VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 30.03.2016 - 7 K 2137/15 - asyl.net: M23722
https://www.asyl.net/rsdb/M23722
Leitsatz:

Die (tatsächliche) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.1 AufenthG begründet gegenüber der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG einen Zweckwechsel, der die für letztere erteilte Verpflichtungserklärung entfallen lässt.

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Flüchtlingsanerkennung, Syrien, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Zweckwechsel, Aufnahmeanordnung, Aufenthaltszweck, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Syrien, Bürgerkrieg, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 68 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 1, AufenthG § 23 Abs. 1, AufenthG § 23 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Inhalt und Reichweite der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärungen sind anhand des Wortlauts und durch Auslegung anhand objektiver Umstände zu ermitteln. Von daher sind die Erklärungen des Klägers grundsätzlich auch im Hinblick auf die zugrunde liegende Aufnahmeanordnung auszulegen, die ihre Abgabe erforderte (vgl. zu einer vergleichbaren Regelung betreffend Bosnien-Herzegowina, BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 1 C 33.97 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 01.03.2016 - 22 K 7814/15 -) und die mit ihrer Erwähnung im wenn auch nicht von der Unterschrift des Klägers gedeckten "Bemerkungsfeld" des Formularvordrucks einen gewissen objektiven "Anklang" gefunden hat.

Nach dem Wortlaut der abgegebenen Erklärungen verpflichtete sich der Kläger zur Lebensunterhaltssicherung "vom Tag der voraussichtlichen Einreise bis zur Beendigung des Aufenthalts og. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck".

Die zur Erstattung festgesetzten Aufwendungen sind unbestritten nach dem frühesten Anfangszeitpunkt des Verpflichtungszeitraumes entstanden (Einreise am 28.03.2014). Auch hatte der Kläger die eingegangenen Verpflichtungen erkennbar nicht an die Gültigkeitsdauer der den Angehörigen für die Einreise erteilten Visa gebunden. Dies wird schon daraus deutlich, dass die Verpflichtung vom Zeitpunkt der voraussichtlichen Einreise bis zur Beendigung des Aufenthalts oder der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck ausgesprochen worden war. D.h. der Kläger nahm offenkundig einen über die Gültigkeit der Visa hinausreichenden Zeitraum, auch einen Zeitraum des evtl. illegalen Aufenthalts, in seine Erklärungen auf (vgl. dazu auch VG Freiburg, Urteil vom 19.04.2012 - 4 K 1626/11; VG Düsseldorf, Urteil vom 01.03.2016 - 22 K 7814/15 -).

Der in den Verpflichtungserklärungen als erste Alternative angegebene Schlusszeitpunkt der "Beendigung des Aufenthalts" ist mangels Ausreise der Angehörigen bis heute nicht eingetreten, damit auch nicht vor Beginn des vom angefochtenen Bescheid noch erfassten Leistungszeitraumes. Ein den Verpflichtungszeitraum frühzeitig beendender Zeitpunkt ergibt sich aber aus der zweiten in den Verpflichtungserklärungen formulierten Alternative: "... bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck". Den Angehörigen ist am 14.10.2014 - zeitlich vor dem streitgegenständlichen Leistungszeitraum - ein Aufenthaltstitel zu einem anderen Aufenthaltszweck im Sinne der Verpflichtungserklärungen des Klägers erteilt worden.

Wie bereits ausgeführt, sind die Erklärungen des Klägers grundsätzlich auch im Hinblick auf die zugrunde liegende Aufnahmeanordnung auszulegen, die ihre Abgabe erforderte. Ebenso ist von Belang, dass bei Willenserklärungen, die sich wie eine ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung an Fachleute richten, zur Auslegung auch die fachsprachliche Bedeutung maßgeblich ist, denn der Erklärende begibt sich mit seinen fachbezogenen Erklärungen bewusst in diesen Empfängerkreis. [...]

Entscheidend ist nach den abgegebenen Erklärungen, dass zumindest ein anderer Aufenthaltszweck als der ursprüngliche hinzugetreten ist, den die Ausländerbehörde mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausländerrechtlich anerkennt. So liegt es hier.

Mit der Anerkennung der Angehörigen als Asylberechtigte ist ein gegenüber dem ursprünglichen Aufenthaltszweck abweichender Aufenthaltszweck hinzugetreten, den die Ausländerbehörde mit der Erteilung entsprechender Aufenthaltserlaubnisse am 14.10.2015 ausländerrechtlich anerkannt hat. [...]

Die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG hier maßgeblichen tatsächlichen Umstände sind aber andere, als die von der Aufnahmeanordnung in den Blick genommenen. Zwar knüpfen sowohl die Erteilung der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG als auch diejenige nach § 25 Abs. 1 AufenthG im Tatsächlichen an die Verhältnisse im Heimatland der Angehörigen - Syrien - und damit an einen vermeintlich identischen Lebenssachverhalt an. Im Konkreten setzt aber § 23 Abs. 1 AufenthG eine vorgelagerte Entscheidung der obersten Landesbehörde voraus, bei der humanitäre Gründe nur eine Alternative neben völkerrechtlichen Gründen und politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland darstellen. So heißt es in der streitgegenständlichen Aufnahmeanordnung vom 26.09.2013 mit Blick auf die Zweckbestimmung zunächst auch nur, dass weiteren syrischen Staatsangehörigen, die vom Bürgerkrieg in Syrien betroffen sind und die Verwandte im Bundesgebiet haben, der Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht werden soll. Ungeachtet des konkreten Verfolgungsschicksals des Einzelnen stand nach dem Inhalt der maßgeblichen Aufnahmeanordnung das pauschale vorübergehende "In-Sicherheit-Bringen" Verwandter im Vordergrund, was auch daraus deutlich wird, dass es bezüglich des vermeintlichen Verfolgungsschicksals des Angehörigen nach der Aufnahmeanordnung genügte, dass der im Bundesgebiet lebende Verwandte die Fluchtsituation - das bürgerkriegsbedingte Verlassen des Wohnortes - glaubhaft machte (vgl. II, zu Ziff. 1.1. Voraussetzung "Flucht" der Aufnahmeanordnung), was zudem jedenfalls nach dem Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs und der Ausländerakten der Angehörigen tatsächlich nicht einmal erfolgte. [...]

Liegt danach ein gegenüber dem ursprünglichen Aufenthaltszweck abweichender vor, der mit der Erteilung des entsprechenden Aufenthaltstitels auch ausländerrechtlich im Sinne der Verpflichtungserklärungen anerkannt worden ist, so endete der vom Kläger eingegangene Verpflichtungszeitraum am Tage der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 AufenthG - am 14.10.2014. Ab diesem Zeitpunkt von der Beklagten erbrachte Leistungen zum Lebensunterhalt können nicht mehr auf der Grundlage der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärungen zur Erstattung festgesetzt werden. [...]