfahren das Spracherfordernis nicht mehr entgegengehalten werden. Dasselbe gilt, wenn dem ausländischen Ehepartner Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind, etwa weil Sprachkurse in dem betreffenden Land nicht angeboten werden oder deren Besuch mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist und auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb nicht bestehen; in diesem Fall braucht die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden (vgl. BVerwG, a.a.O, Rn. 28).

Hieran gemessen ergibt sich aus den Darlegungen der Antragstellerin nicht, dass für sie eine Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens und insbesondere zur Aneignung der für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug erforderlichen Deutschkenntnisse unzumutbar ist. Das Verwaltungsgericht hat bereits in dem rechtskräftigen Beschluss vom 28. Mai 2013 festgestellt, dass in Vietnam mehrere Stellen an verschiedenen Orten die für den Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse im Sinne von § 2 Abs. 9 AufenthG erforderliche Prüfung abnehmen und in der Regel auch prüfungsvorbereitende Sprachkurse anbieten. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegen getreten. Sie hat im Beschwerdeverfahren auch nicht vorgetragen, dass ihr der Besuch der Sprachkurse in Vietnam aus wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht möglich sein wird. Ihr auf ärztliche Atteste gestütztes erstinstanzliches Vorbringen, wonach sie aufgrund einer Augenerkrankung und von Kopfschmerzen derzeit daran gehindert sei, an Sprachkursen teilzunehmen, hat sie im Beschwerdeverfahren nicht wiederholt. Offenkundig ist sie zwischenzeitlich gesundheitlich auch nicht mehr daran gehindert, an Sprachkursen teilzunehmen, da sie gemäß ihrem Vortrag im Beschwerdeverfahren seit Januar 2014 zweimal wöchentlich an einem Alphabetisierungskurs teilnimmt. Zudem dürfte die in den von ihr vorgelegten ärztlichen Attesten für November 2013 angekündigte Augenoperation zur Wiederherstellung einer ausreichenden Seh- und Lesefähigkeit zwischenzeitlich auch stattgefunden haben. Der Antragstellerin mag es zwar aufgrund ihres Lebensalters und ihres geringen Bildungsstandes schwerfallen, die aufenthaltsrechtlich erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse einfacher Art zu erlernen, wie auch ihre bisherigen vergeblichen Bemühungen zeigen. Hieraus allein folgt jedoch noch nicht, dass der Erwerb der Sprachkenntnisse in Vietnam binnen eines Jahres absehbar ausgeschlossen ist, zumal die Antragstellerin dabei zumindest auf ihre in Deutschland bereits seit geraumer Zeit erfolgten Bemühungen wird aufbauen können. Im Übrigen weist der Senat zur Klarstellung darauf hin, dass die Zeiten, in denen sich die Antragstellerin während ihres Aufenthalts in Deutschland durch den Besuch von verschiedenen Sprachkursen um das Erlernen der erforderlichen Deutschkenntnisse bemüht hat, nicht auf den Zeitraum von einem Jahr anzurechnen sind, über den sich die Antragstellerin in ihrem Heimatland weiterhin um die Aneignung einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache wird bemühen müssen. Die Zumutbarkeitsgrenze von einem Jahr bezieht sich nicht darauf, über welchen Zeitraum sich der Ausländer zu bemühen hat, die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben, sondern darauf, über welchen Zeitraum ihm und seinem deutschen Ehegatten eine räumliche Trennung zum Zwecke des Spracherwerbs zugemutet werden kann.

Im Hinblick darauf, dass von dem Visumverfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung nur ausnahmsweise abgewichen werden soll und auch aus generalpräventiven Gründen eine restriktive Handhabung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gerechtfertigt ist, um dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegen zu wirken, man könne durch die Einreise mit einem Schengen-Visum, das nicht für einen langfristigen Aufenthaltszweck erteilt worden ist, vollendete Tatsachen schaffen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 12.11.2013 - 13 ME 190/13 -; Beschl. v. 27.7.2009 - 11 ME 171/09 -), wäre das von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen darüber hinaus selbst dann nicht zugunsten der Antragstellerin auf Null reduziert, wenn es von vornherein als ausgeschlossen anzusehen wäre, dass sie sich bei einer Rückkehr nach Vietnam dort innerhalb eines Jahres die für eine Visumerteilung erforderlichen Deutschkenntnisse wird aneignen können. Die Nachholung des Visumverfahrens würde nämlich auch dann nicht die von der Antragstellerin befürchtete Folge haben, dass ihr aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse die Erteilung eines nationalen Visums und somit die langfristige Rückkehr in das Bundesgebiet dauerhaft verwehrt werden würde. In diesem Fall wären die mit dem Visumantrag befassten deutschen Stellen rechtlich gehindert, die Erteilung des Visums aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse der Antragstellerin abzulehnen. Sollte die Ablehnung des Visumantrags gleichwohl hierauf gestützt werden, wäre es der Antragstellerin zumutbar, von Vietnam aus dagegen zu klagen und zur Vermeidung einer unzumutbar langen Trennung von ihrem deutschen Ehegatten gegebenenfalls auch einen parallelen Antrag nach § 123 VwGO zu stellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.7.2013 - 1 C 15.12 -, BVerwGE 147, 278, Rn. 25). Entsprechendes gilt für den Fall, dass es der Antragstellerin nach einer Ausreise nach Vietnam trotz zumutbarer Bemühungen nicht gelingen sollte, sich innerhalb eines Jahres die aufenthaltsrechtlich erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache anzueignen. [...]