OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.11.2014 - 2 B 13.12 (= ASYLMAGAZIN 5/2015, S. 163 ff.) - asyl.net: M22763
https://www.asyl.net/rsdb/M22763
Leitsatz:

Für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines im Ausland lebenden minderjährigen Kindes ist es gerechtfertigt, sich an der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums zu § 33a EStG zu orientieren.

Schlagwörter: Kindernachzug, Visum, nationales Visum, Familienzusammenführung, Unterhaltspflicht, im Ausland lebende Kinder, Kinder, Unterhaltsanspruch,
Normen: AufenthG § 32 Abs. 1, AufenthG § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1,
Auszüge:

[...]

II. Die Klägerin erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG in der geltenden Fassung für die Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.

Die Klägerin hatte bei Beantragung des Visums im Dezember 2008 das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet (vgl. § 32 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 AufenthG). Ihre Mutter verfügte sowohl bei Vollendung des 16. Lebensjahres am ... Juli 2009 als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht über einen gemäß § 32 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel. Unter dem 6. März 2009 wurde ihr eine bis zum 27. April 2012 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt, auch gegenwärtig besitzt sie eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Seit dem Tod des Vaters der Klägerin im Jahr 1997 war ihre Mutter für sie allein personensorgeberechtigt.

III. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§§ 5, 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) sind ebenfalls erfüllt.

1. Bei Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerin im Juli 2009 und auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht war der Lebensunterhalt der Klägerin im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert. Das ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB II - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 -, juris Rn. 25f. m.w.N.).

a) Die im Juli 2009 gültigen monatlichen Regelleistungen nach dem SGB II betrugen für die Mutter der Klägerin und ihren Ehemann gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB II in der Fassung vom 10. Oktober 2007 in Verbindung mit der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2009 (BGBl I S. 1342) jeweils 323,00 Euro. Hinzu kommen die Regelleistungen für die Klägerin (Altersstufe ab Vollendung des 15. Lebensjahres) gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 (Fassung vom 10. Oktober 2007), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II (Fassung vom 23. Dezember 2007) in Höhe von 287,00 Euro, der Gesamtbedarf beträgt damit 933,00 Euro. Dieser Bedarf erhöht sich um die Kosten der Unterkunft (620,00 Euro) auf 1.553,00 Euro. Kosten für einen Krankenversicherungsschutz der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen, weil sie gemäß § 10 Abs. 1 und 2 Nr. 1 SGB V in der Fassung vom 10. Dezember 2008 mit der Verlegung ihres Wohnsitzes nach Deutschland in der Krankenversicherung ihrer Mutter familienversichert gewesen wäre.

Diesem Bedarf ist (lediglich) das Einkommen der Mutter der Klägerin aus der seit ... Juli 2008 bei der P. GmbH ausgeübten Beschäftigung gegenüberzustellen. Das aus ihrer Nebentätigkeit als Haushaltshilfe bei Familie H. erzielte Einkommen muss schon deshalb außer Ansatz bleiben, weil dieses Beschäftigungsverhältnis erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerin begründet wurde, nämlich zum 14. August 2009. Ebenso wenig sind die Einkünfte des Stiefvaters der Klägerin aus dessen geringfügigen Beschäftigungen bei dem M. Dienst sowie bei dem T. Werbeverlag zu berücksichtigen. Denn ungeachtet der erheblichen Schwankungen und der nur geringen Höhe der erzielten Einkünfte fehlte es damals jedenfalls an der erforderlichen Verlässlichkeit des Mittelzuflusses, weil der Stiefvater diesen Beschäftigungen nach vorheriger längerer Erwerbslosigkeit - und Bezug von Leistungen nach dem SGB II - erst seit Mitte April 2009 nachging. Zudem galt für die Tätigkeit bei dem T. Werbeverlag eine sechsmonatige Probezeit, die andere Tätigkeit wurde freiberuflich ausgeübt.

Für die Prognose eines nachhaltigen Einkommens werden die von der Mutter der Klägerin aus ihrer Beschäftigung bei der P. GmbH erzielten Einkünfte im Zeitraum August 2008 bis einschließlich Juli 2009 herangezogen. Nach den vorgelegten Gehaltsabrechnungen erhielt sie in diesem Zeitraum - nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen - einen Nettoverdienst von insgesamt 18.268,11 Euro bzw. durchschnittlich 1.522,34 Euro monatlich. Hiervon ist der auf den Gehaltsabrechnungen vom Nettoverdienst jeweils in Abzug gebrachte Fahrtkostenzuschuss ("Rückzahlung VVS Fahrkarte") in Höhe von 42,08 Euro (bzw. im Juli 2009: 42,12 Euro) abzuziehen, so dass ein zu berücksichtigendes Einkommen von durchschnittlich 1.480,26 Euro verbleibt. Bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind zwar grundsätzlich die Werbungskostenpauschale von 100,00 Euro und der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB II in der Fassung vom 5. Dezember 2006 - a.F. - in Verbindung mit § 30 SGB II in der Fassung vom 14. August 2005 - a.F. - abzusetzen. Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) - und damit auch im vorliegenden Fall - darf allerdings der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers angerechnet werden. Hinsichtlich der in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. pauschaliert erfassten Werbungskosten verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Familienzusammenführungsrichtlinie, dass der Ausländer einen geringeren Bedarf als die gesetzlich veranschlagten 100,00 Euro nachweisen kann (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 -, juris Rn. 31f. m.w.N.). Dies ist hier geschehen. Die Klägerin hat belegt, dass ihre Mutter neben den Fahrtkosten in Höhe von 42,08 Euro monatlich keine weiteren Ausgaben im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit hatte. Da dieser Betrag bereits einkommensmindernd berücksichtigt ist, bleibt es bei dem ermittelten Einkommen von 1.480,26 Euro.

Von diesem Einkommen sind allerdings die gesetzlichen Unterhaltspflichten der Mutter gegenüber dem damals noch minderjährigen Sohn - und zwar unabhängig von einer Titulierung - in Abzug zu bringen (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 -, juris Rn. 27, und vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, juris Rn. 33). Dabei kommt zwar bei im Ausland lebenden Kindern der Höhe des ihnen tatsächlich gezahlten Unterhalts regelmäßig eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, juris Rn. 36). Jedoch dürfen sich etwaige überobligatorische Leistungen des Unterhaltsverpflichteten nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers auswirken. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 - (juris Rn. 27) ausgeführt, Unterhaltspflichten könnten nur in der Höhe in Abzug gebracht werden, in der eine Titulierung auch rechtlich möglich wäre.

Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB in der zum hier maßgeblichen Stichtag (Juli 2009) geltenden Fassung beurteilen sich die Unterhaltspflichten der Mutter der Klägerin nach philippinischem Unterhaltsrecht (vgl. hierzu Art. 15 der Verfassung, Art. 174 Abs. 2, Art. 194 bis 208 Family Code of the Philippines). Die Höhe der Unterhaltsleistung bestimmt sich nach Art. 194, 200ff. Family Code of the Philippines, Art. 65 Code of Muslim Personal Laws (abgedruckt in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: September 2014, Philippinen, S. 39f., 55) nach dem Einkommen des Verpflichteten und nach den Bedürfnissen des Berechtigten. Soweit ersichtlich, gibt es für die Philippinen keine einen Regel- oder Mindestbedarf abbildende Tabellen. Bei solchen Konstellationen werden regelmäßig - auch bei Auslandsaufenthalt und Anwendung eines fremden Unterhaltsstatuts - die Düsseldorfer Tabelle oder unterhaltsrechtliche Leitlinien der deutschen Oberlandesgerichte für die Bedarfsberechnung herangezogen. Es ist jedoch eine Anpassung an andere Kaufkraftverhältnisse im jeweiligen Staat nötig; zudem ist der Unterhaltsbedarf für ein auf den Philippinen lebendes minderjähriges Kind unter besonderer Berücksichtigung der dortigen Lebensverhältnisse zu beurteilen. Der Senat orientiert sich insoweit entsprechend der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte in Familiensachen (vgl. etwa BbgOLG, Urteil vom 13. September 2012 - 9 UF 220.11 -, juris Rn. 9; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2007 - 7 WF 798.07 -, Rn. 13 - jeweils m.w.N.) an der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums zu § 33a EStG in der Fassung des hier maßgeblichen Zeitpunktes im Juli 2009 (Schreiben vom 9. September 2008, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de). Dies bietet eine den praktischen Bedürfnissen gerecht werdende einfache Handhabung. Die hiermit verbundene Pauschalierung ist nach Auffassung des Senats im Interesse größerer Praktikabilität, Rechtssicherheit, Gleichbehandlung sowie zur Vermeidung einer kostenintensiven Beweiserhebung hinzunehmen. Nach dieser Methode sind für den Bedarf des auf den Philippinen lebenden Bruders der Klägerin die Sätze der Düsseldorfer Tabelle (nur) mit 1/4 in Ansatz zu bringen, weil die Philippinen durchgängig seit 2004 der Ländergruppe 4 zugeordnet sind.

Der im August 1992 geborene Bruder der Klägerin war im Juli 2009 in die Altersstufe 3 (12 bis 17 Jahre) der Düsseldorfer Tabelle einzustufen. Unter Zugrundelegung der Einkommensgruppe 1 (Nettoeinkommen bis 1.500,00 Euro) ergibt sich ein Tabellenwert von 377,00 Euro. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf wegen gesundheitlicher Einschränkungen bestehen nicht; der Bruder der Klägerin wurde im Familienverbund betreut und versorgt. Da auch nach philippinischem Recht bei der Bemessung des Unterhalts nicht nur die Bedürftigkeit des Kindes, sondern auch - wie im deutschen Recht - die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten einschließlich der Zahl der ihm gegenüber (gleichrangigen) Unterhaltsberechtigten (vgl. Art. 200ff. Family Code of the Philippines) von ausschlaggebender Bedeutung ist, hält der Senat es für sachgerecht, entsprechend der Anmerkungen zur Düsseldorfer Tabelle auch einen der Mutter zustehenden notwendigen Eigenbedarf bzw. Selbstbehalt in Höhe von 900,00 Euro (vgl. Ziffer 5 der Anmerkungen) sowie ihre weitere Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Klägerin zu berücksichtigen. Hiernach ist das nach Abzug des notwendigen Eigenbedarfs der Mutter verbleibende Einkommen in Höhe von (abgerundet 1.480,00 Euro - 900,00 Euro =) 580,00 Euro auf die beiden unterhaltsberechtigten Kinder im Verhältnis ihrer jeweiligen Einsatzbeträge zu verteilen (zur Berechnung siehe Anmerkungen C. zur Düsseldorfer Tabelle). Wegen derselben Altersstufe bei der Klägerin und ihres Bruders erfolgt die Verteilung hier zu gleichen Teilen. Unter Heranziehung der Ländergruppeneinteilung führt dies zu einem anzurechnenden Unterhaltsbetrag für den Bruder der Klägerin von (gerundet) 73,00 Euro (1/4 von 290,00 Euro). Nach Abzug dieses Betrages von den monatlichen Nettoeinkünften der Mutter in Höhe von durchschnittlich 1.480,26 Euro verbleibt ein Einkommen in Höhe von 1.407,26 Euro, das sich um das Kindergeld für die Klägerin in Höhe von 164,00 Euro (ab Januar 2009) auf 1.571,26 Euro erhöht und damit ausreicht, um den Unterhaltsbedarf von 1.553,00 Euro im Juli 2009 zu decken.

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen wird die Belastbarkeit dieser positiven Prognose nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Stiefvater der Klägerin einräumt, mehrere Altschulden aus der Zeit vor der Ehe mit der Mutter der Klägerin zu haben. Denn die Sicherung des Lebensunterhalts wird im Juli 2009 ausschließlich durch die Einkünfte der Mutter der Klägerin gewährleistet. Diese hat aber nicht für die Schulden ihres Ehemannes einzustehen; für die vor und während der Ehe entstandenen Verbindlichkeiten haftet jeder Ehegatte mit seinem eigenen Vermögen allein (vgl. Bamberger/Roth/Mayer, BGB, 3. Auflage 2012, § 1363 Rn. 11; Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Auflage 2014, vor § 1363 Rn. 2; § 1363 Rn. 3).

b) Der Lebensunterhalt der Klägerin ist auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gesichert.

Die Regelleistungen für das Jahr 2014 (§ 20 Abs. 5 SGB II in der aktuellen Fassung in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 16. Oktober 2013, BGBl I S. 3875) betragen jeweils 353,00 Euro für die Mutter der Klägerin und ihren Ehemann zuzüglich 313,00 Euro für die inzwischen volljährige Klägerin, insgesamt 1.019,00 Euro. Kosten für eine Krankenversicherung der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen, weil sie nach § 10 Abs. 1 und 2 Nr. 2 (oder Nr. 3) SGB V in der aktuellen Fassung mit ihrem Umzug nach Deutschland familienversichert ist. Unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten, die nunmehr 688,82 Euro betragen, ergibt sich ein Gesamtbedarf von 1.707,82 Euro, der durch das der Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen gesichert ist.

Bei der Ermittlung der zur Verfügung stehenden Mittel geht der Senat zunächst von dem Einkommen der Mutter der Klägerin aus ihrem aktuellen Arbeitsverhältnis mit der L. GmbH aus, auch wenn sie dieses erst am ... November 2014 aufgenommen hat und eine sechsmonatige Probezeit vereinbart ist. Denn die verlangte Existenzsicherung eines Ausländers kann nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung der jeweils aktuellen Beschäftigungssituation beurteilt werden. Sie setzt vielmehr eine Abschätzung auch aufgrund rückschauender Betrachtung voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Ausländer den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufbringen kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 6. Juli 2011 - 3 S 43.11 -, Bl. 2 BA, und vom 28. April 2006 - 11 N 9.06 -, juris Rn. 11). Zwar ist eine solche Prognose aufgrund der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation mit Unwägbarkeiten belastet, gleichwohl rechtfertigt die bisherige Erwerbsbiographie der Mutter der Klägerin die begründete Annahme stabiler Einkommensverhältnisse für die Zukunft. Denn sie ist - trotz wiederholt wechselnder Arbeitsverhältnisse - seit Aufnahme ihrer Berufstätigkeit im Bundesgebiet im Juli 2008 nahezu lückenlos in Vollzeit beschäftigt. Nach dem aktuellen Arbeitsvertrag vom ... November 2014 ist ein Arbeitsentgelt von 8,50 Euro brutto pro Stunde vereinbart; die Arbeitszeit beträgt nach § 6 Ziffer 6.1 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 3.1.2. Manteltarifvertrag iGZ - je nach Anzahl der Arbeitstage im Monat - zwischen 140 und 161 Stunden. Ausgehend von 140 Stunden errechnet sich ein Bruttoeinkommen von 1.190,00 Euro. Nach Abzug von Lohnsteuer (bei Steuerklasse 5) und Sozialversicherungsbeiträgen verbleibt ein Nettoeinkommen von 789,57 Euro. Hiervon ist - mangels Anhaltspunkten für niedrigere Werbungskosten - die Pauschale nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in der aktuellen Fassung abzusetzen, so dass für die Unterhaltssicherung ein Einkommen der Mutter in Höhe von mindestens 689,57 Euro zur Verfügung steht. Soweit sie ihren Sohn im Heimatland weiterhin finanziell unterstützt, ist dies aufgrund seines Alters (von inzwischen 22 Jahren) nicht mehr einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Zu dem Einkommen der Mutter der Klägerin kommen die Einkünfte des Stiefvaters hinzu. Da dieser seit 2012 bei der T. als Kraftfahrer beschäftigt ist und nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis steht, ist nunmehr von einem nachhaltig erzielten Einkommen auszugehen. Nach den vorgelegten Gehaltsbelegen erhielt er in der Zeit von September 2013 bis August 2014 Nettoeinkünfte in Höhe von insgesamt 18.692,22 Euro bzw. durchschnittlich 1.557,69 Euro monatlich. Nach Abzug der Werbungskostenpauschale nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,00 Euro verbleibt ein zu berücksichtigendes Einkommen von 1.457,69 Euro. Die Summe der Einkünfte von der Mutter und des Stiefvaters der Klägerin beträgt hiernach 2.147,26 Euro und deckt den Unterhaltsbedarf von 1.707,82 Euro.

Etwaige Altschulden des Stiefvaters der Klägerin beeinträchtigen die positive Prognose nicht. Das Einkommen der Mutter steht uneingeschränkt zur Unterhaltssicherung zur Verfügung, weil diese - wie ausgeführt - nicht für die (Alt-)Schulden ihres Ehemannes haftet. Aber auch beim Stiefvater kann das Arbeitseinkommen - unabhängig von Art und Höhe der Schulden - nur in dem gesetzlich zulässigen Maße gepfändet werden; das pfändungsfreie Einkommen ist deshalb als Beitrag für die Unterhaltssicherung zu berücksichtigen und reicht zusammen mit den Einkünften der Mutter der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts aus.

Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens wird das jeweilige Nettogehalt des Stiefvaters der Klägerin aus den Monaten September 2013 bis August 2014 zugrunde gelegt und davon gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 850a Nr. 3 und 4 ZPO der gewährte Verpflegungszuschlag und die Zulage sowie im Dezember 2013 die Weihnachtsvergütung (in Höhe von 162,00 Euro) als unpfändbare Teile abgezogen (zur Berechnungsmethode vgl. ausführlich Urteil des Senats vom 25. Januar 2012 - 2 B 10.11 -, juris Rn. 47; ferner BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 10.12 -, juris Rn. 34f.). Der danach ermittelte Betrag von 1.282,06 Euro (= 15.384,72 Euro : 12 Monate) ergibt - selbst ohne Berücksichtigung einer Unterhaltspflicht im Hinblick auf § 850c Abs. 4 ZPO - nach der Tabelle zu § 850c ZPO ein pfändbares Einkommen von maximal 164,47 Euro. Das verbleibende pfändungsfreie Einkommen von (1.557,69 Euro - 164,47 Euro =) 1.393,22 Euro ist - nach Abzug der Werbungskostenpauschale von 100,00 Euro - mit 1.293,22 Euro für die Unterhaltssicherung zu berücksichtigen und beträgt zusammen mit den Einkünften der Mutter der Klägerin (von 689,57 Euro) 1.982,79 Euro. Selbst wenn die Zulage dem pfändbaren Arbeitseinkommen zugerechnet wird, führt dies zu einem zu berücksichtigenden monatlichen Nettoeinkommen von 1.352,69 Euro und damit - ebenfalls ohne Berücksichtigung einer Unterhaltspflicht - zu einem pfändbaren Betrag von maximal 213,47 Euro. Das hiernach pfändungsfreie Einkommen des Stiefvaters der Klägerin in Höhe von mindestens (1.557,69 Euro - 213,47 Euro =) 1.344,22 Euro ist - nach Abzug der Werbungskostenpauschale - mit 1.244,22 Euro zur Unterhaltssicherung einsetzbar.

2. Für die Klägerin stand ferner im Juli 2009 und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ausreichender Wohnraum zur Verfügung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Hierfür wird nach § 2 Abs. 4 AufenthG nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten sozialen Mietwohnung genügt (Satz 1). Der Wohnraum ist hingegen nicht mehr ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt (Satz 2). Da § 2 Abs. 4 AufenthG einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumt, ist letztlich entscheidend darauf abzustellen, in welcher Weise die jeweilige Verwaltungspraxis diesen Spielraum ausschöpft (vgl. hierzu ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. März 2010 - 3 B 9.08 -, juris Rn. 27).

Nach Nr. 2.4 der vom Bundesministerium des Inneren erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (vom 26. Oktober 2009, GMBl S. 178) ist ausreichender Wohnraum unbeschadet landesrechtlicher Regelungen stets vorhanden, wenn für jedes Familienmitglied über sechs Jahren 12 m² Wohnfläche zur Verfügung stehen und Nebenräume (Küche, Bad, WC) in angemessenem Umfang mitbenutzt werden können. Eine Unterschreitung dieser Wohnungsgröße um etwa 10 % ist unschädlich. Gemessen hieran bot die von der Mutter und dem Stiefvater der Klägerin - nach dem vorgelegten Mietvertrag - ab Februar 2009 bewohnte Wohnung, bestehend aus drei Zimmern, Küche und Bad mit einer Wohnfläche von 58 m², ausreichenden Wohnraum für eine Aufnahme der Klägerin bei Vollendung ihres 16. Lebensjahres im Juli 2009. Auch gegenwärtig ist ausreichender Wohnraum vorhanden. Die Mutter und der Stiefvater der Klägerin wohnen seit 1. November 2009 in einer 63,10 m² großen Wohnung mit drei Zimmern, Küche und Bad. [...]