OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.03.2002 - 6 A 11690/01.OVG - asyl.net: M2347
https://www.asyl.net/rsdb/M2347
Leitsatz:

Amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes in Asylsachen stellen selbständige Beweismittel dar, die ohne förmliches Beweisverfahren im Wege des Freibeweises verwertet werden können, ohne dass die Beteiligten einen Anspruch darauf haben, dass die zugrunde liegenden Informationsquellen genannt werden oder der Verfasser der Auskunft zur mündlichen Erläuterung geladen wird (im Anschluss an BVerwG, Urt. V. 22.91.1985, NVwZ 1986, 35; Beschl. V. 31.07.1985, NVwZ 1986, 3221).

Zur Strafbarkeit abtrünniger Mitglieder von Freiwilligenverbänden der Region Berg-Karabach (Fedajin) wegen Desertion nach armenischen Strafbestimmungen.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenien, Armenier, Berg-Karabach, Interne Fluchtalternative, Fedajin, Mitglieder, Spionagetätigkeit, Hausdurchsuchung, Fahndungsaufruf, Beweismittel, Urkundenfälschung, Glaubwürdigkeit, Wehrdienstentziehung, Desertion, Strafverfolgung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Auswärtiges Amt, Auskünfte, Verwertbarkeit, Freibeweis, Sachverständigenbeweis, Ladung des Sachverständigen, Informationsquellen, Bekanntgabe von Informationsquellen, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Mündliche Verhandlung, Fragerecht
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1; ArmStGB Art. 256; VwGO § 130a; VwGO § 97; VwGO § 98; ZPO § 397; ZPO § 411 Abs. 3; ZPO § 402
Auszüge:

 

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Über sie entscheidet der Senat gemäß § 130a Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zwar hat der Kläger die Ladung der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die die Auskunft vom 21. Januar 2002 und diejenige vom 9. März 2000 (an das VG Ansbach) verfasst haben, beantragt, um ihnen in einer mündlichen Verhandlung Fragen zu diesen Auskünften zu stellen. Dies hindert den Senat jedoch nicht an einer Entscheidung gemäß § 130 a VwGO. Denn dem Kläger steht ein solches Fragerecht weder nach § 97 Satz 2 VwGO noch auf der Grundlage des § 98 VwGO i.V.m. §§ 402, 397, 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO - zu. Der Verfasser einer amtlichen Auskunft ist nämlich kein Sachverständiger im Sinne dieser Vorschriften. Auskünfte des Auswärtigen Amts in Asylsachen stellen, auch wenn ihr Inhalt in einer gutachtlichen Äußerung besteht, wie dies regelmäßig der Fall ist, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 9. März 1984, Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 4; Urteil vom 22. Januar 1985, NVwZ 1986, 35 f.) selbständige Beweismittel dar, die ohne förmliches Beweisverfahren im Wege des Freibeweises verwertet werden können.

Durch diese verfassungsrechtlich unbedenkliche (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Januar 1983 - 1 BvR 1305/82 und 1 BvR 1360/82 -) gesetzliche Zulassung als selbständiges Beweismittel soll ermöglicht werden, das besondere Fachwissen einer Behörde in das Verfahren einzuführen, ohne dass das Gericht gezwungen wäre, den Verfasser der Auskunft sowie die weiteren Bediensteten, die zu ihrer Erstellung beigetragen haben, zu vernehmen. Aus dieser Besonderheit der Beweiserhebung durch Einholung einer amtlichen Auskunft ergibt sich, dass die Beteiligten - anders als im förmlichen Verfahren einer Beweiserhebung durch Sachverständige - nicht nach §§ 402, 397 ZPO verlangen können, dass das Gericht das Erscheinen ihres Verfassers in einem Verhandlungstermin zwecks mündlicher Erläuterung der Auskunft anordnet (BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 1985, NJW 1986, 3221). Nach dieser Rechtsprechung kann vielmehr unter Heranziehung des in §§ 402, 397 ZPO und § 411 Abs. 3 ZPO enthaltenen Rechtsgedankens nur eine Verpflichtung des Gerichts in Betracht kommen, auf schriftlichem Wege erneut an das Auswärtige Amt heranzutreten, wenn eine Erläuterung des Gutachtens durch einen Verfahrensbeteiligten verlangt wird. Dies gilt aber nicht für das Begehren, die der Auskunft zugrunde liegenden Informationsquellen anzugeben. Denn amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amts in Asylsachen brauchen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Januar 1985, NVwZ 1986, 35 f.) grundsätzlich die Informationsquellen, auf denen sie beruhen, nicht zu enthalten; sie sind wegen ihrer beweisrechtlichen Selbständigkeit sowie wegen der Natur des in Asylverfahren zu begutachtenden Gegenstands auch ohne diesbezügliche Angaben verwertbar. Demnach besteht ein Anspruch des Klägers auf Mitteilung der Entstehungsgeschichte der genannten Auskünfte und ihrer Grundlagen nicht.

Ein Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG besteht weder bei einer Rückkehr des Klägers nach Armenien, dem Land seines gewöhnlichen Aufenthalts vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, noch für den Fall, dass man eine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit des Klägers annimmt und dementsprechend auf die Republik Aserbaidschan abstellt. Der Senat hat in seinem Urteil vom 20. September 2001 - 6 A 11840100.OVG - entschieden, dass ethnischen Armeniern aus Aserbaidschan in dem Gebiet Berg-Karabach eine inländische Fluchtalternative offen steht, die von Deutschland aus gefahrlos über Armenien erreichbar ist. In Armenien droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dort wegen der von ihm behaupteten Weigerung, für die Fedajin als Spion tätig zu werden, zur Fahndung ausgeschrieben wurde und ihn eine Bestrafung nach Art. 256 des armenischen Strafgesetzbuchs erwartet.

In dem angefochtenen Urteil ist bereits zutreffend ausgeführt worden, dass die Schilderung des Klägers über den tatsächlichen Geschehensablauf unglaubhaft ist.

Darüber hinaus bestehen die vom Kläger befürchteten Gefahren einer Verfolgung aufgrund des vorgelegten Fahndungsauftrags deshalb nicht, weil dieser als Fälschung zu betrachten ist. Dafür spricht bereits der Umstand, dass kein Originalformular verwendet wurde, sondern eine Fotokopie, die handschriftlich ausgefüllt wurde. Dabei ist zudem versäumt worden, den Adressaten des Fahndungsauftrags zu bezeichnen.

Auch die Frage der Geheimhaltung solcher Fahndungsaufträge bedarf keiner weiteren Beweiserhebung. Insbesondere kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob Fahndungsaufträge gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes dem Betroffenen oder einem anderen ausgehändigt werden. Selbst wenn man dies als möglich unterstellt, ergeben sich auch unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung, der Fahndungsaufrufe in Armenien auch nach den Ausführungen des Klägers unterliegen, Zweifel an dessen Vorbringen, das von ihm vorgelegte Dokument sei an der Mitteilungstafel einer öffentlich zugänglichen Polizeidienststelle ausgehängt gewesen.

Noch deutlicher wird die fehlende Authentizität dieses Dokuments angesichts des dem Kläger gemachten Vorwurfs, gegen Artikel 256 des armenischen Strafgesetzbuchs verstoßen zu haben. Übereinstimmend mit der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht Armenien vom 29. März 2000 aus, dass nur die Fahnenflucht bzw. eigenmächtiges Verlassen der Truppe in Kriegszeiten mit der Todesstrafe oder Freiheitsstrafe bedroht ist, während diese Straftat sonst mit Freiheitsentzug oder einer Disziplinarmaßnahme geahndet wird (so bereits Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 22. Juli 1994 an VG Bremen und vom 14. Oktober 1994 an VG Schleswig). Da sich die Republik Armenien in dem vom Kläger angegebenen Zeitraum nicht im Kriegszustand befand und armenische Truppen oder

Kampfverbände auch nicht zu Kriegshandlungen eingesetzt wurden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 9. März 2000 an VG Ansbach), kommt eine Strafbarkeit des Klägers wegen Verstoßes gegen Artikel 256 des armenischen Strafgesetzbuches nicht in Betracht.