VG Köln

Merkliste
Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 06.02.2017 - 8 L 2129/16.A - asyl.net: M24754
https://www.asyl.net/rsdb/M24754
Leitsatz:

PKH-Gewährung und Eilrechtsschutz gegen Dublin-Bescheid:

1. Die Rechtsbehelfsfrist beträgt ein Jahr, da die Rechtsbehelfsbelehrung des BAMF im Dublin-Bescheid fehlerhaft war. Die Formulierung, die Klage müsse "in deutscher Sprache abgefasst sein", kann zu dem Missverständnis führen, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse.

2. Die summarische Prüfung im Eilverfahren ergibt ein überwiegendes Aussetzungsinteresse, da die Betroffene psychisch erkrankt ist und ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gegen die Überstellung nach Italien bestehen könnte.

Schlagwörter: Rechtsmittelbelehrung, Suspensiveffekt, Dublinverfahren, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt, Rechtsbehelfsbelehrung, Zulässigkeit, Frist, Rechtsmittelfrist, mündlich, schriftlich, Schriftform, Fristversäumnis, elektronisch, Dublin III-Verordnung, Abschiebungsanordnung, Depression, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, gesundheitsbedingtes Abschiebungshindernis, Überstellung, Sprache, Deutsch, deutsche Sprache, abgefasst, Abfassen,
Normen: VwGO § 58 Abs. 2 S. 1, VwGO § 58 Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a, AsylG § 34a Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt worden, so dass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist. [...]

Mit der Formulierung "Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend. Die Klage muss ... in deutscher Sprache abgefasst sein" wird aus der Sicht eines objektiven Beobachters in der Lage des Adressaten der unrichtige Eindruck erweckt, die Klage müsse schriftlich erhoben werden. Dem verwendeten Verb "abfassen" kommt in aller Regel und vor allem umgangssprachlich die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zu. Es ist gleichbedeutend mit anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15a L 3029/16.A - und VG Hannover, Beschluss vom 15. September 2016 - 3 B 4870116 -, beide juris).

Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass sich aus dem Sinnzusammenhang ergibt, dass die Klage innerhalb der genannten Frist in dieser Sprache einzugehen ("Eingang") hat, was darauf hindeutet, dass es um die Übersendung eines Schriftstückes in einer bestimmten Sprache geht.

Äußert sich damit die Rechtsbehelfsbelehrung - wie hier - über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Einlegung des Rechtsbehelfs, insbesondere die Möglichkeit, Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, zu benennen. Zudem muss die Rechtsmittelbelehrung, mit der die Behörde über die Voraussetzungen einer Rechtsmitteleinlegung bei einem nordrhein-westfälischen Verwaltungsgericht belehrt, dann auch einen Hinweis auf die bestehende Möglichkeit enthalten, dass das Rechtsmittel auch auf elektronischem Weg eingelegt werden kann (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 19 B 406/13 -, juris).

Dies ist hier nicht geschehen mit der Folge, dass ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die Voraussetzungen der Rechtsbehelfseinlegung herbeizuführen.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Insoweit bestimmt die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides lediglich, dass der Antrag innerhalb einer Woche "gestellt" werden könne. Mit Blick darauf, dass beide Rechtsmittelbelehrungen in einer einheitlichen zusammengefasst sind, ist für den Adressaten vor dem oben beschriebenen Hintergrund schon nicht erkennbar, ob auch der Antrag in deutscher Sprache (schriftlich) zu stellen ist. Zudem stellt sich auch hier die Frage, ob es andere Möglichkeiten gibt, den Antrag zu stellen.

Mit Blick darauf kann dahinstehen, ob die Rechtsmittelbelehrung nicht auch deshalb für den Adressaten missverständlich ist, weil sie die Begriffe "Zustellung" und "Bekanntgabe" gleichzeitig hinsichtlich desselben Bescheides verwendet. Dies könnte für den Adressaten die Frage aufwerfen, ob für den Beginn der Antragsfrist ein anderes Ereignis als für den Beginn der Klagefrist maßgebend ist. Offensichtlich gehen die unterschiedlichen Formulierungen auf unterschiedliche und unklare Regelungen des Gesetzgebers zurück. Nach § 31 Abs. 1 Sätze 2 und 5 AsylG ist der Bescheid "zuzustellen". § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG hingegen bestimmt, dass der Antrag innerhalb einer Woche nach "Bekanntgabe" zu stellen ist. Demgegenüber stellt § 74 Abs. 1 AsylG zunächst (bei der Zweiwochenfrist) auf die "Zustellung" ab, bestimmt dann aber weiter, dass die Klage innerhalb einer Woche zu erheben ist, wenn für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Wochenfrist gilt, wobei dann unklar bleibt, ob in diesem Fall die Frist ab "Bekanntgabe" oder "Zustellung" läuft.

Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. [...]

Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. [...]

Die Antragstellerin ist über Italien (und damit über einen anderen Mitgliedstaat) eingereist und hat dort einen Asylantrag gestellt, sodass eine Wiederaufnahme grundsätzlich in Betracht kommt.

Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids begegnet derzeit jedoch rechtlichen Bedenken. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald "feststeht", dass sie durchgeführt werden kann. Dem Bundesamt obliegt dabei auch die Prüfung, dass keine inlandsbezogene Vollzugshindernisse der Abschiebung entgegenstehen. Dies gilt auch für nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretende Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe. Derzeit spricht überwiegendes dafür, dass solche Umstände vorliegen. Die Antragstellerin hat - wie sich auch aus den ausführlichen Darlegungen in der psychiatrischen Stellungnahme vom ... 2016 ergibt - nachvollziehbar vorgetragen, sich wegen Depressionen und einer möglicher Selbstgefährdung in Behandlung zu befinden. Auf dieser Grundlage ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 26. August 2016 anzuordnen. Denn nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse. Wie der Gesundheitszustand der Antragstellerin genau zu beurteilen ist und ob sich ein Abschiebungsverbot zugunsten der Antragstellerin ergibt, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. [...]