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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 09.10.2014 - V ZB 57/14 (= ASYLMAGAZIN 3/2015, S. 99) - asyl.net: M22453
https://www.asyl.net/rsdb/M22453
Leitsatz:

Das Fehlen von Vollzugsvorschriften führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung des Transitaufenthalts nach § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG.

Der richterlich angeordnete Aufenthalt eines Ausländers im Transitbereich eines Flughafens oder einer Unterkunft gem. § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG ist nicht zwangsläufig mit Eingriffen auch in andere Grundrechte als in das Freiheitsgrundrecht - etwa durch Briefkontrolle, eingeschränkte Möglichkeit zum Telefonieren, Anstaltskleidung - verbunden. Das ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Zweckbestimmungen von Strafhaft einerseits und der Freiheitsentziehung nach dem Aufenthaltsgesetz andererseits.

Schlagwörter: Aufenthaltsanordnung, Transitaufenthalt, Abschiebungshaft, Abschiebungsgefangene, Abschiebungshäftling, Freiheitsentziehung, Flughafenverfahren, Rechtsweggarantie, Einreiseverweigerung, Zurückweisung, Grundrechte, Rechtswidrigkeit,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2, AufenthG § 15 Abs. 6, AufenthG § 15,
Auszüge:

[...]

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt das Fehlen von Vollzugsvorschriften nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung des Transitaufenthalts nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG.

Der Hinweis der Rechtsbeschwerde, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 33, 1) auch die Grundrechte von Strafgefangenen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können und es daher eines Strafvollzugsgesetzes mit fest umrissenen Eingriffstatbeständen bedarf, ist zwar zutreffend. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass eine Anordnung des Transitaufenthalts nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG mangels Bestehens eines Vollzugsgesetzes rechtswidrig ist. Vielmehr folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur, dass auch die Grundrechte von Abschiebungsgefangenen nicht beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden können, sondern eine Einschränkung nur dann in Betracht kommt, wenn sie zur Erreichung eines von der Werteordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerlässlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen, also nur durch Gesetz der aufgrund eines Gesetzes, geschieht (vgl. BVerfGE 33, 1, 11).

Anders als die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist der gemäß § 15 Abs. 6 Satz AufenthG angeordnete Aufenthalt eines Ausländers im Transitbereich eines Flughafens oder einer Unterkunft nicht zwangsläufig mit Eingriffen auch in andere Grundrechte als in das Freiheitsgrundrecht - etwa durch Briefkontrolle, eingeschränkte Möglichkeit zum Telefonieren, Anstaltskleidung - verbunden. Das ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Zweckbestimmung von Strafhaft einerseits und der Freiheitsentziehung nach dem Aufenthaltsgesetz andererseits. Die Anordnung des Transitaufenthalts eines Ausländers ergeht ausschließlich zur Sicherung seiner Abreise (§ 15 Abs. 6 Satz 3 AufenthG); sie dient nicht als zusätzliche Sanktion für die illegale Einreise (Rittstieg, NJW 1996, 545, 551). Daher folgt aus dem Fehlen von Vollzugsvorschriften für den richterlich angeordneten Transitaufenthalt nur, dass über die Freiheitsentziehung und die mit ihr zwangsläufig verbundenen Einschränkungen der allgemeinen Lebensführung hinausgehende Grundrechtseingriffe unzulässig sind (vgl. MünchKomm-FamFG/Wendtland, 2. Aufl., § 422 Rn. 7, 9).

Kommt es im Einzelfall während des Vollzugs der Anordnung des Transitaufenthalts zu einem rechtswidrigen Grundrechtseingriff, berührt dies die Rechtmäßigkeit der richterlichen Aufenthaltsanordnung nicht. Vielmehr muss sich der Betroffene gegen die konkrete Einzelmaßnahme wenden. Hierfür steht ihm der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit offen (MünchKomm-FamFG/Wendtland, 2. Aufl., § 422 Rn. 7, 9; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 422 Rn. 10).