VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 16.10.2014 - 1 K 1201/14.A - asyl.net: M22546
https://www.asyl.net/rsdb/M22546
Leitsatz:

Der albanische Staat setzt Homosexuelle, Transvestiten oder transsexuelle Personen keinen Diskriminierungen aus, sondern ist zu angemessenem Schutz vor privaten Angreifern bereit. Die Diskriminierung durch die albanische Gesellschaft erreicht nicht das asylrelevante Niveau.

Schlagwörter: Albanien, homosexuell, Gruppenverfolgung, Homosexualität, Diskriminierung, Schutzbereitschaft, Asylrelevanz, nichtstaatliche Verfolgung, soziale Gruppe,
Normen: AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger seine Heimat nicht aufgrund individueller politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG und § 3 Abs. 1 AsylVfG verlassen. [...]

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, § 3 Abs. 1 AsylVfG geltend machen.

Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (früher § 60 Abs. 1 Satz 4c) AufenthG) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. August 2010 - A 2 S 1134/10 -, juris; BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).

Nach diesen Maßstäben unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung auf Grund seiner Homosexualität.

Zwar ist in der albanischen Gesellschaft die Akzeptanz von Homosexuellen, Transvestiten oder transsexuellen Personen sehr gering. Der albanische Staat setzt Homosexuelle, Transvestiten oder transsexuelle Personen jedoch keinen Diskriminierungen aus. Einzelfällen von Übergriffen sind dem Büro des Ombudsmannes, den die Bürger bei Menschenrechtsverletzungen anrufen können, nicht bekannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage der Republik Albanien (Stand: Oktober 2013) vom 16. Dezember 2013).

Nachdem noch im Jahr 2012 der Verteidigungsminister Albaniens geäußert hatte, dass die Organisatoren einer geplanten LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) Parade geschlagen werden sollten, traf sich im April 2013 der damalige Premierminister Albaniens Sali Berisha öffentlich mit LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) Aktivisten und bekräftigte seine Unterstützung für ihre Rechte und Einbeziehung in die Gesellschaft. Einen Monat später bekundete auch der damalige Oppositionsführer und heutige Premierminister Albaniens Edi Rama seine Unterstützung (vgl. US Department of State, Albania 2013, Human Rights Report, S. 23; Vereinigtes Königreich, Operational Guidance Note Albania vom 12. Dezember 2013, S. 30).

Die ILGA-Europe (International lesbian, gay, bisexual, trans and intersex association) berichtete der EU-Kommission für den Zeitraum Oktober 2012 bis April 2013, dass in Albanien Homo- und Transphobie weiter verbreitet blieben, gleichzeitig aber Fortschritte bei der Anerkennung und des Schutzes von Homosexuellen bestehen würden (vgl. ILGA-Europe's written submission to the European Commission's 2013 Progress Report an Albania vom 17. Mai 2013).

Es existieren auch mehrere Organisationen (Aleanca LGBT, Pink Embassy, Pro LGBT) in Albanien, die sich für die Rechte von Homosexuellen und die Erhöhung deren gesellschaftlicher Akzeptanz einsetzen. Die Pink Embassy hat im Mai 2014 die erste "LGBT-Pride" in Albanien durchgeführt, einem Umzug in Tirana, der von Journalisten und Polizisten begleitet wurde (vgl. Pink Embassy, 1st ever LGBT Pride held in Albania, www.pinkembassy.al).

Homosexuelle sind demnach in Albanien von staatlicher Seite aus keiner Verfolgung ausgesetzt. Der albanische Staat ist zudem zu angemessenen Schutz vor privaten Angreifern bereit, wie exemplarisch der Schutz der LGBT-Parade zeigt. Die noch vorhandenen Diskriminierungen Homosexueller in der albanischen Gesellschaft erreichen nicht das asyl- und flüchtlingsrelevante Niveau. [...]