VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 27.12.2016 - 8 E 21331/16 Me - asyl.net: M24544
https://www.asyl.net/rsdb/M24544
Leitsatz:

Eine Rechtsbehelfsbelehrung mit der Formulierung, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein müsse, erweckt den Eindruck, dass eine Klage ausschließlich schriftlich (und in deutscher Sprache) zu erheben sei. Äußert sich die Rechtsbehelfsbelehrung über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Erhebung anzugeben - insbesondere die Möglichkeit, Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist die Rechtsbehelfsbelehrung irreführend und somit unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO (u.a. mit Verweis auf BVerwG, Beschl. v. 31.8.2015 - 2 B 61/14).

Schlagwörter: Afghanistan, Suspensiveffekt, psychische Erkrankung, Rechtsmittelbelehrung, Fehlerhaftigkeit, Asylverfahren, Schriftform, Rechtsbehelfsbelehrung, Zulässigkeit, Frist, Rechtsmittelfrist, mündlich, schriftlich, Schriftform, Sprache, Deutsch, deutsche Sprache, Fristversäumnis, abgefasst, Abfassen, unrichtig, Unrichtigkeit, Zulässigkeit, Frist, Rechtsmittelfrist,
Normen: VwGO § 58, AsylG § 36 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, VwGO § 58 Abs. 2 S. 1, VwGO § 58 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Anders als noch im Beschluss vom 12.09.2016 geht das Gericht nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage nunmehr davon aus, dass Antrag (und Klage) nicht wegen Ablaufes der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG unzulässig sind (VG Hannover, B.v.15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris). Denn die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt worden, so dass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig ist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht nur dann unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die wesentlichen, zwingenden Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht enthält, sondern auch dann, wenn sie allgemein dazu geeignet ist, bei dem Rechtssuchenden einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, B. v. 31.08.2015 - 2 B 61.14 -; U. v. 21.03.2002 - 4 C 2.01 -; B. v. 14.02.2000 - 7 B 200.99 -, alle zitiert nach juris).

Die vom Bundesamt seinem Bescheid beigefügte Rechtbehelfsbelehrung ist in diesem Sinne geeignet, einen solchen Irrtum hervorzurufen. Die dort gewählte Formulierung, die Klage müsse "in deutscher Sprache abgefasst" sein, erweckt nämlich den Eindruck, dass eine Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes und damit auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschließlich schriftlich (und in deutscher Sprache) zu erheben ist. Dies folgt aus der Verwendung des Begriffes "abfassen", dem ganz allgemein die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zugemessen wird. Er wird sinngleich verwendet mit den Verben "anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen oder (gehoben) niederlegen"(zu den verschiedenen Synonymen vgl. im Internet: www.duden.de/rechtschreibung/abfassen). Mit diesem Hinweis auf die Notwendigkeit einer "schriftlichen, verschrifteten" Klageerhebung, wird in irreführender Weise fehlerhaft der Eindruck erweckt, der Rechtssuchende müsse "selbst" in Schriftform Klage erheben ( VG Hannover, B. v. 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, a.a.O.; VG Gelsenkirchen, U. v. 24.06.2016 - 3a K 4187/15.A -; VG Düsseldorf, GB v. 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A -; VG Augsburg, B. v. 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 -, alle zitiert nach juris).

Äußert sich die Rechtsbehelfsbelehrung - wie hier - über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Erhebung des Rechtsbehelfs,. insbesondere die Möglichkeit, Antrag bzw. Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, zu benennen. Dies ist unterblieben mit der Folge, dass ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen (VG Gelsenkirchen, U. v. 4.06.2016 - 3a K 4187/15.A -, a.a.O.; VG Augsburg, B. v. 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 , a.a.O.).

Letztlich ist es auch nicht von Belang, dass die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hier für die Verspätung der Antragserhebung nicht kausal gewesen ist. Nach § 58 VwGO ist der Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig. Es kommt daher nicht darauf an, ob dem jeweiligen Antragsteller/Kläger die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe unbekannt waren und das Fehlen einer oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Die Rechtsfolgen des § 58 VwGO knüpfen ausschließlich an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung an. Damit gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (BVerwG, U. v. 30.04.2009 - 3 C 23.08 -, juris). Klage und Antrag sind am 03.08.2016 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben bzw. gestellt worden. [...]