VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 02.09.2015 - 6 L 1606/15.KS.A - asyl.net: M23387
https://www.asyl.net/rsdb/M23387
Leitsatz:

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung des Bundesamtes, wenn keine vollständige Entscheidung über einen Asylantrag, der nicht nach § 13 Abs. 2 AsylVfG beschränkt wurde, getroffen wurde. In einem ablehnenden Bescheid müssen ausdrückliche Feststellungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes erfolgen.

Schlagwörter: Asylverfahren, Ablehnungsbescheid, Suspensiveffekt, offensichtlich unbegründet, ernstliche Zweifel,
Normen: AsylVfG § 13 Abs. 2, AsylVfG § 31 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Das Gericht hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) getroffenen Entscheidung.

1. Es liegt keine vollständige Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag vor, der auch nicht im Sinne des § 13 Abs. 2 AsylVfG beschränkt wurde. Denn es fehlt an einer ausdrücklichen Feststellung der Antragsgegnerin über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes, da die Entscheidungsformel (der Tenor) des Bescheides hierzu keinen Ausspruch enthält (a) und die Begründung des Bescheides nicht ergänzend herangezogen werden kann (b).

a) Dass in Ziffer 1. der Entscheidungsformel des Bescheides vom 30.07.2015 der Ausspruch der Ablehnung der Asylanträge getroffen wurde, genügt aus folgenden Erwägungen nicht.

Es überzeugt nicht, wenn die Antragsgegnerin auf § 13 Abs. 2 AsylVfG verweist, wonach mit jedem Asylantrag auch die Beantragung internationalen Schutzes (der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes umfasst) beantragt sei, weshalb die Ablehnung des Antrags auch die Ablehnung der Zuerkennung internationalen Schutzes einschließe. Im Gegenteil spricht gerade § 13 AsylVfG dafür, dass der Asylantrag nur das Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG meint (weshalb die Ablehnung des Asylantrags nur die Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter meinen kann). Denn nur wegen der Regelung des § 13 Abs. 2 AsylVfG ist mit der Beantragung von Asyl zugleich auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beantragt, ohne dass ausdrücklich ein Antrag auf Zuerkennung dieses Schutzes gestellt werden muss, weshalb der Begriff des "Asyl" auch im Kontext des AsylVfG hier gerade nicht erweitert wird, sondern lediglich der Umfang des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter kraft Gesetzes erweitert wird.

Darüber hinaus folgt aus § 31 AsylVfG, dass eine ausdrückliche Feststellung sowohl zur Frage der Anerkennung als Asylberechtigter als auch zur Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes zu erfolgen hat. Denn in § 31 Abs. 2 AsylVfG ist geregelt, dass das Bundesamt in einem Bescheid ausdrücklich sowohl festzustellen hat, ob einem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. Aus dieser Aufzählung, wobei eine Verknüpfung mit "und" erfolgt, ist zu entnehmen, dass (wenigstens) über beide Aspekte, nämlich über die Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a GG und über den internationalen Schutz (Zuerkennung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz) eine Feststellung zu treffen ist. Dabei ist auch die negative Feststellung jeweils ausdrücklich zu treffen (Beck'scher Online-Kommentar, Ausländerrecht; Kluth/ Heusch, 7. Auflage, Stand 01.05.2015, § 31 Rdn. 12; vgl. auch zur Frage der Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nur in den Gründen eines Bescheides: VG Trier, Beschluss vom 28.10.2014 - 5 L 1659/14.TR -, [...], dort Rdn. 19). Denn nur dann kann ein Antragsteller erkennen, ob sein Asylantrag und sein kraft Gesetzes (§ 13 Abs. 2 AsylVfG) damit zugleich gestellter Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes überhaupt (umfassend) entschieden wurde.

Zudem kann der Ziffer 1. der Entscheidungsformel des Bescheides ein Ausspruch zur Ablehnung der Zuerkennung internationalen Schutzes vorliegend auch deshalb nicht entnommen werden, weil hier der Ausspruch mit dem Zusatz erfolgte, dass der Asylantrag (bzw. die Asylanträge der fünf Antragsteller) als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt werden. Diese besondere Möglichkeit ist aber im AsylVfG ausdrücklich geregelt, mit im Übrigen weitreichenden Folgen im Rahmen der Rechtsschutzmöglichkeiten bei einer Ablehnung. Dabei zeigt die insoweit geltende spezielle Regelung des § 30 Abs. 1 AsylVfG: Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet (und im Übrigen nicht: "als offensichtlich unbegründet abzulehnen"), wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Lehnt die Antragsgegnerin einen Asylantrag daher als offensichtlich unbegründet ab, lässt dies nur erkennen, dass sie die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich nicht gegeben im Sinne des § 30 AsylVfG erachtet, nicht aber, welche Feststellung sie zur Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes treffen wollte. Insoweit sieht das AsylVfG eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht vor.

b) Dabei genügt es nach Auffassung des Gerichts auch nicht, wenn die entsprechenden, notwendigen Feststellungen im Sinne des § 31 Abs. 2 AsylVfG zu den verschiedenen, in ihren Rechtsfolgen sich erheblich unterscheidenden Zuerkennungen von Schutz (Asyl, Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) sich aus der Begründung eines Bescheides ergeben, bzw. aus der Begründung zu entnehmen ist, dass sich die Antragsgegnerin mit dem Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen auseinandergesetzt hat.

Dies folgt aus einer entscheidenden Besonderheit des Asylrechts, wonach gem. § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG im Falle fehlender anwaltlicher Vertretung die Entscheidungsformel, nicht aber die Begründung des Bescheides einem Antragsteller in einer ihm geläufigen Sprache übersetzt beizufügen ist. Damit ist es aber einem Antragsteller nicht möglich, sich auf die Rechtsfolgen einzustellen, seine Rechtsschutzmöglichkeiten abzuschätzen und zutreffende Rechtsschutzmöglichkeiten geltend zu machen, wenn nicht in der Entscheidungsformel des Bescheides alle Feststellungen - positiv wie negativ - enthalten sind.

Im Übrigen wäre die Regelung des § 31 Abs. 2 AsylVfG überflüssig, wollte man sie lediglich dahingehend auffassen, dass die Antragsgegnerin die Feststellung über die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung internationalen Schutzes überhaupt (ggf. in der Begründung der Entscheidung) treffen muss. Denn dass die Antragsgegnerin diese Feststellungen überhaupt treffen muss, wenn ein Asylantrag gestellt wurde, mit dem kraft Gesetzes auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beantragt ist, steht außer Frage.

2.Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die im vorliegenden Fall erfolgte Bescheidung zureichend sei, da in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides jedenfalls inhaltlich zu allen beantragten Schutzansprüchen - auch zur Frage der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes - eine Willensbildung der Antragsgegnerin zutreffend erfolgte, wäre der Bescheid gem. § 44 VwVfG nichtig. Denn aus oben genannten Gründen liegt jedenfalls ein Verstoß gegen § 31 Abs. 2 AsylVfG vor. Dieser ist offensichtlich und stellt nach Auffassung des Gerichts auch einen besonders schwerwiegenden Fehler dar, weil aufgrund der nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG alleinigen Übersetzung der Entscheidungsformel des Bescheides ein Antragsteller den Umfang der Entscheidung nicht erkennen kann und sich in der Wahrnehmung seiner Rechte nicht darauf einstellen kann.

3. Im vorliegenden Fall treten folgende Erwägungen hinzu, die den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.07.2015 rechtswidrig erscheinen lassen.

Zum einen trägt die Begründung des Bescheides den Ausspruch in der Entscheidungsformel nicht, selbst wenn man der Argumentation der Antragsgegnerin folgt, dass insgesamt mit der Ablehnung der Asylanträge auchdie Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes ausgesprochen werden sollte. Denn die Begründung des Bescheides enthält keine Begründung dafür, dass die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfGoffensichtlich nicht vorliegen. Zudem setzt sich der Bescheid vom 30.07.2015 zwar (zutreffend) mit den Voraussetzungen des subsidiären Schutzes auseinander und verneint deren Vorliegen, enthält aber -auch in der Begründung - keine Feststellung zur Schutzberechtigung. [...]