OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.03.2015 - 11 S 19.15 - asyl.net: M23326
https://www.asyl.net/rsdb/M23326
Leitsatz:

Der Ausländer soll gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz, insbesondere unter anderem auf die Verpflichtung aus § 81 AufenthG hingewiesen werden. Unterbleibt ein solcher Hinweis, hat dies nicht zur Folge, dass der Antragsteller so zu behandeln wäre, als wenn er den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig gestellt hätte, also in den Genuss der Fiktionswirkung gelangen würde.

Schlagwörter: aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Frist, Mitwirkung, Mitwirkungspflicht, Fiktionswirkung, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltstitel, Hinweispflicht, Fristversäumnis, Verlängerungsantrag, verspätete Antragstellung, rechtzeitige Antragstellung,
Normen: AufenthG § 82 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 82, AufenthG § 81,
Auszüge:

[...]

Diese Einwendungen greifen auch dann nicht durch, wenn der Vortrag des Antragstellers zu der ihm erteilten Auskunft als richtig unterstellt wird. Nr. 82.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, auf die sich der Antragsteller beruft, befasst sich mit den in § 82 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geregelten Folgen der Versäumung einer behördlich gesetzten Frist nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Um die Versäumung einer solchen Frist geht es hier nicht. Zwar soll der Ausländer gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch auf seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz, insbesondere unter anderem auf die Verpflichtung aus § 81 AufenthG hingewiesen werden. Sollte ein solcher Hinweis hier unterblieben sein oder gar unrichtig bzw. irreführend erteilt worden sein, hätte dies aber nicht automatisch zur Folge, dass der Antragsteller so zu behandeln wäre, als wenn er den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig gestellt hätte, also in den Genuss der Fiktionswirkung gelangen würde (vgl. HTK AuslR, Anm. 4 zu § 82 Abs. 3; BayVGH, Beschluss vom 13. März 2006 – 24 ZB 05.3191 –, zitiert nach juris, Rz. 18, m.w.N.). Dass die von ihm behauptete behördliche Falschauskunft eine unbillige Härte im Sinne von § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG begründen würde, macht der Antragsteller selbst nicht geltend. Jedenfalls müsste die in dieser Vorschrift geregelte Fortgeltungswirkung durch den Antragsgegner angeordnet werden und wäre gegebenenfalls durch eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG zu dokumentieren. Hierzu hätte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, die belegen, warum ihm eine rechtzeitige Antragstellung nicht möglich gewesen sei. Außerdem hatte der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift den Regelfall vor Augen, dass die Frist zur Antragstellung nur geringfügig überschritten wurde (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BT Drs. 17/8682, Seite 23). Für all das ist hier weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Überdies käme die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid des Antragsgegners vom 25. November 2014 nur dann in Betracht, wenn die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides bei summarischer Prüfung durchgreifenden Zweifeln begegnen würde. Auch dies kann unter Zugrundelegung der Beschwerdebegründung des Antragstellers allerdings nicht angenommen werden. Insoweit macht der Antragsteller, der "Rechte aus ARB 1/80" lediglich für möglich hält, aber nicht einmal behauptet, im Wesentlichen geltend, die Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben, das vorliegend ein Abschiebungshindernis darstelle. Ein solches Abschiebungshindernis hat der Antragsgegner im Rahmen der Erörterung eines Aufenthaltserlaubnisanspruchs nach § 25 Abs. 5 AufenthG jedoch aufgrund eingehender Prüfung verneint (vgl. Seite 7-9 des Bescheides vom 25. November 2014). Dabei hat er rechtlich zutreffend darauf abgestellt, ob der Antragsteller in die hiesigen Lebensverhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung aus seinem Herkunftsstaat so hineingewachsen sei, dass ihn mit der Türkei im Wesentlichen nur das formale Band der Staatsangehörigkeit verbinde. Er hat berücksichtigt, dass der Antragsteller im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen sei und die deutsche Sprache spreche, hat aber auch in Rechnung gestellt, dass der Antragsteller unverheiratet und kinderlos sei und auch sonst hier nicht über Verwandte verfüge, mit denen er in einer familiären Lebensgemeinschaft lebe, und dass ihm eine nachhaltige soziale und wirtschaftliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nicht gelungen sei. Der Antragsteller habe wiederholt Straftaten zur Finanzierung seines Drogenmissbrauchs begangen und sich in der Vergangenheit nicht nachhaltig um Bewältigung seiner Drogenproblematik gekümmert. Aufgrund seiner engen persönlichen Verbindung mit seinen Brüdern, mit denen er die meisten seiner Straftaten gemeinschaftlich begangen habe, gehe er in das soziale Umfeld zurück, welches vor der Inhaftierung nicht stabilisierend, sondern (mit-) deliktsauslösend gewirkt habe. Ein weiterer delinquenzauslösender Aspekt, der von dem Antragsteller bisher nicht aufgearbeitete plötzliche Tod seiner Mutter im Jugendalter, bestehe ebenfalls fort. Eine Integration des Antragstellers in die Lebensverhältnisse der Türkei sei unzweifelhaft für ihn schwierig aber nicht unmöglich. Es sei davon auszugehen, dass er die türkische Sprache spreche und durch seine Eltern soziale und kulturelle Bindungen an sein Herkunftsland vermittelt bekommen habe. Darüber hinaus sei er in einem Alter, in dem es ihm zuzumuten sei, sich auf neue Lebensumstände einzustellen und seine berufliche Zukunft in der Türkei zu planen. Die Beschwerdebegründung stellt die Richtigkeit dieser Würdigung nicht ernstlich in Zweifel. Soweit der Antragsteller sinngemäß geltend macht, er habe eine durch Schicksalsschläge überschattete schwere Kindheit und Jugend durchlebt und insoweit auf "das Versagen des deutschen Staates" hinweist, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass diese Umstände für die Beantwortung der Frage, ob dem Antragsteller ein Wechsel in die Türkei unzumutbar wäre, von entscheidendem Gewicht sind. Auch belegen die Hinweise des Antragstellers darauf, dass er an Treffen der Suchtgruppe in der Jugendstrafanstalt sowie einem Drogendistanzierungskurs teilnehme und bei Vollzugslockerungen die Möglichkeit haben werde, an einer Therapie teilzunehmen, ebenso wenig entscheidendes Gewicht erlangende Integrationsleistungen wie sein weiterer Hinweis, er habe noch vor der Haft ein Praktikum in einem Pflegewohnheim absolviert und ihm sei für den am 31. März 2015 beginnenden Kurs "Altenpflege/Sozialassistenz" ein Platz reserviert worden. Falls letzterem nicht bereits die noch fortbestehende Haft des Antragstellers entgegenstehen sollte, sprechen all diese Umstände allenfalls für erste Ansätze einer Integration, nicht aber für eine der Abschiebung entgegenstehende Verwurzelung des Antragstellers.

Überdies hat der Antragsgegner einem Aufenthaltserlaubnisanspruch des Antragstellers nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG entgegengehalten, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG in mehrfacher Hinsicht fehlen würden. Dem vermag die Beschwerdebegründung ebenfalls nichts Durchgreifendes entgegenzusetzen. Der vom Antragsteller eingereichte Versicherungsverlauf rechtfertigt gerade nicht die Prognose einer nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts. Zu dem vom Antragsgegner weiterhin geltend gemachten Ausweisungsgrund verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.

Soweit schließlich das Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO mit der Begründung abgelehnt hat, der Antragsteller könne sich nicht mit Erfolg auf § 60a Abs. 2 Satz 1 und 3 AufenthG berufen, rechtfertigt die Beschwerdebegründung ebenfalls kein anderes Ergebnis. Dass der Antragsteller ohne Erfolg aus Art. 8 EMRK ein Abschiebungshindernis herzuleiten versucht, wurde bereits dargelegt. Dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern würden, legt er nicht dar. [...]