VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 25.06.2015 - AN 3 S 15.30853 (= ASYLMAGAZIN 11/2016, S. 392 f.) - asyl.net: M23678
https://www.asyl.net/rsdb/M23678
Leitsatz:

Liegen bei Asylsuchenden bereits vor der Verteilung und Stellung eines förmlichen Asylantrags Gründe vor, die gegen eine Verteilung sprechen (hier notwendige psychologische Behandlung an einem bestimmten Ort), kann von dieser analog zu § 15a Abs. 1 S. 6 AufenthG abgesehen werden. Insofern besteht eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Verteilung unerlaubt Eingereister nach § 15a AufenthG und eine (planwidrige) Regelungslücke im Hinblick auf die Möglichkeit, gegen eine Verteilung im Asylverfahren sprechende Gründe noch vor der Verteilung zu berücksichtigen.

Schlagwörter: Umverteilung, psychische Erkrankung, Asylverfahren, Verteilung, Genitalverstümmelung,
Normen: AufenthG § 15a Abs. 1 S. 6, AsylG § 45, AsylG § 46, AsylG § 55, AsylG § 56,
Auszüge:

[...]

Zwar sieht das Asylverfahrensgesetz die Möglichkeit des Absehens von einer Umverteilung nicht vor. Da die Vorschriften der §§ 45, 46 AsylVfG mit den Folgen der §§ 55 und 56 AsylVfG in erster Linie eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Bundesländern gewährleisten sollen und organisatorische Belange im Blick haben, hat der Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch, einem bestimmten Land oder Ort zugewiesen zu werden oder von einer Umverteilung verschont zu werden. Der Gesetzgeber hat für Weiterleitungsverfügungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz AsylVfG kein explizites Prüfprogramm im Hinblick auf die Berücksichtigung gesundheitlicher Risiken im Zusammenhang mit der Weiterleitung formuliert.

Die Umverteilung der Antragstellerin verstößt nach summarischer Prüfung jedoch gegen § 15 a Abs. 1 Satz 6 AufenthG analog. Diese Vorschrift ist analog anzuwenden, da eine planwidrige Regelungslücke besteht und die Vorschrift eine vergleichbare Interessenlage wie § 46 Abs. 1 und 2 AsylVfG regelt. Das Asylverfahrensgesetz sieht die Möglichkeit des Absehens von einer Umverteilung nicht vor. Diese Regelungslücke ist, weil sie gegen Verfassungsrecht verstößt, planwidrig. Nach der gesetzlichen Vorgabe der §§ 46 Abs. 1 Satz 2, 55 Abs. 1 Satz 2 und 56 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat ein Asylbewerber vor erfolgter Stellung des Asylantrags keinen Anspruch, einem bestimmten Land oder Ort zugewiesen oder von einer Umverteilung verschont zu werden. Infolgedessen wird partiell vertreten, dass kein Rechtsschutz gegen eine Umverteilungsentscheidung nach § 46 Abs. 1 und 2 AsylVfG bestehe (Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 46 AsylVfG Rn. 7f.). Ein solches Verständnis des Asylverfahrensgesetzes würde aber gegen die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte verstoßen (VerfGH Berlin, Beschluss vom 18.10.2013 - 115/13, 115 A/13; VG Schwerin, Beschluss vom 18.04.2013 - 3 B 693/12). Die unbedingte Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte besteht nach Art. 1 Abs. 3 GG bei allen Maßnahmen der Verwaltung unabhängig davon, ob einfachrechtliche Regelungen dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumen. Welche Eingriffe in die Grundrechtssphäre zulässig sind, ist daher allgemein und im Einzelfall unter Beachtung der Grundrechtsschranken nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch Abwägung der einander widerstreitenden Interessen zu bestimmen (VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.10.2013 - 115/13, 115 A/13; ähnlich VG Schwerin, Beschl. v. 18.04.2013 - 3 B 693/12; vgl. zum Ganzen: VG Bremen, Beschluss vom 13.08.2014 - 4 V 837/14 -, juris).

Die Regelungslücke ist durch Anwendung einer Vorschrift zu schließen, die eine vergleichbare Interessenlage regelt. Das ist vorliegend § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG. § 15a AufenthG verfolgt dasselbe Ziel wie § 46 Abs. 1 und 2 AsylVfG. Es sollen die durch Migration entstehenden Kosten gleichmäßig auf die Bundesländer verteilt werden. Die Vorschriften unterscheiden sich von ihrer Zielrichtung lediglich hinsichtlich des durch sie betroffenen Personenkreises. § 46 Abs. 1 und 2 AsylVfG regelt die Umverteilung von Asylbewerbern. Allein dadurch ist indes eine angemessene Lastenverteilung zwischen den Bundesländern nach Ansicht des Bundesgesetzgebers nicht gewährleistet gewesen. Aus diesem Grund ist mit § 15a AufenthG eine Ermächtigungsgrundlage für die Verteilung von illegal eingereisten Ausländern, die keinen Asylantrag gestellt haben, geschaffen worden (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Hailbronner, AuslR, 74. EL 2011, § 15a AufenthG Rn. 1 ff.; VG Bremen, Beschluss vom 13.08.2014, a.a.O.; so auch VG Magdeburg, B. v. 22.1.2015 - 9 B 464/14 -, juris).

Ein zwingender Grund nach § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG analog liegt hier möglicherweise vor. Denn die Antragstellerin hat bislang unwidersprochen dargelegt, dass sie als Opfer weiblicher Genitalverstümmelung auf die medizinischen und psychologischen Hilfen im Rahmen des Besuches der Selbsthilfegruppe angewiesen ist. Insbesondere kann im gerichtlichen Eilverfahren nicht geklärt werden, welcher Betreuungsumfang notwendig ist und ob dieser auch im Bereich der ZAE ... ermöglicht werden könnte. Der Antragsgegner hat sich zu dem Vorbringen der Antragstellerin weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren geäußert. [...]